SZ-Serie: Dresscode München:Absprung von der Piste

Extrem lässig: Neuerdings fahren auch Nicht-Wintersportler auf Ski- und Snowboardmode ab.

Von Birgit Lutz-Temsch

Eine graue Strickmütze hat er auf dem Kopf - trotz kuscheliger 25 Grad in der Fabrikhalle -, die Hände in den weiten Hosentaschen und eine enorm lässige Körperhaltung. "Wir achten schon mehr auf Funktion als auf den Style", sagt Martin Trautmann, der Shop-Manager von "Boarders", einem Snowboard-, Surf- und Skaterladen am Harras.

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(Foto: Foto: Presence Switzerland)

Hinter ihm läuft auf einem Flatscreen ein Video, in kurzen und schnellen Sequenzen fallen Boarder darin zu wummernder Hardcore-Musik aberwitzig steile Hänge hinunter und strecken am Ende die Fäuste in den Himmel. Seit mehr als zehn Jahren gibt es den Shop, einiges habe sich verändert seitdem, sagt Trautmann.

Der Surfer- und Boarder-Look ist von den Halfpipes und Stränden auf die Straßen gespült worden. Anfang der Neunziger wurden Snowboard-Marken noch ausschließlich von Snowboard-Fahrern gekauft. Heute kommen für manche überhaupt keine anderen Labels mehr in Frage.

Wer zeigen will, dass er eigentlich dauernd in Boarder-Camps abhängt, entspannt in Liftschneisen abfährt oder auch noch den krassesten Gipfel neben der höchsten Gondelbahn hinaufsteigt, um dann cool den Steilhang abzuschwingen, trägt die Marken Billabong, DC, Volcom, Gravis, Nitro, Gripzone oder Quiksilver. Immer.

Gemütlich statt cool

Für die Jungs ist diese Mode extrem lässig und weit geschnitten und in eher dezenten Farben gehalten. Der Mädchen-Style ist körperbetonter und vorwiegend himmelblau - macht in manchen Boarder- und Skaterläden aber gerade mal ein Drittel des Angebots aus.

Absprung von der Piste

Das war einer der Gründe, warum Tatjana Bruss im September ihren eigenen Boardwear-Shop aufgemacht hat: "Chicas" in der Damenstiftstraße, nur für Mädchen - ein Konzept, so einfach wie genial. In den gewöhnlichen Boardershops hat sie oft selbst nichts zum Anziehen gefunden. "Die Atmosphäre ist meistens so, dass sich Mädchen darin unwohl fühlen", sagt sie, und: "Diese ganze Coolness will ich hier komplett raushalten, bei mir soll es gemütlich sein."

SZ-Serie: Dresscode München: Frauenklamotten sollen nicht nur cool aussehen, man muss sich auch drin wohl fühlen.

Frauenklamotten sollen nicht nur cool aussehen, man muss sich auch drin wohl fühlen.

(Foto: Foto: Catherina Hess)

Ist es. Im Fenster liegen Christbaumkugeln auf Palmwedeln, in der Sofa-Ecke steht eine Kokosnuss-Schale mit Kastanien und an den Bambusregalen hängen pinkfarbene Sterne. "Zu mir können Mädchen auch sagen, sie brauchen was, in dem man ihre Schenkel nicht so sieht - so was bringen sie nun mal nicht bei einem supercoolen Verkäufer-Typen, der einem Klamotten in Größe XS gibt."

Klamotten von Frauen für Frauen

Viele der Sachen bei "Chicas" sind von Frauen für Frauen gemacht - und das merkt man. "Die Sachen sollen nicht nur cool aussehen, man muss sich auch wohl drin fühlen, und das geht nicht, wenn alle Shirts über den Nieren aufhören", sagt Tatjana Bruss. Und so sind in den letzten Jahren Labels entstanden, die nur für Mädchen produzieren, Nikita und Sumo zum Beispiel, oder Seed.

Die Geschäftsführerin wundert sich, dass diese Entwicklung so lang gedauert hat. "Mädchen sind viel modebewusster und kaufen doch viel mehr", sagt sie. "Manche wollen jede Saison eine neue Boarderjacke, aber das Angebot passt noch überhaupt nicht zur Nachfrage, weil immer alles gleich aussieht."

Bei "Chicas" gibt es dagegen Geevice-Boarderbrillen "for true girls", für echte Mädchen, die zwar schmaler geschnitten sind aber nicht wie Kinderbrillen aussehen - mit Piercings im Plastik.

Auch Girls riskieren eine geplatzte Lippe

Selbst die Snowboard-Videos, die natürlich auch hier laufen, sind anders: Ausschließlich Extrem-Riderinnen boarden hier über den Bildschirm; in einer Pause zeigt ein Mädchen die aufgeplatzte Unterlippe. "Die Mädchen-Videos finde ich viel anspornender, denn das will ich dann nachmachen. Was Jungs machen, ist zu verrückt", sagt Tatjana.

Absprung von der Piste

Männer sind bei ihr trotzdem nicht unerwünscht. Während ihre Freundinnen Klamotten probieren, können sie in der Fläz-Ecke - "Boys' Parking" genannt - mit Playstation und Playboy spielen.

Punkte und Sterne zählen

Dass Mädchen nicht nur in der Streetwear, sondern auch bei den Funktionsklamotten andere Ansprüche als Jungs haben, hat auch die Marke Quiksilver gemerkt - im Shop in der Sendlinger Straße zum Beispiel prangt eine Boarderjacke mit großen, bunten Punkten.

Das ist nach dem Besuch von drei Boarder-Boutiquen klar: Punkte sind wichtig in der kommenden Saison, genauso wie Sterne, wobei dieser Trend vermutlich durch das Schweizer Zimtstern-Label ausgelöst worden ist.

Insgesamt sei die modische Linie bei Herren und Damen in den vergangenen beiden Jahren funktioneller, die Funktionskleidung modischer geworden, sagt Quiksilver-Shop-Manager Michi Mohr. Die Jungs trauen sich mehr und ziehen auch mal farbige Outfits an, anstatt immer nur Schwarz und Oliv.

Und für die Mädchen gibt es von Quiksilver jetzt die eigene Roxy-Linie, etwa mit einer taillierten Snowboardjacke mit Gürtel, die sich viele nur für die Stadt und nicht zum Boarden kaufen. Entsprechend gibt es bei Quiksilver wesentlich mehr vom Boarder-Look beeinflusste Mode als Funktionskleidung.

Martina Ertl, die Muse der Freerider

Anders bei "Riders Only" in der Ohlmüllerstraße, wo überhaupt einiges anders ist. Natürlich hängt auch dort der obligatorische Flatscreen, auf dem halsbrecherische Video-Tricks laufen. Hier aber sind Skifahrer unterwegs, besser gesagt Freerider, die oft vom Board wieder auf zwei Bretter umgestiegen sind.

Die Beschränkung auf Ski hat einen Grund: Die Freundin von Ladeninhaber Sven Renz ist Ski-Star Martina Ertl. Sie hat ihn dazu inspiriert, seinen "Runners Only"-Shop für Laufschuhe auf Ski-Schuhe auszudehnen - da war der Weg hin zur Ski-Mode nicht weit.

Auf den frei schwingenden Kleiderstangen hängt ausschließlich die Marke Peak-Performance, denn, so Renz, "wir wollen hier nur High-End-Ware anbieten, hochfunktionell, aber nicht so bieder wie die traditionellen Marken. Mit einem Style, der zur Freeride-Szene passt."

Diese von Lässigkeit geprägte Szene kann mit einem ziemlich wenig anfangen: drückenden Ski-Stiefeln. Deshalb hat Renz von der Verbindung zu Ertl profitiert und bei den Weltcup-Profis entdeckt, dass man mit einem einfachen Prinzip jeden Ski-Stiefel passend machen kann - indem man die Schale erhitzt und genau an den Fuß anpasst.

Absprung von der Piste

Mit Nietenarmband auf die Piste

Die Freerider-Szene liegt im Trend - auch "Titus", der Boarderladen im Motorama in der Rosenheimer Straße, hat sein Angebot um die Twintip-Bretter erweitert, mit denen man vorwärts und rückwarts fahren kann wie mit einem Freestyle-Board.

Wie überhaupt in den vergangenen drei Wintern der Anteil an funktionellen Sachen im Laden immer größer geworden sei, sagt Shop-Manager Ralf Ortmeier, auch wenn die Streetwear immer noch überwiege. Der Style habe sich ziemlich verändert, Erdtöne seien out: "Es gibt heuer krasse Farben, die schon fast ins Neon reingehen", sagt er. Dazu trägt man Uhren mit Nietenarmbändern von Vestal.

Ecke für böse Mädchen

Seit einem Jahr gibt es bei "Titus" auch eine Mädchen-Ecke, pinkfarben gestrichen, mit Blumen an den Wänden. Ein ganzer Ständer voller Shirts und Accessoires von Emily the Strange hängt da, der bösen Antwort auf das niedliche Hello-Kitty-Kätzchen. In den Motiven wird gern die heile Märchenwelt von Dornröschen oder Schneewittchen verunglimpft - ein Erfolg vor allem bei Mädchen aus der Grunge-Szene.

Wie bei Hello Kitty gibt es bei Emily the Strange auch Schlampermäppchen, Schlüsselanhänger und Lunch-Boxen. Aufschrift: "Bad girl gone worse." Denn gute Mädchen wedeln nur auf der Skipiste, böse Mädchen boarden stylisch überall hin.

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