Moderne Medizin in München:Schrittmacher im Kopf

Dr. Bernhard Haslinger

Durch den Strom, der in den Nucleus subthalamicus hinein fließt, kann Bernhard Haslinger Parkinson-Symptome lindern.

(Foto: Sonja Marzoner)
  • Die Diagnose Parkinson ist endgültig - die Krankheit kann nicht geheilt werden.
  • Wenn die Medikamente aber ihren Effekt verlieren, kann eine Operation gegen das Zittern und die Muskelsteifheit helfen.
  • Bernhard Haslinger vom Klinikum rechts der Isar setzt bei der tiefen Hirnstimulation einen kleinen Schrittmacher und zwei Elektroden ins Gehirn, die es wieder in den richtigen Takt bringen.
  • Der Text ist Teil der SZ-Serie "Die Gesundmacher". Alle bisherigen Teile der Serie lesen Sie hier.

Von Stephan Handel

Dieses Fächeln, als wollte die Hand eine Fliege verscheuchen. Dabei ist da gar keine Fliege. Die Hand fächelt trotzdem weiter, immer weiter. Wer einen Menschen auf der Straße sieht, der nicht vorhandene Fliegen vertreibt, der zudem langsam vor sich hinschlurft, dessen Gesicht starr und maskenhaft ist, dem fällt sofort ein Stichwort ein: Parkinson.

Die Diagnose ist endgültig - es gibt keine Therapie, die Parkinson heilen könnte. Allerdings ist die Krankheit mit Medikamenten recht gut im Griff zu behalten, zumindest über einige Zeit. Wenn die Medikamente aber ihren Effekt verlieren, wenn sie mal wirken und dann wieder nicht - "Wirkungsfluktuation" nennen die Mediziner das -, wenn also schwerere Geschütze aufgefahren werden müssen, dann kommt Bernhard Haslinger ins Spiel.

Haslinger ist Oberarzt im Klinikum rechts der Isar und leitet dort, in der Neurologischen Klinik, den Bereich "Bewegungsstörungen". Das ist sozusagen, wo sich Parkinson mit der fächelnden Hand trifft: Eine neurodegenerative Erkrankung, ein Abbau, eine Fehlfunktion von Nerven und Gehirn, führt zu störenden Bewegungen, die der Patient nicht beeinflussen kann.

Der Stimulator bringt das Hirn in Takt

Der Patient nicht - aber Bernhard Haslinger, beziehungsweise ein metallisch glänzendes Kästchen von der Größe eines Kieselsteins. Das ist ein Stimulator, ein Schrittmacher, den die meisten Menschen als zum Herzen gehörig kennen. Haslingers Schrittmacher bringt jedoch nicht das Herz in Takt. Sondern das Hirn.

Moderne Medizin in München: Zwei Elektroden werden in einer aufwendigen Operation ins Gehirn geschoben und müssen dort ein gerade mal bohnengroßes Areal treffen.

Zwei Elektroden werden in einer aufwendigen Operation ins Gehirn geschoben und müssen dort ein gerade mal bohnengroßes Areal treffen.

(Foto: Medtronic)

Die Methode, von der der Arzt sagt, er sei selbst "ein Riesenfan", nennt sich "Tiefe Hirnstimulation", und sie wirkt, obwohl, so Haslinger, "wir nicht so richtig wissen, warum". Das Prinzip ist schnell erklärt: Zwei Elektroden werden ins Gehirn geschoben, das kieselsteingroße Gerät sendet dann 130 mal pro Sekunde einen Stromstoß von zwei bis vier Volt hinein, und das bringt einiges wieder in Ordnung, was dort verrutscht war.

Ein langwieriger Eingriff

Die Praxis ist natürlich komplizierter, was sich schon daran zeigt, dass die Operation, der sich die Patienten unterziehen müssen, mindestens sechs bis acht Stunden dauert. Das Schwierigste daran ist das Zielen: Die Ärzte im Operationssaal müssen mit den Elektroden, also zwei dünnen Drähten, ein Areal mitten im Gehirn treffen, das ungefähr so groß ist wie eine Bohne - und das auch nicht irgendwie, sondern mit einer Zielgenauigkeit, die höchstens sechs Millimeter Toleranz zulässt.

Die Bohne im Hirn ist der Nucleus subthalamicus, zuständig für motorische Hemmung. Bei Parkinson, soviel weiß man mittlerweile, ist der Dopamin-Haushalt gestört, einer der vielen Botenstoffe im Körper, der sozusagen Befehle von hier nach da bringt wie ein biochemischer Briefträger. Fehlendes Dopamin beeinflusst auch den Nucleus subthalamicus und hat unter anderem den Tremor zur Folge, das unwillkürliche Zittern der Gliedmaßen. Was nun passiert, wenn Strom hineingeschickt wird, das, sagt Bernhard Haslinger im Ärzte-Jargon, "ist noch nicht sehr gut verstanden": Bis vor einiger Zeit wurde angenommen, dass das entsprechende Hirnareal durch den Strom praktisch "abgeschaltet" wird, doch das scheint nicht zuzutreffen.

Um jedoch überhaupt so weit zu kommen, ist eine komplizierte und riskante Operation am Gehirn erforderlich - mit ein Grund dafür, dass sie erst in Betracht gezogen wird, wenn Medikamente nicht mehr ausreichend helfen.

Eine komplizierte und riskante Operation

Zunächst kommt der Kopf des Patienten in einen stereotaktischen Rahmen - ein Metallgestell, quasi ein Koordinatensystem mit drei Achsen. Dieses ermöglicht es den Ärzten nun, mit den Bildern aus dem Kernspintomographen die Lage des Nucleus subthalamicus genau zu bestimmen. Spezielle Software hilft nun dabei, den Weg der Elektroden optimal zu bestimmen: Es soll nicht zu viel wichtiges Hirnmaterial verletzt werden, größere Blutgefäße müssen auf jeden Fall intakt bleiben - eine Gehirnblutung ist eine der möglichen Komplikationen bei der Operation.

Wenn der Weg ins Innere des Gehirns erfolgreich zurückgelegt ist, können die Ärzte sogleich testen, wie gut sie getroffen haben: "Im besten Fall", sagt Bernhard Haslinger, "verschwinden Tremor und Muskelsteifheit innerhalb von Sekunden." Der Patient ist dabei bei Bewusstsein, narkotisiert wird er nur bei der Öffnung des Schädels. Und beim abschließenden Schritt: Nun werden die Verlängerungen der Elektroden unter der Haut den Hinterkopf hinabgeführt, über den Nacken und die Schulter zum Brustkorb. Dort wird in einer kleinen Muskeltasche der eigentliche Schrittmacher implantiert. Am Ende bleiben nur eine kleine Narbe an dieser Stelle und die Drähte, die durch die Haut hindurch fühl- aber nicht sichtbar sind.

Heilen kann die OP nicht, aber helfen

Der Schrittmacher muss danach noch individuell auf den Patienten eingestellt werden, was bis zu vier Wochen dauern kann. Die Einstellung geschieht durch die Haut hindurch mittels einer magnetischen Fernbedienung, die auch später zur Wartung des Geräts verwendet wird. Es gibt verschiedene Hersteller, Modelle und Funktionsweisen, vor allem, was die Stromversorgung betrifft: Jene mit einer nicht wieder aufladbaren Batterie halten drei bis vier Jahre und werden dann gegen neue ausgetauscht, ein relativ harmloser Eingriff. Andere verfügen über einen Akku, den der Patient etwa einmal die Woche aufladen muss, ebenfalls kabellos durch die Haut hindurch.

Die tiefe Hirnstimulation kann Parkinson nicht heilen - sie hilft aber Patienten, bei denen Medikamente nicht mehr wirken. "Wir können feststellen", sagt Bernhard Haslinger, "dass es nach zehn Jahren Patienten mit Stimulator besser geht als denen ohne." Wegen der riskanten Operation wird die Methode bei Patienten über 70 Jahren nicht angewendet, auch wenn die Parkinson-Erkrankung bereits zu einer Demenz geführt hat, wird nicht mehr operiert.

Wenige Einschränkung nach dem Eingriff

30 000 Euro kostet die Operation, wovon der Großteil allerdings auf die Hardware, also die Geräte entfällt. Neben den üblichen Untersuchungen - "ein Parkinson-Patient gehört sowieso zum Neurologen", sagt Haslinger - hat der Erkrankte relativ wenig zu beachten: Wegen des Magnetfelds darf er nicht mehr in den Kernspintomografen, für den Sicherheitscheck am Flughafen bekommt er einen Ausweis, der das Metall in seinem Körper erklärt.

Nur einmal kam ein Patient mit einer unerklärbaren Komplikation zu Haslinger: Der Stimulator arbeitete nicht mehr, obwohl er offensichtlich nicht defekt war. Erst nach längerem Nachfragen fiel dem Patienten ein, dass er beim Krankengymnasten war. Dieser hatte ihn mit Reizstrom behandelt, ohne zu wissen, was er damit anrichtet: Der Strom hat den Schrittmacher fürs Gehirn einfach ausgeschaltet.

Anzeichen für Parkinson

Etwa 300 000 Menschen in Deutschland, so wird geschätzt, sind an Parkinson erkrankt, gleich viele Männer wie Frauen - davon rund 75 Prozent an der idiopathischen Art, das heißt ohne äußere oder genetische Ursachen. Andere Formen, das sogenannte sekundäre Parkinson, werden etwa durch Medikamente ausgelöst, durch Entzündungen im Gehirn, aber auch durch Traumata, die das Gehirn erleidet wie beim früheren Box-Weltmeister Muhammad Ali. Die Krankheit beginnt meistens im Alter zwischen 50 und 60 Jahren, zunächst schleichend, und bleibt deshalb in vielen Fällen lange unbemerkt. Oftmals äußert sie sich zunächst durch Schmerzen im Rücken, die Schritte werden kürzer und die Stimme leiser. Das typische Zittern der Hände kann ein Symptom sein - allerdings gibt es auch Parkinson-Patienten, die von diesem Tremor ganz verschont bleiben. Die Deutsche Parkinson-Gesellschaft rät, auf folgende mögliche Anfangssymptome zu achten: Ist ein Arm angewinkelt und schlenkert beim Gehen nicht mit? Hat der (mutmaßliche) Patient eine vornüber gebeugte Körperhaltung? Einen leicht schlurfenden Gang? Zieht er ein Bein nach? Kommt es häufig vor, dass er stolpert oder stürzt? Leidet er an Antriebs- und Initiativmangel? Zieht er sich von Freunden und Angehörigen zurück, meidet er Kontakte und hat zu nichts Lust? Das können Anzeichen von Parkinson sein - eine endgültige Diagnose kann aber nur ein Arzt stellen. Geheilt werden kann Parkinson nicht. Die Therapie zielt daher in der Regel auf Symptome und Begleiterscheinungen. Neben der medikamentösen Behandlung spielen Krankengymnastik, Ergo- und Logotherapie sowie psychologische Beratung eine Rolle. stha

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