Hilfsprojekt:Sonnenbrillen für Tibet

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Jürgen Altmann verteilt im Himalaja Sonnenbrillen. (Foto: N/A)

Durch die hohe UV-Strahlung bekommen die Menschen im Himalaja oft schon früh schwere Augenkrankheiten. Der Münchner Gastronom Jürgen Altmann will helfen.

Von Martina Scherf

Jürgen Altmann steht in seiner Aroma-Kaffeebar im Glockenbachviertel, schwarzes Biker-T-Shirt, schwarzes Baseball-Cap, grauer Drei-Tage-Bart. Draußen sitzen junge Leute mit schicken Sonnenbrillen an den Kaffeetischen und genießen den Münchner Sommer. Altmann nimmt einen Schluck vom stillen Wasser, das vor ihm steht, und zeigt auf die Fotos an einer Wand: lachende Tibeter, auch sie tragen Sonnenbrillen. Und je länger er erzählt von den Menschen in Ladakh, von den Bergen und der unbarmherzigen Sonne im Himalaja, desto mehr scheint er in Gedanken schon wieder dort zu sein: mit dem Motorrad entlang der höchsten Gipfel der Welt und einer Mission im Gepäck.

Die nächste Reise ist schon geplant. Im Lager hinter seiner Kaffeebar haben sich wieder kistenweise Sonnenbrillen angesammelt. Mehr als 10 000 Stück hat er in den vergangenen Jahren schon nach Ladakh gebracht. Männer, Frauen und Kinder in den kargen Bergregionen tragen sie und schützen so ihre Augen vor der UV-Strahlung. Die ist in der extremen Höhe so aggressiv, dass die meisten Menschen an schlimmen Augenkrankheiten leiden und sehr viele früher oder später erblinden.

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Das hat Altmann schnell erkannt, als er vor zehn Jahren das erste Mal in den Himalaja gereist ist. Der Münchner wollte sich eine Auszeit gönnen vom Alltag, von der dauernden Anspannung, die die Selbständigkeit als Gastronom mit sich bringt - "aber nur in der Sonne liegen, das ist nichts für mich", sagt der 50-Jährige.

In die Fremde zog es ihn, aber zugleich suchte er nach einer sinnvollen Betätigung - und so landete er in einer buddhistischen Sozialstation in Ladakh. "Vorher wusste ich gar nicht genau, wo das liegt, ich kam in Delhi an und musste erst einmal fragen, wie ich dahin komme." Der nördlichste Zipfel von Indien ist eine karge, steinige Gegend, mit weit verstreuten Siedlungen, alle auf mehr als 3500 Metern Höhe.

Altmann hat sich dann ein Motorrad geliehen, eine Royal Enfield. "Das ist das beste Bike für diese Gegend", sagt er. Die Engländer ließen die Maschinen einst in Indien produzieren und setzten sie fürs Militär in den unwegsamen Bergregionen ein. Damit fuhr der Münchner also die Pässe hoch bis zur Sozialstation in Leh, wo er mehrere Wochen lang im Waisenhaus, im Altenheim und in einem Krankenhaus mitarbeiten sollte.

Die Einheimischen haben keinen Schutz vor der Sonne

Der Kurzzeit-Aussteiger war berührt von der Gastfreundschaft der Menschen. "Wenn ich in ein entlegenes Dorf kam und fragte, wo ich übernachten könnte, bekam ich immer einen Schlafplatz in einer Jurte und etwas zu essen. Die Leute arbeiten superhart, sie haben fast nichts, aber sie geben dir alles." Aber er sah auch, wie sehr sie unter der mangelnden medizinischen Versorgung litten, und wie schnell die brutale Sonne ihre Augen zerstört. "Sehr viele leiden schon in jungen Jahren am Grauen Star", sagt Altmann.

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Er selbst war - wie alle Touristen - auf seiner Motorradtour bestens ausgerüstet. "Das steht ja in jedem Reiseführer: Man soll eine Brille mit sehr gutem UV-Schutz mitnehmen." Nur die Einheimischen hatten keinen Schutz. Was lag da näher als die Idee, Sonnenbrillen in den Himalaja zu schicken?

Mit jeder Reise wuchs die Zahl der Brillen im Gepäck

Es blieb nicht bei der Idee. Zurück in München, sammelte Altmann im Bekanntenkreis Sonnenbrillen und hatte schnell die ersten 300 Stück beisammen. Bei der nächsten Reise nahm er einen Koffer voller Brillen mit, setzte sich wieder auf sein Motorrad - bald hatte er eine Royal Enfield gekauft und bei einem indischen Freund untergestellt - und klapperte die entlegensten Dörfer in den Bergen ab. Und mit jeder Reise wurden es mehr Brillen im Koffer.

Zu Hause wuchs der Kreis seiner Unterstützer. Inzwischen hat das Projekt eine eigene Website und ein Netzwerk von Helfern. Optikerfirmen prüfen und reinigen die Brillen umsonst, denn nur Gläser mit effektivem UV-Schutz werden nach Ladakh geschickt. Menschen von Finnland bis Spanien sammeln mittlerweile Brillen. Ein Schweizer Pfarrer gehört zu den fleißigsten Sammlern. Freunde in Indien und Nepal helfen beim Zoll, beim Transport und beim Verteilen.

"Mal bekomme ich ein Packerl mit vier gebrauchten Brillen geschickt, ein andermal kommen 400 neue von einem Hersteller, die wegen winziger Kratzer am Gestell nicht in den Verkauf gehen", sagt Altmann. Er nippt wieder an seinem Wasser. Das Lager ist proppenvoll. Die Logistik ist sein größtes Problem, denn jeder Tourist kann höchstens einen Koffer voller Brillen mitnehmen. Ständig sucht Altmann Menschen, die nach Indien oder Nepal reisen, Platz im Koffer haben und bereit sind, einen kleinen Umweg zu einer seiner Verteilstationen zu machen.

Zum Glück gibt es Menschen wie Anja Leinhoß und Andi Schmitt. Die beiden Landshuter sind Motorradfans, nein: Royal-Enfield-Enthusiasten, wie Altmann. Sie haben ihn bei einem Händler kennengelernt und waren sofort begeistert von der Idee, mit dem nächsten Urlaub einen guten Zweck erfüllen zu können. Leinhoß und Schmitt haben schon die Sahara und die Anden auf ihren Bikes durchquert, Australien und Indien. Jetzt sind sie zum ersten Mal im Himalaja unterwegs. Schmitt, von Beruf IT-Manager, hat vor der Reise in seiner Firma Brillen gesammelt. Im Münchner Hochhaus von Vodafone stellte er einen Karton auf und verteilte Tibet-Fotos von Altmann, "da kamen ganz schnell 720 Brillen zusammen". Mit zwei Koffern voller Brillen flogen die beiden nach Delhi.

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Verschüttete Wege nach der Schneeschmelze, Geröll und Schlaglöcher, dazu die extreme Höhe, das bedeutet für Mensch und Maschine keine leichte Tour. Altmann gab ihnen Tipps. Auch für den Khardung La, mit 5360 Metern Höhe der höchste befahrbare Pass der Welt. "Dort musste ich mein Moped schieben", erzählt Altmann und lacht, seiner Royal Enfield war die Luft ausgegangen. Ihm nicht.

Dem Mann aus Oberbayern, so scheint es zu sein, ist nichts zu schwer. Aufgewachsen in Bayerisch Zell, ist er heute mit buddhistischer Gelassenheit gesegnet. Er nimmt die Dinge, wie sie kommen. "Dann dauert es halt ein bisschen länger. Einen Platz zum Übernachten findet sich immer, notfalls im Daunenschlafsack im Freien." Und wenn an seinem geliebten Motorrad mal wirklich etwas kaputt geht auf den steinigen Pisten, "kommt sofort jemand, der hilft - und sei es, dass sie das Bike auf einen Lastwagen laden und zum nächsten Mechaniker bringen". Dann heißt es eben: Buttertee in einer Jurte trinken und warten, bis es weitergeht.

Altmanns Hoffnung: ganz Ladakh mit Sonnenbrillen zu versorgen, "das sind ungefähr 70 000 Stück". Und dann will er Shades of Love weiter nach Nepal ausdehnen. Er plant dort, mit der Augenklinik in Kathmandu zusammenzuarbeiten, so wie er es auch in Ladakh schon tut. "Die Ärzte organisieren 20- bis 30-mal im Jahr Augen-Camps in den abgelegenen Bergregionen und machen dort auch Netzhaut-Operationen wie am Fließband. Das zu sehen, hat mich total beeindruckt", sagte Altmann.

Feldarbeit mit Pflug und verspiegelter Sonnenbrille

Er sprudelt vor Ideen, wie man das Hilfswerk noch verbessern kann. Künftig will er kleine Bildergeschichten entwickeln, die den Leuten auch ohne Worte erklären, warum man eine Brille tragen sollte und wie man sie pflegt. Nicht alle Bewohner der abgelegenen Bergregionen verstehen auf Anhieb, was der Fremde auf seinem Motorrad von ihnen will. Einmal hielt er bei einer Gruppe Frauen auf einem Feld an, die mit ihren Sensen Heu ernteten. Er stieg von seinem Bike, setzte den Helm ab und öffnete seinen Koffer, "da ließen sie vor Schreck ihre Sensen und Körbe fallen und liefen davon".

Aber die meisten verstehen schnell, was der Deutsche ihnen bringt. Wenn sie einverstanden sind, fotografiert Altmann sie. "Ein Bauer, der mit seinen Yaks das Feld pflügte, nahm die Brille, grinste mich an und wollte sie nicht mehr absetzen. Jetzt pflügt er mit verspiegelter Sonnenbrille. Dieses Bild ist fest in meinem Kopf."

Inzwischen ist eine beeindruckende Fotogalerie von Brillenträgern entstanden. Die Bilder dienen dazu, weitere Sponsoren und Helfer anzusprechen. Einige der Tibeter lachen Altmann von der Wand in seinem Café an, sie inspirieren ihn, weiterzumachen. Zum Glück der Tibeter - und zu seinem eigenen.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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