SZ-Serie: Der Sound der Stadt:"Man hört das Gewicht der Masskrüge"

Psychologe Claus-Christian Carbon erklärt, wie die Klangkulisse im Hofbräuhaus die Stimmung der Gäste beeinflusst. In der Schwemme darf es nicht hallen und nicht klirren, aber laut sein darf es schon

Interview von Birgit Lotze, Welche Affekte löst bayerische Volksmusik aus?

Kurz vor Beginn des Oktoberfests erlebt das Münchner Hofbräuhaus, Inbegriff bayerischer Wirtshauskultur, die vollsten Tage des Jahres. Am Freitag rechnet man dort mit mehr als 30 000 Besuchern. Sie wollen zum Wiesnstart bereits das erleben, wofür sie nach München gekommen sind: das "echte" Bayern mit Bier, Blasmusik und Ziach - den Sound der Landeshauptstadt. Welche Einflüsse die Geräuschkulisse des Hofbräuhauses aus psychologischer Sicht auf die Gäste hat, erläutert Claus-Christian Carbon. Er leitet den Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität in Bamberg, der Region mit der weltweit höchsten Brauereidichte. Carbon forscht zu ästhetischer Wahrnehmung und beschäftigt sich viel mit Klangkulissen.

SZ: In der gut gefüllten Schwemme, dem Herzen des Hofbräuhauses, sind zuvorderst Blasmusik, eine hohe Gesprächskulisse und klirrende Gläser wahrnehmbar.

Claus-Christian Carbon: Die Akustik ist eine echte Herausforderung im Hofbräuhaus. Es soll laut sein, es soll angeregt diskutiert werden, aber es darf nicht hallen. Hall löst Beklemmung aus. Bei Hall verstehen wir unser eigenes Wort nicht mehr, das irritiert uns. Und Putz und Raumstruktur dürfen nicht klirrend wirken. Ein gewisser Dämpfungsfaktor ist also vonnöten.

Wenn Hall die Gemütlichkeit killt, was ist dann mit der Lautstärke?

Das ist auch ein Balanceakt. Es soll gemütlich und gesellig sein, aber nicht etwa ruhig oder chillig. Bei Lautstärke kommt Stimmung auf. Und wenn es laut wird, kann man auch mehr verkaufen. Zu laute Atmosphäre vertreibt allerdings. Und Menschen mit Hörproblemen bleiben außen vor.

Wieso verkauft man mehr, wenn es laut wird?

Lautstärke und Geselligkeit fördern die Stimmung und die Entscheidung, mehr zu essen und zu trinken - das geht Hand in Hand. Gerade Gesundheitsaspekte werden in so einer Stimmung schnell über Bord geworfen. Man ist dann stärker über den Bauch bestimmt.

Bauchbestimmt - eine Gelegenheit, nach der Küche zu fragen, die im Hofbräuhaus am Rande, aber doch in die Schwemme integriert ist.

Die Küche muss hörbar sein, will man Essen verkaufen. Und riechbar - aber keinesfalls abgekocht wie im Altenheim. Man muss also die Ablässe kontrollieren und sicherstellen, dass "gute" Küchenklänge in die Schwemme gelangen.

Was sind gute Klänge?

Das kommt darauf an, welches Ziel man hat. Ich habe viel zu Autos geforscht, deshalb ein Auto-Beispiel: Wenn ich eine Tür von einem 7-er Modell von BMW höre und die soll Stabilität verkörpern, schon Sportlichkeit, aber einer Elite vorbehalten, dann darf die nicht klackern. Sicherheit kann man durch satte und tiefe Klänge erzeugen. Deshalb macht eine 7-er-Tür nicht klack, sondern wuff.

Ein sattes "Wuff" suggeriert Wohlgefühl und Sicherheit - gilt das für alle Kulturen?

Nein, man nimmt zum Beispiel an, dass Japaner eine Aversion gegen tiefe Töne haben. Der Klang japanischer Autotüren ist höher, ein Klack. In unserem Kulturkreis nimmt man das Klack zwar auch als präzise und exakt wahr, aber nicht als wirklich hochwertig und sicher.

Warum ist das so?

Nur eine These, aber nicht unwahrscheinlich: Die Japaner leben tagtäglich mit Erdbeben, die erzeugen auch tiefe Frequenzen. Das wirkt beklemmend, suggeriert Gefahr. Selbst wenn man es kaum hören kann, da viel vom Frequenzspektrum im Infraschallbereich liegt. Aber genau das geht durch den Magen.

Zurück ins Hofbräuhaus: Einer der dominanten Klänge entsteht an der Spüle - und an zwei Regalen, in die die gespülten Gläser hineingerammt werden.

Das Klirren verursacht zwar Unbehagen, aber hier wirkt es authentisch. Man hört das Gewicht der Masskrüge. Wichtig ist, dass man nicht nur den Klang hört, sondern dass man darüberhinaus die Gläserwäscher bei der Arbeit sieht. Eine gewisse Derbheit lieben Menschen auch - vor allem, wenn sie von weither angereist sind und einfach mal das erleben wollen, was man als Gesamtkunstwerk Bayern bezeichnen könnte.

Welche Rolle spielt der Klang der Gläser beim Prosit?

Wenn man hört, dass andere anstoßen, wird man selber seine Anstoßfrequenz erhöhen. Denn die meisten Besucher des Hofbräuhauses sind relativ orientierungslos, in einer für sie ungewohnten Umgebung. Sie versuchen, das läuft unterbewusst, sich anzupassen. Durch das Anstoßen fühlen wir uns als Teil des Ganzen.

Sind solche Inszenierungen wichtig?

Überaus wichtig. Das ist ein Konzept, was unglaublich gut funktioniert, das darf man niemals sterben lassen. Menschen - Kinder noch mehr als Erwachsene - lieben solche Abfolgen, die sie nachmachen, von denen sie erzählen können. Und dann kommt außerdem noch eine freudige Erwartungshaltung dazu auf das kommende Anstoßen. So wie die Erwartungshaltung vormittags um 11 Uhr am Marienplatz, wenn Hunderte Menschen auf den ersten Ton des Glockenspiels warten. Beim Prosit hat das darüber hinaus noch den Beieffekt, dass über die Inszenierung auch noch mehr konsumiert wird.

Abgesehen von Ritualen wie diesem: Inwiefern beeinflusst auch der Klang der Musik unser Trinkverhalten?

Das kann man nicht so über einen Kamm scheren. Wir kriegen es meist gar nicht mit, wenn Musik uns zum Konsum anregt. Beim visuellen Eindruck, wenn etwas physisch da ist, kann man sich darüber austauschen und es letztendlich dann auch haptisch erfassen - also anfassen. Musik ist physisch schlecht erfahrbar. Man hört, dann ist es weg. Genauso ist es bei Trittgeräuschen, Hall und Schall.

Auch das ist unterschiedlich. Aber wenn wir in Süditalien eine sehr gute Pizza essen, und im Hintergrund läuft italienische Musik, dann denken wir nicht daran, dass wir so eine Art von akustischer Berieselung zu Hause als viel zu schmalzig abtun würden. In jener Situation allerdings passt das, und wir fühlen uns großartig. Es ist genau das, was wir eigentlich so auch erwarten und erleben wollen.

Im Hofbräuhaus treten wöchentlich mehr als 20 Kapellen auf - alles hervorragende Volksmusikanten.

Immer die gleiche Blasn, die immer gleich aufspielt - das ist vielleicht für die Touristen nicht merkbar, aber für die Stammgäste und das Personal. Gerade im Wirtshaus sind die besten Mitarbeiter meist über 50, 60 Jahre alt, gute und loyale Kräfte, die sollte man gut behandeln. Es gibt auch akustische Umweltverschmutzung. Wenn die Bedienungen und die Küchenkräfte im Hofbräuhaus durch schlechte Klänge gelangweilt oder gestresst würden, dann würden auch die Gäste das merken.

Es gibt im Hofbräuhaus keine Stimmungsmusik, nur handgemachte, echte Volksmusik.

Die Leute wollen ja bayerische Gemütlichkeit und Authentizität erleben. Deswegen gehen sie da hin. Da gehört traditionelle Volksmusik einfach dazu. Will man ein Geschäft machen, sollte man die Orientierungssuchenden abholen. Die Marke Bayern - inklusive Hofbräuhaus - ist etwas sehr Attraktives, hat eine große Vertrautheit, hohe Erkennung. Und wenn Menschen etwas erkennen, dann fühlen sie sich wohl. Was das Haus Wittelsbach da an Corporate Identity geschaffen hat, ist das beste auf der Welt.

Was würden Sie verbessern?

Das Hofbräuhaus ist eine sehr gute Marke, aber nur optisch bekannt. Es hat keinen unverwechselbaren akustischen Klang, an dem man es erkennen kann. Anders die Telekom oder Automarken wie BMW oder Audi: Die meisten können den Klang nicht vorsingen, aber jeder hat ihn im Kopf. Wenn sie den Klang hören, denken sie sofort daran. Das läuft automatisch - ideal, um Vertrautheit zu schaffen. Und Vertrautheit ist der Schlüssel für Wohlbehagen.

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