Schwabing:"Das geht nur in einer Dorf-Metropole wie München"

Schwabing: Charles Köhn wuchs in Schwabing auf, ging dann als Filmproduzent in die USA, jetzt ist er wieder zurück.

Charles Köhn wuchs in Schwabing auf, ging dann als Filmproduzent in die USA, jetzt ist er wieder zurück.

(Foto: cro)

In Schwabing befindet sich der gemütliche Erich-Mühsam-Platz, an dem Kinderwagen und ein paar Rollatoren das Bild prägen - und nur ein paar Meter weiter wuseln die Menschen an der Münchner Freiheit.

Von Philipp Crone

Ein leichtes Lebensrauschen um einen herum ist die schönste Entspannung. Deshalb sitzt zum Beispiel die 27-jährige Sandra Schmalzhuber an einem sonnigen Juni-Montagnachmittag auf einer Bank am Erich-Mühsam-Platz. Rechts von ihr die Tische des Bibulus, an dem sich zwei italienische Kellner über die Cinque-Stelle-Bewegung unterhalten, vor ihr drei weitere Bänke, auf denen ein Rentner mit Deutschlandfahne am Rollator sitzt und eine Mutter, deren Tochter alles will, nur nicht ruhig sitzen.

Es sind keine hundert Meter bis zur Leopoldstraße, und wenn Schmalzhuber von ihrem Buch aufblickt, kann sie die Autos vorbeirauschen sehen, aber nicht hören. Was sie hört, sind grüßende Fahrradfahrer, und neben ihr stimmt ein Mann, nachdem er sich mit lautem Seufzen hingesetzt hat, Donna Summers "I love to love you baby" an. Die Angestellte Schmalzhuber verabschiedet sich: Sie muss zurück ins Büro und später noch ihr Pferd ausreiten, wie jeden Tag. Es heißt Zar und ist mit der Niederbayerin von Wolfsburg 2016 nach München gezogen. Schmalzhuber geht. Charles Köhn, der singende Erschöpfte, singt weiter. Wer ist dieser Mann?

Zunächst einmal einer mit Diabetes, dem "nach längerem Gehen die Füße schmerzen, dass ich mich setzen muss". Als der Song "I love to love" aktuell war, Köhn war damals ein Teenager, war er noch gut zu Fuß. "Ich bin damals in fünf verschiedenen Clubs am Abend gewesen, die besten mit den schönsten Frauen waren in der Goethestraße." Köhn schaut auf zwei junge Männer neben sich, die je eine Limodose aufgezischt haben und ab und zu auf den grau zuziehenden Himmel schauen.

Er war etwa in deren Alter, als er mit seinen Eltern vor dem Mauerbau aus Magdeburg in den Westen nach München zog, er kannte bald die Club-Betreiber und die Schläger in der Goethestraße. "Der Metzger-Schorsch zum Beispiel, der hat immer ordentlich ausgeteilt." Köhn lernte Kellner, dann ging er auf ein Schiff der Norddeutschen Lloyd, mit 17, fuhr die Route über die USA in die Karibik. "Gastronomie war die einzige Branche, in der man die Welt entdecken konnte", sagt er und blickt über den Platz zum Griechen Daoulas Dimitros, der neben dem Restaurant ein kleines Lebensmittelgeschäft eröffnet und die Handwerker beaufsichtigt.

Köhn kam in der Gastronomie immer wieder mit Leuten ins Gespräch, auch welchen aus der Filmbranche. Bald handelte er mit Filmrechten, und das lief, er zog nach LA, für 20 Jahre. Köhn produzierte Filme, Fernsehfilme, vor allem auch Pornos, aber irgendwann liefen die nicht mehr. "Zwischenzeitlich fuhr ich Rolls Royce", behauptet er, jetzt lebt Köhn, nachdem er 2009 nach München und in sein Stammviertel Schwabing zurückkam, von einer knappen Rente. Der Mann sitzt auf seiner Bank, duzt die Menschen um ihn herum, grüßt die italienischen Kellner. Es wirkt, als ob er zufrieden wäre, zumindest an einem so schönen Frühsommertag.

Mehr Kinderwagen als Rollatoren

Ein Kind jagt fünf Tauben über das Kopfsteinpflaster, ein Mountainbiker klingelt sich den Weg mit einem tierisch trillernden elektronischen Klingelsound frei, ansonsten ist der Ort eine fast verkehrsbefreite Insel, eingebettet zwischen Herzog- und Leopoldstraße. Köhn sagt: "Ich habe den Eindruck, dass es in Schwabing viel weniger alte Leute gibt im Vergleich zu früher." Mehr Kinderwagen als Rollatoren, das ist schon nach einer halben Stunde unter den Bäumen des Erich-Mühsam-Platzes klar.

Als der Filmproduzent Köhn um die Welt reiste, wurde der Gemüsehändler Dimitros geboren, der es nun mit seinem Geschäft namens "Blaubeere" in Schwabing probiert. Zuletzt hatte er den Laden "Löwenzahn" in der Lindwurmstraße. Er steht in der Tür, hört dem mittlerweile aufgezogenen Platzregen zu und sagt: "Die Münchner Freiheit, eines der Münchner Zentren, ist hundert Meter von hier, und es ist so ruhig. Das geht nur in einer Dorf-Metropole wie München." Köhn hat sich wieder auf den Weg gemacht, er holt etwas von der Post und summt ein leises "I love to love you baby".

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