SZ-Lesercafé:Was Münchens Eltern bewegt

Wohin sollen Kinder nach der Schule? Wie lernen sie, mit Smartphones umzugehen? Stimmen vom SZ-Lesercafé.

"Schulstadt" nennt sich München gern. Dieser historische Titel rührt daher, dass München in pädagogischen Fragen früher einmal führend war, zumindest in Deutschland. Davon kann heute nicht mehr unbedingt die Rede sein, an Münchens Schulen wie auch bei der Kinderbetreuung liegt einiges im Argen - das wurde am Donnerstag wieder einmal offenkundig: Die Lokalredaktion der Süddeutschen Zeitung hatte zu einem SZ-Lesercafé geladen, um über genau diese Themen zu sprechen. Herauskamen dabei aber nicht nur Klagen über fehlende Hortplätze. Manche Leserinnen hatten auch ganz konkrete Ideen dabei, was sich in München bessern könnte. Eine Auswahl.

Als die Tochter von Daniela Cosenza in den Kindergarten kam, fing der Ärger an. "Damals ging es darum, überhaupt einen Platz zu bekommen, obwohl man Anspruch auf Betreuung hat." Worauf die Mutter nicht vorbereitet war: "Mit der Schule geht der Wahnsinn wieder los." Von September an soll Cosenzas Tochter die Balanschule besuchen, aber dort endet der Unterricht um 11.30 Uhr, und Aussicht auf eine Betreuung im Anschluss haben die Cosenzas weder in der privaten Mittagsbetreuung noch im zugehörigen Hort. Der städtische Kita-Finder spuckt auf Nachfrage immer nur den Status "auf Warteliste" aus; für die Eltern ist dort aber nicht zu erkennen, wie weit vorn oder hinten ihre Kinder auf diesen Listen stehen. Absagen sind mit dem neuen Vergabesystem abgeschafft worden, und beim Servicetelefon der Elternberatung ist Cosenza bislang nicht durchgekommen. Sie fordert: "Die Stadt muss ihren Fokus viel stärker auf den Ausbau von Kindergarten- und Hortplätzen legen." Denn in den ersten drei Lebensjahren ihrer Kinder könnten Eltern dank des Rückkehrrechts in den Job leichter eine berufliche Auszeit nehmen; später drohe ihnen der Verlust ihres Arbeitsplatzes.

Im September ist es so weit, dann ist ihr Enkel ein Schulkind an der Weilerschule in Au-Haidhausen. Das ist schön, einerseits. Andererseits macht Regine Plettner-Cantow sich Sorgen. Wohin soll das Kind, wenn die Schule aus ist? "Die Eltern hängen völlig in der Luft. Ich bin die Großmama, die es dann wahrscheinlich trifft", sagt die 76-Jährige. Am Tag der Schuleinschreibung ist sie vorsichtshalber schon mal mitgegangen, "damit ich weiß, wo ich ab September hinlaufen muss". Wenn sie einen Betreuungsplatz zahlen müssten, könnten sie sich gleich eine andere Wohnung suchen, hat die Tochter neulich zu ihr gesagt - weil die jetzige dann zu teuer wäre. Die Tochter ist halbtags berufstätig, der Schwiegersohn hat einen fordernden Job in der Hotellerie. "Es ist hässlich, wie sich diese Situation in München aufbaut", findet Plettner-Cantow. Sie selber blieb einst als Mutter zu Hause, engagierte sich viele Jahre im Elternbeirat. "Die Themen Schule und Bildung haben mich immer interessiert." Der Preis dafür, dass sie als Mutter ganz für ihre Kinder da war: Ihren spannenden Job als Dolmetscherin gab sie auf. "Das bereut man dann im Alter mit der Rente."

Schlagworte wie Digitalisierung fallen häufig in Bildungsdebatten. Smartphones, Tablets, Laptops, soziale Medien, Messenger-Dienste: Kinder und Jugendliche kennen sich damit sehr gut aus, in der Schule aber spielen Geräte und Apps, ja digitale Inhalte insgesamt nur eine untergeordnete Rolle. Handys sind sogar generell im Unterricht verboten. Petra Griebel wünscht sich daher eine konkretere Debatte statt nur öffentliche Anprangerungen. Sie leitet das Institut für innovative Bildungskonzepte, das Schulen Projekte bietet, die vom Frontalunterricht wegführen. Die Kinder sollen selbst experimentieren, forschen oder bauen. Und genau das sollte auch in der digitalen Bildung passieren: "Wir brauchen ein Konzept, dass Kinder die reale und die virtuelle Welt erfahren können, ohne dass eine Seite herunterfällt", sagt Griebel. Es sei wichtig, dass Schüler nicht nur wüssten, wie Geräte oder Medien zu bedienen sind, sondern auch, welche Gefahren es gibt und wie sie diese vermeiden könnten. Dafür aber müssten Schulen erst einmal mit schnellem Internet und moderner Technik ausgestattet sein.

"Eltern stehen heute sehr unter Druck", sagt Tagesmutter Johanna Ruster-Michail. Das Kind soll möglichst schon im Kindergarten mit einer Fremdsprache und Yoga beginnen, nach der Grundschule kommt selbstverständlich das Gymnasium und nach Abitur und Studium der gut bezahlte Job. "Alle laufen diesem Mainstream hinterher", klagt Ruster-Michail. Dabei wäre es so wichtig, dass Eltern heute sich einen Raum schüfen zum Nachdenken - damit sie herausfinden könnten, was für sie, ihre Kinder und die Familie im Ganzen angenehm sei. "Wir haben das Gefühl für das richtige Maß verloren", sagt die Tagesmutter. Frauen seien gefangen in Vorurteilen: Wer arbeite, werde als Karrierefrau um jeden Preis abgestempelt, und wer daheim bleibe, unterstütze die Behauptung, dass Frauen an den Herd gehörten. "Dabei kann doch jede Familie ihren eigenen Weg beschreiten", sagt Ruster-Michail.

Aus ihrem Bekanntenkreis weiß Barbara Hofmann genau: Es gibt viele Rentner, die jede Menge Zeit haben, fit sind und sich über eine sinnvolle Aufgabe freuen. Und von ihrer Tochter weiß sie, wie dringend Eltern in einer Großstadt Unterstützung brauchen. Nächstes Jahr kommt ihre Enkelin in die Schule. "Meistens müssen einfach Vater und Mutter berufstätig sein. Dann entsteht nach der Schule aber eine Lücke, in der sich jemand um die Kinder kümmern muss", sagt Hofmann. Sie hat eine Idee, wie man die Lücke füllen könnte: "Omas kochen für Schulkinder, so was müsste man aufziehen!" Zwar fühlt sie sich selbst zu alt, um die Initiative zu ergreifen, "Versicherungshürden gibt es sicher auch". Und praktische Fragen zu lösen wie die, wo überhaupt gekocht und gegessen werden kann: "Aber manchmal haben Schulen da eine Möglichkeit, oder jede Oma lädt sich zwei Kinder nach Hause ein", sagt Hofmann. Sie kritisiert, dass sich Eltern heute zu oft auf Behörden verließen: "Eltern müssen sich häufiger selbst eine Lösung einfallen lassen und in der Nachbarschaft aktiv werden."

"Der Lehrermangel macht mir schon Sorgen", sagt Waltraud Lučić, Vorsitzende des Münchner Lehrerverbands. Die bayerische Landeshauptstadt stehe vor ganz anderen Problemen als ländliche Kommunen in Bayern. Zum einen seien die Lebenshaltungskosten für Junglehrer hier zu hoch, weshalb viele ihren Dienst erst gar nicht anträten. Zum anderen sei die Geburtenrate in München sehr hoch - das bedeute nicht nur mehr Kinder, sondern auch, dass mehr Lehrerinnen wegen Schwangerschaft ausfallen. Der Pool an Vertretungslehrern müsse daher in München aufgestockt werden, fordert Lučić. Bis es ausreichend Lehrer gibt, müssen viele Schulen weiter improvisieren und mit externen Partnern zusammenarbeiten. "Man muss Anreizsysteme schaffen, sonst wird es nicht gehen."

Noch hat Marion Kutscher keine Enkel. Aber wenn, "dann möchte ich nicht, dass sie dieses Schulsystem durchleben müssen". Denn es sei doch schlimm, was Schulen oft mit Menschen anrichteten, mit Eltern wie Kindern, sagt sie. "Wir brauchen Alternativen für Menschen, die dem System nicht gerecht werden können oder wollen." Die Schule selbst sei aufgrund vieler Zwänge kaum zu reformieren. Vor zehn Jahren hat Kutscher daher eine Vision entwickelt: "offene Lernorte". Es geht, grob gesagt, um Quartierszentren, wohin Kinder gehen können, von ihnen mitgestaltet, nicht nur von Erwachsenen. Orte des Lernens, getragen auch von Vereinen und Ehrenamtlichen. Diese Idee hat Kutscher ins Netz gestellt unter www.offene-lernorte.de, viel mehr passiert ist seitdem nicht. Einmal habe sie sie dem Kultusstaatssekretär Georg Eisenreich vorgestellt, erzählt Kutscher. Der habe gesagt: Ja, das wäre nicht schlecht. Und dann? "Es ist nix draus geworden", sagt Kutscher. Dafür, dass Schule weniger belastend ist, will sie trotzdem weiter werben.

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