SZ-LESERCAFÉ:Was man so zum Leben braucht

Mit dem Angebot von Geschäften und Gastronomie sind die Menschen im Südwesten der Stadt weitgehend zufrieden. Eine echte Einkaufsmisere ertragen muss dagegen, wer im Nordteil von Fürstenried-West wohnt

Von Julian Raff

Knapp eine Viertelmillion Menschen lebt zwischen der Brudermühlstraße, dem Klinikum Großhadern, dem Westpark und Solln - Tendenz steigend. Nicht nur im 19. Stadtbezirk Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln wird gebaut, was der Betonmischer hergibt - und nicht nur dort fragen sich Bürger, Stadtplaner und Politiker, ob der Bestand an Läden, Gastronomie und allem, was man so zum Leben braucht, adäquat mitwächst. Von echten Versorgungskrisen ist auf Bürgerversammlungen oder in den Bezirksausschüssen (BA) Sendling, Sendling-Westpark und Hadern aber selten zu hören. Auch das durch Mietwucher und Internethandel verursachte Fachgeschäfte-Sterben bleibt vorerst ein innerstädtisches Übel.

Trotzdem: Auch im Südwesten schließen reihenweise Bankfilialen oder Metzgereien, vor allem aber kleine, zu Fuß erreichbare Quartiersläden. Und die verbleibenden Großmärkte produzieren unnötige Verkehrsströme. Bürger und BA-Chefs sorgen sich nicht zuletzt um die Einkaufsmöglichkeiten für Senioren und um die nachbarschaftliche Kommunikation in vielen Wohnvierteln. Zu den ruhigen, aber unterversorgten Ecken gehört zum Beispiel die Krüner Straße in Sendling-Westpark, wo im vergangenen Herbst ein kleiner, gut besuchter Vollsortimenter dicht machte, nachdem sich Betreiber und Vermieter nicht über Sanierungskosten hatten einigen können. Als halbwegs erreichbare Alternative bietet sich dort wenigstens der Partnachplatz an.

Richtig karg geht es einen Kilometer nordwestlich rund um den Pfrontener Platz zu. Das Dreieck aus Westendstraße, Mittlerem Ring und dem Zubringer zur Lindauer Autobahn A 96 macht die Gegend zur Insel - idyllisch, aber weit vom Schuss, obwohl kaum fünf Kilometer vom Marienplatz entfernt. Die Zerschneidung Sendling-Westparks durch große Verkehrsachsen bleibt aber auch dort spürbar, wo sie inzwischen überwunden ist. Klagen über schlechte Versorgung erreichen BA-Chef Günter Keller (SPD) etwa aus der Wohngegend um die Höglwörther- und Murnauer Straße, in der viele ältere Menschen leben. Mit Neubauten, Nachverdichtung und steigender Wohnqualität dürfte das Quartier zwischen Südpark und Ring nach Eröffnung des Kiesselbach-Tunnels aber auch für Handelsketten interessanter werden, hofft Keller.

SZ-LESERCAFÉ: Ärgerliches: An der Fürstenrieder Straße steht ein großer Bürokomplex leer, dort ist seit Langem ein Quartierszentrum geplant.

Ärgerliches: An der Fürstenrieder Straße steht ein großer Bürokomplex leer, dort ist seit Langem ein Quartierszentrum geplant.

(Foto: Stephan Rumpf)

Dass auch gute und etablierte Standorte veröden können, zeigt sich an der Ecke Waldfriedhof-/Fürstenrieder Straße. Wenig ansehnlich, aber praktisch, beherbergte ein großer Büro- und Ladenblock dort bis Anfang des Jahrzehnts eine Filiale der Hypovereinsbank und einen Tengelmann. Seitdem steht das Ensemble leer. Der durchgeplante und bereits für 2015 versprochene Bau eines modernen Quartierszentrums mit Läden und Dienstleistern ist seither nicht vorangekommen, obwohl BA und Stadt das Projekt ungeachtet einiger lösbarer Probleme bei der Anlieferung begrüßen. Gastronomisch sieht Keller seinen Bezirk nicht schlecht gestellt, sieht man einmal von fehlenden Versammlungsräumen für Vereine ab.

Wenig Zukunft scheint dem viel zitierten "kleinen Laden um die Ecke" auch weiter östlich in Sendling beschieden. Erst kürzlich schlossen dort zwei kleinere Lebensmittelmärkte an der Lindenschmit- und der Oberländerstraße, was viele Anwohner ebenso wie der BA-Vorsitzende Markus Lutz (SPD) bedauern. Ein Einkaufszentrum aus Aldi und Edeka an der Implerstraße kann das Defizit kaum auffangen, da es am nördlichen Rand Sendlings liegt. Die Konzentration im Einzelhandel ist ein bekanntes Phänomen, keinen Reim machen kann sich Lutz dagegen darauf, dass ausgerechnet rund um die Großmarkthalle viele Obst- und Gemüsehändler aufgegeben haben. Nur spekulieren können er und der gesamte Sendlinger Bezirksausschuss auch über die Zukunft der Großmarkthalle und der angegliederten Sortieranlage nördlich des Gotzinger Platzes. Der markante Dreieckskomplex steht großteils leer und könnte nach einer Sanierung zum festen Stadtteilmarkt werden, zumindest setzt sich dafür eine neue Bürgerinitiative ein. Die Nachfrage nach Feinkost und Spezialitäten belegen jedenfalls ordentlich besuchte Wochenmärkte am Margareten- und Resi-Huber-Platz. Gastronomisch gesehen, gibt es im Herzen Sendlings mit seinen gestandenen Wirtshäusern und Spezialitätenlokalen wenig auszusetzen. Lediglich die neu hergerichteten Freiflächen am Harras könnten besser bespielt werden, findet Lutz.

Weiter südwestlich, im 19. Stadtbezirk, hat vor allem der Wandel Bestand, wobei die zahlreichen Neubaugebiete mittlerweile nicht mehr ohne ausreichende Ladenkapazitäten geplant werden. Zwar hat die überraschende Schließung des Real-Großmarktes an der Boschetsrieder-/Machtl-fingerstraße vor einem halben Jahr eine Lücke gerissen, allerdings zeigt sich BA-Chef Ludwig Weidinger (CSU) zuversichtlich, dass es nicht dabei bleibt. Ein baldiger Ersatz für das marode Einkaufszentrum sollte jedenfalls nicht an der Stadtverwaltung scheitern, die wohl auch einen höheren Neubau "großzügig" genehmigen werde, erwartet Weidinger.

Machtlfinger Straße: Der Real-Markt wird beerdigt

Die Schließung des Real-Marktes an der Boschetsrieder Straße wurde mit Sarkasmus quittiert.

(Foto: Florian Peljak)

Mit einer echten Einkaufsmisere leben muss dagegen, wer im Nordteil von Fürstenried-West wohnt: Um einem Wohnbau-Projekt Platz zu machen, schloss Ende 2011 an der Bellinzonastraße der einzige Supermarkt weit und breit - in einem Gebiet, das mit fast 600 weiteren Wohnungen nachverdichtet werden soll. Immerhin wird gleichzeitig ein bestehendes Ladenzentrum massiv ausgebaut, allerdings einen guten Kilometer weiter südöstlich, an der Königswieser Straße. Wenig Kritik an der Versorgungslage bekommt Johann Stadler (CSU) zu hören, der als BA-Chef und Stadtrat die Haderner vertritt. Auch er weiß, dass es in Hadern "nicht mehr Geschäfte geworden sind" in den vergangenen Jahren. Insgesamt sehen sich die Menschen hier im Viertel durch die Geschäfte am Haderner Stern und im Dorfkern an der Heiglhofstraße aber ganz gut versorgt. Vielleicht, mutmaßt Stadler, ist der Haderner auch einfach "nicht so motzig" wie anderswo in München.

Ein Rest wutbürgerlicher Wallung geht ganz im Zorn über die Verkehrs- und Parksituation auf. Die Haderner, so Stadler, müssten sich hauptsächlich damit herumschlagen, dass dort täglich Zigtausende Klinikmitarbeiter und Besucher, Medizinstudenten und Pendler aus dem Würmtal einfallen und Straßen und Parkplätze verstopfen. Dass obendrein zahlreiche Einheimische auf motorisierter Einkaufsfahrt hinzukommen, macht es für Stadler natürlich nicht besser. Eine beruhigende Besonderheit fällt ihm aber ebenso wie den Kollegen und Mitbürgern aus anderen Stadtteilen auf: Wenn etwas offenbar noch in den ödesten Einkaufswüsten gedeiht, dann eine Bäckerei mit Stehcafé.

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