SZ-LESERCAFÉ:Das blühende Leben

Der Tunnel am Luise-Kiesselbach-Platz hat eine Straßenschneise beseitigt, die das Viertel getrennt hat. Wo früher jede Menge Autos unterwegs waren, steht nun eine Allee. Doch ist wirklich alles besser geworden?

Von Berthold Neff

Er ist weg. Der Lärm ist weg, der den Menschen an der Heckenstallerstraße die Tage und vor allem die Nächte zur Hölle gemacht hat. Jetzt ist alles anders. "Jetzt ist richtig Ruhe", sagt Udo Zimmermann, der von seinem Balkon im ersten Stock des Wohnblocks an der Konrad-Celtis-Straße 35 einen guten Blick hat auf das, was über der Tunneldecke entsteht. Seit zehn Jahren wohnt er hier, hat das Getöse der Autos ertragen und das der Tunnelbauer. Aber jetzt ist alles gut.

Fast zwei Jahre ist es nun her, dass die Autolawine des Mittleren Rings auf ihrem Weg durch Sendling-Westpark auf etwa 2,8 Kilometern Länge ihren Weg durch den Untergrund nimmt. Nahezu 400 Millionen Euro wurden für dieses Projekt verbuddelt. Und mittlerweile sieht man auch schon ziemlich klar, wie sich das Leben an der Oberfläche verändert, seit die täglich 120 000 Autos durch die Röhren und den Trog rollen. Der etwa fünf Fußballfelder große Heckenstallerpark ist in seinen Konturen gut erkennbar, die ersten Rasenflächen leuchten schon im zarten Grün. Und die Hochpromenade, die sich durch die gesamte Garmischer Straße zieht, glänzt durch eine veritable Allee, die Zierkirschen stehen in Reih und Glied.

SZ-LESERCAFÉ: Die Arbeiten am Heckenstallerpark kommen gut voran.

Die Arbeiten am Heckenstallerpark kommen gut voran.

(Foto: Catherina Hess)

Schön und gut, aber ist es wirklich alles Gold, was hier entlang der Häuserfronten glänzt? Wo viele Fassaden immer noch grau sind von all dem Ruß, den die Autos jahrzehntelang in die Luft geblasen haben? Und wie wird sich ein Viertel wie Sendling-Westpark verändern, das jetzt auch dort zusammenwachsen darf, wo es bisher durch eine lebensfeindliche Autoschneise getrennt wurde? Steigen die Mieten, können sich Geringverdiener ihre Wohnungen nicht mehr leisten?

Günter Keller ist jemand, den man um Antworten auf solche Fragen bitten kann, denn er kennt dieses Viertel wie sonst wenige. Seit 1982 gehört er dem Bezirksausschuss (BA) an, war drei Jahrzehnte lang SPD-Fraktionssprecher, seit 2014 ist der 67 Jahre alte Diplom-Mathematiker BA-Vorsitzender. Ihn rufen die Leute an, wenn es Probleme gibt, und da er auch den Unterausschuss Verkehr leitet, kennt er so gut wie jede Kreuzung und jeden Zebrastreifen im Viertel.

SZ-LESERCAFÉ: Es wird weiter gebaggert: Die Bürogebäude entlang der Heckenstallerstraße weichen Wohnungen, die Tiefgarage im ersten Bauabschnitt ist schon fertig.

Es wird weiter gebaggert: Die Bürogebäude entlang der Heckenstallerstraße weichen Wohnungen, die Tiefgarage im ersten Bauabschnitt ist schon fertig.

(Foto: Catherina Hess)

"Für viele Menschen bedeutet der Tunnel eine große Erleichterung", sagt Keller, "aber der Tunnel hat auch seine Schattenseite, weil er noch mehr Verkehr anzieht." Bewohner zum Beispiel der Südpark- und Einhornallee spüren dies bereits, hier wird der Ruf nach Lärmschutzwänden laut. Und wenn im Tunnel zur Rush-Hour nichts mehr rollt, weichen viele nach oben aus. "An der Oberfläche ist mehr Verkehr übrig als man allgemein angenommen hat", sagt Keller. Da die vorgeschriebenen offiziellen Messungen der Autos und der Schadstoffe erst im Herbst anlaufen, wenn auch der letzte Bagger abgestellt ist, hat Keller selbst gezählt. Zur Hauptverkehrszeit ermittelte er bis zu tausend Fahrzeuge pro Stunde und Fahrtrichtung, "wenig ist das nicht".

Aber im Vergleich zu früher bedeutet es für die Anwohner eine große Entlastung. Hinzu kommt, gerade für ältere Menschen, dass es nun recht einfach ist, die Garmischer Straße zu überqueren, zwischen den Zierkirschen hindurch. Die Autos hatten das Viertel an dieser Stelle in einen Ost- und einen Westteil getrennt, aber nun sind sie kaum noch ein Hindernis. Das neue Alten- und Service-Zentrum (ASZ), das in Kürze in der GWG-Anlage an der Garmischer Straße eröffnet, wird also problemlos zu erreichen sein.

SZ-LESERCAFÉ: Nur die Bänke fehlen noch: Auf der Hochpromenade an der Garmischer Straße warten die Bäume auf gutes Wetter zum Wachsen.

Nur die Bänke fehlen noch: Auf der Hochpromenade an der Garmischer Straße warten die Bäume auf gutes Wetter zum Wachsen.

(Foto: Catherina Hess)

Keller zufolge ist es von unschätzbarem Wert, dass viele Wohnungen entlang des Mittleren Rings, deren Bewohner nun vom Tunnel profitieren, den städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und Gewofag gehören. "Das verhindert, dass die Mietpreisspirale in Gang kommt", sagt Keller. Dass die Preise anziehen, sieht man bei dem Bauprojekt Luisen-Grün der Terrafinanz an der Heckenstallerstraße, wo der Ring zwar nicht im Tunnel, aber immerhin in einem tiefergelegten Trog verläuft. Im ersten Bauabschnitt, für den gerade die Tiefgarage entsteht, ist schon alles verkauft, im zweiten sind noch 42 Wohnungen zu haben, bei Preisen von etwa 7500 Euro pro Quadratmeter.

Dass es deshalb darauf ankommt, den Bestand zu schützen, hat die Stadt noch rechtzeitig erkannt und Anfang 2016 eine Erhaltungssatzung für das Gebiet rund um den Luise-Kiesselbach-Platz beschlossen, die etwa 22 000 Einwohner schützen soll. Man will die Gefahr verringern, dass Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden und Mieter durch Luxusmodernisierungen verdrängt werden.

Während der Südwest-Tunnel seine oberirdischen Effekte vor allem in Sendling-Westpark zeitigt, dürfte ein weiteres Projekt der Stadt so ziemlich alle Viertel im Südwesten treffen - die Tram-Tangente vom Romanplatz bis zur Aidenbachstraße. Im Prinzip ist das Vorhaben vom Stadtrat schon beschlossen, doch die örtlichen CSU-Vertreter sind dagegen. Vor allem in der ohnehin schon hoch belasteten Fürstenrieder Straße befürchten sie einen Dauerstau. Johann Stadler (CSU), der BA-Vorsitzende in Hadern, findet die Tangente überflüssig. Anstatt dafür viel Geld auszugeben, sollte man die Buslinien entlang dieser Trasse verstärken. Dass der Verkehr allerorten zunimmt, sieht Stadler täglich, denn er wohnt an der Großhaderner Straße, unweit der Lindauer Autobahn A 96. Der Stau am Morgen sei dort mittlerweile der Normalzustand.

Patentrezepte gegen den Stau sind hingegen rar - und sie würden viel Geld kosten. Die Grundidee müsse aber sein, dass man die Autos gar nicht erst in oder durch die Stadt fahren lässt, sagt Günter Keller. Er findet, dass man langfristig doch noch den Autobahn-Südring bauen sollte, um den Fernverkehr um die Stadt herum zu führen. Vor allem aber müsste man den öffentlichen Personennahverkehr stärken, massiv ausbauen. Was spricht, fragt Keller, gegen eine Monorail-Strecke, die auf dem Autobahn-Mittelstreifen aufgeständert ist und so die Region mit der Stadt verbindet? Und die Lindauer Autobahn könnte man, um die Anwohner zu entlasten, von Park-and-Ride-Anlagen überspannen lassen, die zugleich dem Lärmschutz dienen. Ein Nebeneffekt wäre, dass solche intelligent platzierten Bauprojekte nicht noch mehr Grün versiegeln.

Vor allem heute, da angesichts der Wohnungsnot die Nachverdichtung um sich greift und das Grüne frisst, brauchen die Menschen im Südwesten dringend ihre Oasen. Der Südpark und der Westpark werden künftig, da große Siedlungen in der Nachbarschaft an der Drygalski-Allee entstehen, wichtiger denn je sein. So wichtig wie die blühende Allee der Zierkirschen für die Menschen an der Garmischer Straße.

Das SZ-Lesercafé öffnet am Dienstag, 30. Mai, 11 bis 19 Uhr, in Aumüllers Brotfabrik, Kistlerhofstraße 70 (U 3 Aidenbachstraße).

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