SZ-Adventskalender:Zurück im Land des Großvaters

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Karina Ruf ist aus Sorge um das Leben ihrer Familie von Venezuela nach Deutschland gezogen - sie wollen eine Existenz aufbauen, aber noch fehlt das Nötigste

Von Inga Rahmsdorf, München

Venezuela hat er auf dem Globus schnell gefunden. Máximo zeigt mit dem Finger auf das südamerikanische Land. Dort leben seine Großeltern, seine Freunde, dort war sein Zuhause, sein altes Leben. Dann irrt sein Finger durch Europa. Irgendwo hier muss Deutschland sein. Das hat er auch gelernt. Aber was bedeutet das schon für einen Sechsjährigen? "Seit wir in Deutschland sind, denkt Máximo, dass wir nun auf einem anderen Planeten leben", sagt seine Mutter.

Máximo möchte gerne Gitarre spielen lernen, aber seine Eltern können den Unterricht nicht zahlen. (Foto: Catherina Hess)

Es war eine schwierige Entscheidung für seine Eltern, Venezuela zu verlassen. Doch Karina Ruf und Jesus Ramon Rodríguez wollten nicht mehr in Angst leben. Und die beiden 32-Jährigen wünschen sich eine Zukunft für ihren Sohn. "Wir wollten ein normales, friedliches Leben", sagt Karina Ruf. Jeden Tag, wenn Jesus Ramon Rodríguez in Venezuela zur Arbeit ging, hatte seine Frau Angst, dass er nicht zurückkommen würde. Rodríguez war Polizist. Ein gefährlicher Beruf in dem Land, das zunehmend im Chaos versinkt. "Viele meiner Kollegen sind ermordet worden", sagt Rodríguez. Überfalle, Entführungen und Morde haben stark zugenommen. Auch er und seine Familie sind bedroht worden. Zudem wird es in Venezuela immer schwieriger, Lebensmittel und Medikamente zu kaufen. "Die gibt es fast nur noch auf dem Schwarzmarkt", sagt Ruf. Von seiner Arbeit als Polizist konnte die Familie schon lange nicht mehr leben. Und so arbeitete Rodríguez nebenher noch als Bodyguard für eine andere Familie und schlief kaum noch. Wer es sich leisten kann, der stellt eine persönliche Leibwache ein. "Und wer irgendwie kann, der verlässt das Land", sagt Karina Ruf. "Wir hatten Glück."

Karina Ruf besitzt auch einen deutschen Pass. Ihr Großvater zog einst von Deutschland nach Venezuela. Zwei Generationen später wird der deutsche Pass plötzlich entscheidend für seine Enkelin. Und sie flieht mit ihrer Familie in die andere Richtung. Als sie vor einem Jahr in München landeten, kamen sie zum ersten Mal nach Deutschland. Der Kinderreim "Hoppe hoppe Reiter, wenn er fällt dann schreit er", war das einzige, was der Großvater seiner Enkelin auf Deutsch beigebracht hatte, sonst hatte er nur Spanisch mit ihr gesprochen.

Der Start in München war nicht einfach für die Familie. Das erste Jahr wohnten sie in einem Zimmer in einer Pension für Obdachlose. In Venezuela lebten sie in einem Haus und waren eng eingebunden in die Großfamilie. Besonders Máximo fiel die Umstellung schwer, er hat Entwicklungsverzögerungen und besucht nun ein Frühförderzentrum. Doch Ruf und Rodríguez wollen sich nicht beklagen. Sie lernen intensiv Deutsch in einem Sprachkurs und haben vor Kurzem eine kleine Mietwohnung gefunden. Noch beziehen sie Sozialleistungen, doch ihr größter Wunsch ist es, wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können und selbst ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie wollen ihre Studienabschlüsse anerkennen lassen und sich weiterbilden. Ruf war Fernsehmoderatorin, Rodríguez würde gerne wieder als Polizist arbeiten. Wenn das nicht möglich ist, im Sicherheitsdienst. "Wenn du in ein neues Land kommst, musst du dich anpassen", sagt Ruf. "Wir müssen nach vorne schauen." Máximo möchte gerne Gitarre spielen lernen und seine Eltern würden ihm gern den Unterricht ermöglichen, doch dafür reicht das Geld nicht.

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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