SZ-Adventskalender:Wo in München Bedürftigkeit und Armut zu Hause sind

SZ-Adventskalender: Wenn Peter Trischberger Geschenke an Bedürftige liefert, kommt es manchmal auch zum Plausch in der Wohnung.

Wenn Peter Trischberger Geschenke an Bedürftige liefert, kommt es manchmal auch zum Plausch in der Wohnung.

(Foto: Catherina Hess)
  • Auch im reichen glänzenden München leben viele Menschen, die arm sind und oft auch am Essen sparen müssen.
  • Deshalb werden von Oktober bis Ostern etwa 3000 Lebensmittelpakete an Münchner verteilt - finanziert durch den SZ Adventskalender.
  • Für die 68. Hilfsaktion sind bisher fast 5,7 Millionen Euro gespendet worden - wer online helfen will, hier entlang.

Von Anna Hoben

Am Ende geht es noch nach Schwabing. Alte Genossenschaftshäuser, schöne Hinterhöfe, die Leopoldstraße fast um die Ecke. Nicht die Gegend, in der man die Armut als erstes suchen würde. Aber auch hier, sagt Peter Trischberger, "gibt's Packerl". Er steuert seinen Renault Clio in die letzte freie Parklücke, lupft ein Paket aus dem Kofferraum, geht zur Haustür und klingelt. Von Trischberger kann man lernen, wie man richtig klingelt. Nicht einmal und kurz, sondern zweimal und lang. Läuten mit Nachdruck verspricht meist mehr Erfolg als ein zaghaftes Drücken mit spitzem Finger.

Eine Fahrt mit Peter Trischberger ist die Vermessung einer im glänzenden München nahezu unsichtbaren Welt, der Welt jener Menschen, bei denen das Geld manchmal gerade so zum Leben reicht, oft aber auch nicht. Wenn Trischberger kommt, dann ist Bescherung. Der Mann, der die bairische Sprache akzentfrei spricht - 62 Jahre alt, schwarze Fleecejacke, bequeme Schuhe - fährt Lebensmittelpakete aus für den "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung", finanziert durch Spenden der SZ-Leser.

Er weiß, wo in München Bedürftigkeit und Armut zu Hause sind. Nämlich beileibe nicht nur im Hasenbergl oder am Harthof, sondern auch in der Maxvorstadt, in Schwabing oder im noblen Bogenhausen, gar nicht weit von der Prinzregentenstraße. Immer wieder zeigt Trischberger aus dem Auto heraus auf ein Haus, das er von seinen Touren kennt. Dann kommt er wieder, der Satz: "Do gibt's Packerl." Im Grunde gibt es überall in München Packerl.

Lebensmittelpakete, das klingt nach Nachkriegszeit, nach Hilfstransport für Weißrussland. Der gesunde Menschenverstand sagt: Eines der reichsten Länder der Welt, Deutschland im Jahr 2017 - jeder müsste hier genug zu essen haben. Die Realität sagt: Es gibt Kinder, die gehen abends hungrig ins Bett. Es gibt Menschen, die müssen jeden Euro dreimal umdrehen. Diesen Menschen, die vom Leben nicht gerade üppig beschenkt worden sind, sollen die Lebensmittelpakete des "Adventskalenders" eine Freude machen - und eben tatsächlich auch ihren Hunger stillen. Jedes Jahr reichen soziale Träger und städtische Stellen bei dem SZ-Spendenhilfswerk Vorschläge ein, wer ein Paket dringend gebrauchen könnte.

In Schwabing summt der Türsummer, "vierter Stock", ruft eine dünne Stimme von oben. Peter Trischberger schaut um sich im Treppenhaus, kein Aufzug. "Ich komm' hoch zu ihnen", ruft er zurück. Er hat Pech an diesem Tag. Ein paar Mal summt der Türsummer gar nicht. Wenn er summt, ist die gesuchte Wohnung oftmals im obersten Stock, und einen Aufzug gibt es fast nie. Man kann aber die Sache mit dem Pech natürlich auch anders sehen, nämlich als "Glück für die Körperertüchtigung", wie Trischberger es nennt. Um die 15 Kilogramm wiegt ein Paket, da braucht man kein Fitnessstudio mehr. Als der Bote oben ankommt, ist sein Kopf rot. Doch das Steigen und Schleppen hat sich gelohnt.

Als die Paketempfängerin, eine ältere Dame, den Überbringer entdeckt, strahlt sie übers ganze Gesicht. Sie hat sich fein gemacht, ganz so, als hätte sie schon auf den Besuch gewartet. "Das ging ja schnell", sagt sie, "es kam doch gerade erst der Bescheid". Die Frau ist die Letzte auf der Tour an diesem Tag, aber die Erste, die Trischberger mit Handschlag begrüßt. Bestimmt fünf Mal bedankt sie sich, genau wie die junge Frau mit dem türkischen Namen drei Stationen zuvor. Wenn die Beschenkten so herzlich sind, "da freut man sich mit ihnen darüber, dass sie etwas bekommen", sagt Trischberger. Zum Schluss wünscht er jedem einen "guten Appetit", dann verabschiedet er sich. "Pfiat Eana!"

Seit etlichen Jahren werden die knapp 3000 Pakete nicht mehr nur in der Adventzeit verteilt, sondern etwa von Oktober bis Ostern. Jedes Jahr im September geht die Adventskalender-Geschäftsführerin Anita Niedermeier mit ihrer Kollegin Martina Linke mit dem Einkaufswagen durch die Regale eines Lebensmittelgeschäfts und stellt den Inhalt für die Pakete zusammen: Kaffee und Tee, Kakao und Marmelade, Nudeln und Dosenfisch. Dabei achten sie auf gute Qualität, "es soll schon etwas Besonderes sein", sagt Niedermeier. Etwas, das Menschen, die wenig Geld haben, sich eher nicht kaufen würden. Auch sonst gibt es beim Einpacken ein paar Dinge zu beachten: nicht zu viel Zucker, kein Alkohol, Rücksichtnahme auf religiöse Regeln. Ein kleines Geschenk ist auch immer dabei, heuer ist das eine Handcreme.

Ältere Menschen, die etwa kein Nutella mögen, freuen sich trotzdem darüber. "Endlich konnte ich meinen Enkeln mal wieder etwas schenken", solche Sätze stehen in den Dankesbriefen, die Anita Niedermeier in ihrem Büro in einer eigenen kleinen Kiste sammelt und aufbewahrt. "Ein herzliches Dankeschön", schreibt eine Empfängerin, "die Zusammenstellung der Lebensmittel war von liebevollen Händen gemacht". Ein Danksager betont: "Vor allem, dass es Markendinge gab, die wir uns sonst nicht so leisten können, war etwas Besonderes für uns." Und eine beschenkte Familie gesteht: "Wir haben uns riesig gefreut. Die Pakete kamen im richtigen Augenblick am Monatsende und haben uns vor Wasser und Brot bewahrt."

Dass die Pakete ankamen, das haben sie auch Peter Trischberger zu verdanken. "Wie die Kuh zum Radlfahren" sei er zu seinem Job als Ausfahrer gekommen, sagt der. Ein Freund von ihm ist schon lange dabei, im vergangenen Jahr wurde er krank. Trischberger sprang für ihn ein - und blieb dabei. Jetzt teilt er sich die Liefertouren mit zwei anderen Fahrern. Manchmal nimmt er den Sprinter des Kollegen, manchmal seinen Renault Clio.

"Du kommst als Fremder und gehst als Freund"

An diesem Tag ist er mit dem Auto unterwegs, am Morgen hat er ein Dutzend Pakete in den Kofferraum geladen, dann hat er sich aufgemacht in den Münchner Norden. Raus aus der Innenstadt, vorbei am Bordell Leierkasten mit seinem Slogan "Du kommst als Fremder und gehst als Freund". Hinein in Viertel, in denen verrußte Fassaden eine Erneuerung dringend gebrauchen könnten.

Wo Sperrmüll auf den Wiesen vor den Häusern steht und Türen vollgekritzelt sind. Wo auf einem Balkontisch seit wer-weiß-wann ein halbes Dutzend leerer Bierflaschen herumsteht. Wo die ausländischen Namen an den Klingelschildern in der Überzahl sind und gleichzeitig die Anzahl schwarz-rot-goldener Flaggen in den Fenstern zunimmt. Wo in Treppenhäusern der Putz abblättert und es oft übel riecht, wo es wenig Spielmöglichkeiten in den Höfen gibt, dafür umso mehr Schilder mit dicken Ausrufezeichen: "Hunde an die Leine! Nicht Fußball spielen! Garten schützen!"

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Peter Trischberger hat schon viele Jobs gehabt in seinem Leben. Er hat in der Stadtverwaltung gearbeitet und für eine Pferdezeitschrift, in Kneipen und als Food-Journalist. Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband hat er fünf Jahre lang Essen auf Rädern ausgefahren. Bei den Menschen, die er damals jeden Tag sah, sei es nur noch dem Ende zugegangen, "das klingt jetzt vielleicht hart", sagt er, "aber das war Restlebenszeit". Der Unterschied in seinem jetzigen Job: "Hier sieht man auch mal Hoffnung, das ist schön." Junge Menschen, die nach einer schweren Zeit von vorne beginnen können. Kinder, deren Leben noch vor ihnen liegt, flach ausgebreitet und unbeschrieben wie ein weißes Blatt.

Auch die Sonne hilft. An einem klaren, frühlingshaften Tag wie diesem, "da ist es nicht mehr ganz so trist". Diesmal nimmt er eine Sackkarre, um das Paket vom Kofferraum zur Tür zu bringen, wieder klingelt er, lang-lang. Niemand öffnet. Peter Trischberger lässt seinen Bauch entscheiden, ob er das Paket bei einem Nachbarn hinterlässt, damit ist er bisher immer gut gefahren. Diesmal versucht er es, und siehe da, eine junge Mutter öffnet die Tür und nimmt die Fracht lächelnd entgegen.

Nicht immer sind die Nachbarn so freundlich, deshalb sagt der Bauch manchmal "nein". Trischberger steckt dann einen Zettel in den Briefkasten, auf dem steht, dass der zu Beschenkende sich melden möge. Wenn jemand über längere Zeit nicht erreichbar ist, kann das bedeuten, dass er ins Krankenhaus gekommen ist, es kam aber auch schon mal vor, dass jemand in der Zwischenzeit verstorben war.

Als Paketausfahrer blickt Peter Trischberger in fremde Leben hinein, für Sekunden, für Minuten. Er bekommt nicht viel mit von den Geschichten, die sich hinter den Wohnungstüren abspielen, durch die er kurz tritt, Servus, guten Appetit, Pfiat Eana. Aber er unterbricht die Einsamkeit, er lindert die Hilflosigkeit. Manchmal wird er auf einen Kaffee eingeladen. Wenn die Zeit es erlaubt, nimmt er das Angebot an. Und dann war da noch diese alte Frau, die einmal sagte: "Ich brauch' kein Paket, geben Sie es lieber jemandem, der kein Geld hat." Da scheint sie wieder durch: die glitzernde, glänzende Stadt München, in der kaum jemand es zugeben will, wenn er bedürftig ist. Peter Trischberger hat das Paket dennoch da gelassen. Dann ist er weitergefahren, zum nächsten Leben.

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