SZ-Adventskalender:Wenn eine schwere Krankheit eine Familie auseinanderreißt

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Es werden noch ein paar Jahre vergehen, bis Elif selbst ihr Insulin dosieren kann (Symbolbild). (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Ärzte glaubten zunächst, dass die heute fünfjährige Elif an einem Infekt und nicht an Diabetes leidet - ein fast tödlicher Irrtum.

Von Florian Fuchs

Erst dachte ihr Arzt, dass es nur ein Magen-Darm-Infekt ist, aber zum Glück gibt es dieses Gespür, dass nur Mütter für ihre Kinder entwickeln. Semiha Ö. ist damals vom Arzt nach Hause gekommen, aber sie hat nicht recht daran geglaubt, dass Elif einfach einen Infekt hat. "Sie lag nur am Boden, völlig kraftlos", erzählt sie.

Also hat sie ihre Tochter gepackt und ist mit ihr ins Krankenhaus gefahren. Ein Test, und dann ging alles ganz schnell: Ersthilfe, Intensivstation. Der Zuckerwert der damals Zweijährigen lag bei 1500, normal ist ein Wert von 150, gefährlich wird es für Kinder schon ab 300, lebensgefährlich. Zwei, drei Stunden später, sagten die Ärzte der Mutter, und die Tochter wäre tot gewesen.

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Semiha Ö. kann das heute als Glück begreifen, sie versucht, das Positive aus der Situation zu ziehen: "Gott hat geholfen, dass mein Kind noch lebt." Dabei hat die Diabetes-Erkrankung von Elif das Leben der kleinen Familie komplett durcheinander gebracht, weil sie so ungewöhnlich stark ausgeprägt ist.

Elif ist heute fünf Jahre alt, sie ist ein hübsches Mädchen mit langen, schwarzen Haaren und großen, dunklen Augen. Aber die Mutter kann sie kaum eine Minute aus den Augen lassen, das Mädchen muss ständig einen Sensor am Arm und eine Insulinpumpe am Körper tragen. "So ein bisschen ist sie ein Roboter geworden", sagt ihre Mutter und lächelt gequält.

Zwei Wochen war Elif im Jahr 2014 auf der Intensivstation, danach begann das neue Leben der Familie. Ständig brauchte das Mädchen Spritzen, ständig musste der Zuckerwert kontrolliert werden. Nachts stand Ö. alle zwei Stunden auf, sie stellte sich jedes Mal einen Wecker, um bei der Tochter zu kontrollieren, ob alles in Ordnung war.

Das Leben ist kompliziert geworden

Elif entwickelte eine große Angst vor Spritzen, sie mussten sie festhalten, wenn es wieder soweit war, aber es ging ja nicht anders. Die Fingerspitzen des Mädchens waren auch bald ganz zerstochen, vom Piksen für die Bestimmung des Insulinspiegels. 15 bis 20 Mal am Tag war das nötig.

Ö. musste lange kämpfen, sie hat sechs Diabetologen gewechselt und oft bei der Krankenkasse vorgesprochen, dann erst bekam sie einen sogenannten Pen, eine Art Stift, mit der die Spritze leichter gesetzt werden konnte. Und nun hat Elif eben den Sensor, der anzeigt, wenn der Blutzucker außer Kontrolle gerät, und die Pumpe, die sie ständig in einer Tasche am Bauch trägt, die über einen festen Zugang am Körper Insulin verabreicht.

"Viele Leute", sagt Ö., "verstehen nicht, warum die Krankheit für uns so ein Problem ist." Diabetes ist ja eine Krankheit, die nicht selten vorkommt, oft kann man sich damit arrangieren. Bei Elif aber ist der Krankheitsverlauf so heftig, dass Ö. ihren Job als Altenpflegerin aufgeben musste. Sie muss ihre Tochter sogar in den Kindergarten begleiten, weil die Erzieherinnen dort alleine keine Verantwortung für die Fünfjährige übernehmen können.

Isst Elif eine Scheibe Brot, kommt Ö. und stellt ihre Insulinpumpe neu ein. Tollt Elif mit den anderen Kindern herum und verausgabt sich, kommt Ö. und stellt die Pumpe wieder neu ein. Die Mutter wartet täglich stundenlang auf dem Gang des Kindergartens, überwacht mit einem kleinen Computer die Werte und geht nur dann kurz zu Elif, wenn man etwas neu einstellen muss.

Sie will nicht ständig dabei sein, die Kleine soll auch ihre Freiheit bekommen und ohne Mutter im Kindergarten spielen. Ö. hat versucht, auf 450-Euro-Basis wieder als Altenpflegerin zu arbeiten und wenigstens ein oder zwei Stunden vom Kindergarten wegzubleiben. Es ging nicht, sie musste das schnell wieder aufgeben.

Inzwischen kümmert sich auch der Vater wieder um Elif und nimmt der Mutter das Mädchen und ihren sieben Jahre alten Bruder immer wieder ab, damit sie sich ein bisschen ausruhen kann. Die Beziehung ist zerbrochen, der Vater kam mit der Krankheit nicht zurecht, aber inzwischen ist er wieder oft zur Stelle und hilft.

Das Geld ist trotzdem knapp, mindestens bis Elif in der zweiten oder dritten Klasse ist, dann kann sie selbst lernen, mit dem Insulin und der Pumpe umzugehen. Ö. hat sich schon informiert, es gibt Kurse für Kinder wie Elif, wo sie den Umgang mit der Krankheit lernen. Dann kann Ö. vielleicht auch wieder selbst arbeiten, bis dahin aber muss sie schauen, wie sie alles Nötige in die Wohnung schafft, vieles kauft sie gebraucht, auch Schulden hat sie gemacht.

Aber inzwischen ist der Kühlschrank kaputt, genau wie die Spülmaschine, und damit die Kinder ein eigenes Zimmer haben, schläft die Mutter auf einer Couch, auf der sie sich nicht einmal ausstrecken kann. Sie bräuchte eine Schlafcouch, die Tochter wünscht sich ein Barbie-Haus und der Sohn einen Roller - seiner wurde gestohlen.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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