SZ-Adventskalender:Was junge Flüchtlinge zum Lernen brauchen

SZ-Adventskalender: Eyass wohnt mit 25 anderen Flüchtlingen in einem Raum, er weiß nicht, wie es weitergeht. Aber an einer Online-Uni hat er sich schon eingeschrieben.

Eyass wohnt mit 25 anderen Flüchtlingen in einem Raum, er weiß nicht, wie es weitergeht. Aber an einer Online-Uni hat er sich schon eingeschrieben.

(Foto: Catherina Hess)

"In Syrien hat man keine Zukunft", sagt Eyass. Er ist nach Deutschland geflohen und will weiterstudieren. Aber dazu fehlt es an einfachen Dingen.

Von Inga Rahmsdorf

Eyass redet über Credit Points, die er für sein Studium braucht, über einen Masterabschluss und eine Promotion. Der 17-Jährige schläft zwar derzeit mit 25 anderen Flüchtlingen zusammen in einem Raum, er weiß nicht, wie es für ihn weitergeht, sein Asylverfahren läuft noch. Trotzdem hat er sich schon an einer Online-Uni eingeschrieben.

Eyass ist mit seinem Vater vor zwei Monaten aus Syrien geflohen. Er will keine Zeit verlieren, weiterstudieren und vorankommen. "Ich möchte endlich ankommen und mit meinem richtigen Leben beginnen", sagt er.

Doch es ist schwierig anzukommen, wenn man nicht weiß, ob man am nächsten Tag in eine andere Unterkunft, an einen anderen Ort verlegt wird. Wenn man Deutsch lernen möchte, aber keinen Platz in einem Kurs erhält. Wenn man nicht weiß, wie lange das Asylverfahren noch dauert und wie es ausgehen wird. Eyass muss noch bis März warten, bis er überhaupt erst einmal seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat.

"Ob man überlebt, ist Glückssache"

Vor allem um seine Mutter und Schwester macht er sich Sorgen. Sie sind in Syrien geblieben, er möchte sie nachholen. Doch das ist ein langes Prozedere. Den Antrag auf Familiennachzug kann Eyass erst stellen, wenn der Asylantrag bewilligt wurde und auch dann dauert es oft noch viele Monate. "In Syrien hat man keine Zukunft", sagt Eyass. "Es geht nur ums Überleben. Und ob man überlebt, ist Glückssache. Jeden Tag fallen Bomben."

Eyass hat sich an der Kiron Universität eingeschrieben, ein Projekt aus Berlin, bei dem Flüchtlinge ohne Wartezeiten und Unterlagen kostenlos teilnehmen können. Es gibt Kooperationen mit Hochschulen - wer ausreichend Leistungspunkte sammelt, kann nach zwei Jahren an eine richtige Universität wechseln. Das ist auch Eyass' Traum. In Syrien hat er angefangen, IT-Kurse zu belegen, das Fach will er auch in Deutschland studieren.

In seiner Gemeinschaftsunterkunft gibt es kein Internet

Bei der Online-Uni musste er zwar nicht auf ein langes Aufnahmeverfahren warten, aber um die virtuellen Kurse herunterladen zu können, braucht er eine Internetverbindung. Und die gibt es in der Gemeinschaftsunterkunft nicht, in der er nun lebt. Eyass spricht fließend Englisch und Französisch und hat in einem Kurs von freiwilligen Helfern in der Bayernkaserne angefangen, Deutsch zu lernen. Er hat einige Wochen in der Erstaufnahmeeinrichtung in München verbracht. Dann wurde er nach Fürstenfeldbruck verlegt. Sprachkurse gibt es in der neuen Unterkunft nicht.

Die Bayernkaserne, die Münchner Erstaufnahmeeinrichtung, ist für die meisten Flüchtlinge ein Durchgangsort. Einige Wochen oder Monate bleiben sie hier, wie lange, weiß keiner von ihnen. Und wohin es anschließend geht, auch nicht. Um den Kindern und Jugendlichen in dieser Zeit der Ungewissheit und des Wartens eine Anlaufstelle zu bieten, hat der Kreisjugendring im März dieses Jahres die Freizeitstätte LOK Arrival auf dem Gelände der Bayernkaserne eröffnet.

Die Halle ist außen bunt angestrichen, innen spielen Jugendliche Fußball, Tischtennis oder Brettspiele. Auch Eyass und fünf Freunde, ebenfalls junge Syrer, sind heute angereist. Die sechs haben sich vor einigen Wochen in der Freizeitstätte kennengelernt. Mittlerweile sind alle verlegt worden, in Unterkünfte außerhalb von München.

Die Sozialpädagogin erlebt die Jungs als wissbegierig

"Die Jungs sind alle sehr offen, hilfsbereit, total herzlich und motiviert," sagt Mirjam Scheck, Sozialpädagogin in der Freizeitstätte. Obwohl die sechs Flüchtlinge in andere Kommunen verlegt wurden, ist Scheck für sie weiterhin eine wichtige Ansprechpartnerin, und die sechs Syrer versuchen, so oft sie eine Fahrkarte bezahlen können, zu kommen.

"Sie sind sehr lernbegierig. Schon am ersten Tag hier in der Bayernkaserne sind sie zu uns gekommen und haben gefragt, wo sie Deutsch lernen können", sagt Scheck. Die Sozialpädagogin organisiert gemeinsam mit ihrem Kollegen Kinoabende für die jungen Flüchtlinge, sie kochen gemeinsam, backen in der Weihnachtszeit Plätzchen und machen Ausflüge. Ein Trachtenverein war kürzlich hier und hat mit den Flüchtlingen Schuhplattlern geübt. "Die jungen Leute sind sehr dankbar für das Angebot", sagt Scheck.

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Die Sozialpädagogin erlebt aber auch oft, dass die Jugendlichen, die sich gerade etwas eingelebt haben, wieder an einen anderen Ort verlegt werden. Und wenn sie Pech haben, dann gibt es dort keine Helfer, die Deutsch unterrichten. "Es ist ein großes Problem, denn diese jungen Menschen fallen durch alle Raster", sagt Scheck. Anders als unbegleitete Minderjährige, die notwendigerweise in das System der Jugendhilfe fallen, werden Kinder und Jugendliche, die von volljährigen Verwandten begleitet werden, oft nicht kind- oder jugendgerecht in den Unterkünften untergebracht und betreut.

Was das Grundübel bei der Versorgung von jungen Flüchtlingen ist

"Das Grundübel ist der eklatante unterschiedliche Versorgungsstandard zwischen alleinreisenden minderjährigen Flüchtlingen und allen anderen Flüchtlingen", sagt Andreas Dexheimer, Leiter der Diakonie-Jugendhilfe Oberbayern. Dabei liege der Standard für minderjährige Flüchtlinge bereits unterhalb des sonst üblichen Jugendhilfestandards. So gelte in der Jugendhilfe eigentlich, dass mindestens ein Sozialpädagoge zwei Jugendliche betreut. Bei minderjährigen Flüchtlingen dagegen liege der Betreuungsschlüssel bei eins zu fünf. Für Erwachsene und Familien in den Unterkünften ist ein Betreuer für 100 Personen zuständig. Im Idealfall.

SZ-Adventskalender: Die drei Brüder Ghiath (von links), Bahsar und George wünschen sich einen Platz in einem Deutschkurs. Doch das kann lange dauern.

Die drei Brüder Ghiath (von links), Bahsar und George wünschen sich einen Platz in einem Deutschkurs. Doch das kann lange dauern.

(Foto: Catherina Hess)

Dadurch gewinne das Thema, ob jemand 17 oder 18 Jahre alt ist, auch so eine immense Bedeutung, so Dexheimer. Alle minderjährigen Flüchtlinge, die alleine in München ankommen, erhalten quasi vom ersten Tag an Deutschunterricht. "Innerhalb von drei Wochen wird entschieden, welche Beschulung die jungen Menschen brauchen, und das auch schnell umgesetzt", sagt Dexheimer.

"Wenn mir nur jemand Deutsch beibringen könnte"

Das sieht bei Kindern und Jugendlichen, die mit ihren Familien fliehen, ganz anders aus. Da kann es nicht nur lange dauern, bis sie einen Deutschkurs erhalten, sondern auch, bis die Kinder in die Schule gehen. Besonders problematisch sei zudem, dass die 18- bis 20-jährigen Alleinreisenden rechtlich Anspruch auf Jugendhilfe haben, wenn sie die Unterstützung benötigen. Doch Jugendamt und Träger der Einrichtungen würden es nicht schaffen, diesen Rechtsanspruch zu erfüllen, sagt Dexheimer. Und zwar nicht, weil in München der Wille oder das Geld fehle, sondern die Fachkräfte.

Das trifft auch auf die Freunde von Eyass zu. Die beiden Cousins Samer, 19, und Mahammad, 16, sind alleine geflohen. Samer ist nun der Sorgeberechtigte von seinem jüngeren Cousin. Damit sind sie weitgehend auf sich alleine gestellt. Sie sind in die gleiche Gemeinschaftsunterkunft wie Eyass verlegt worden. Samer hat sich auch bereits an der Online-Universität eingeschrieben. Er hat in Syrien Chemie studiert, möchte in Deutschland ein Studium als Elektroingenieur machen. Aber er hat das gleiche Problem wie Eyass, er hat keine Möglichkeit, die Vorlesungen aus dem Internet herunterzuladen.

In der Unterkunft ist ihm auch noch sein Handy, die einzige Verbindung zur Familie und zur Online-Uni, geklaut worden. "Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich weiß nicht, was ich machen soll", sagt Samar leise und er klingt verzweifelt. "Wenn mir nur jemand Deutsch beibringen könnte", wiederholt er immer wieder. Sein jüngerer Cousin Mahammad würde gerne die Schule besuchen, schnell Deutsch lernen und nach dem Schulabschluss am liebsten Physik studieren. "Ich vermisse meine Mutter", sagt der 16-Jährige leise. Er würde sie wenigstens gerne per Internet sehen, doch mit seinem Handy, einem alten Modell, funktioniert das nicht.

Weil sie Christen sind, ist die Situation besonders gefährlich

Die anderen Freunde, die Brüder Ghiath, 22, George, 18, und Bashar, 16, sind in eine Kleinstadt im Landkreis Traunstein verlegt worden. Sie machen sich große Sorgen um ihre Eltern und den vierten Bruder, die in Syrien geblieben sind. "Unsere Mutter wurde angeschossen, die Kugeln stecken noch im Bein, deshalb konnte sie nicht mit uns fliehen" sagt Ghiath, der auch der Sorgeberechtigte seines 16-jährigen Bruders ist.

Weil sie Christen sind, sei die Situation für ihre Familie besonders gefährlich. Ghiath hat vier Jahre in Syrien Bauingenieur studiert und will das Studium gerne in Deutschland fortsetzen. Seine Brüder möchten einen Schulabschluss machen, Tischtennis und Fußball trainieren. Doch einen Platz in einem Deutschkurs haben sie nicht und eine Mitgliedschaft in einem Sportverein können sie sich nicht leisten. Wenigstens die Zeit hier in der Freizeitstätte wollen sie nutzen. Sie nehmen die Schläger und spielen weiter Tischtennis.

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