SZ-Adventskalender:Ungeschminkte Lebensfreude

Lesezeit: 3 min

Lidschatten, Einkaufsbummel, Zukunftsträume: Lea und Charlotte sind ganz normale Teenies - und doch anders. Die beiden jungen Frauen haben das Down-Syndrom und brauchen viel Aufmerksamkeit

Von Yasmin Ismail

Lea hat das Down-Syndrom. Nicht mehr, nicht weniger. "Leiden", sagt ihre Mutter, Nadja Rackwitz-Ziegler, "muss sie höchstens unter mir." Etwa wenn Lea, 16, ihr Zimmer aufräumen soll oder ermahnt wird, nicht schon zum Frühstück Make-up-Tutorials anzusehen. Der Trend vom perfekten Teint à la Kim Kardashian ist längst auch im Kinderzimmer der Familie Rackwitz-Ziegler angekommen: Leas Schrank platzt vor Tiegelchen und Töpfchen, die Frische ins Gesicht zaubern. Kein Wunder, dass sie mit Freundin Charlotte, die auch das Down-Syndrom hat, am liebsten im Drogeriemarkt einkauft. Der neue Lidschatten, den schon die Lieblings-Youtuberin Isabeau aufgetupft hat, muss ausprobiert werden.

Zum Glück ist das Schminken noch nicht zum ausgeprägten Berufswunsch geworden. Die Mädchen nehmen seit September an einem Modellprojekt teil, sie schnuppern in einer Berufsschule derzeit in die Altenpflege hinein. Charlotte macht sogar schon ein Praktikum im Damenstift: "Das gefällt mir gut. Eine Dame küsst mich immer 1000 Mal". Immer dann, wenn sie donnerstags zusammen "Bingo" oder "Mensch ärgere dich nicht" spielen, erzählt die 15-Jährige. Auch Lea hat Zukunftspläne: "Ich möchte Babysitterin werden", sagt sie - und weiß doch genau, dass das kein richtiger Beruf ist.

Gemeinsam sind wir stark: Lea (links) und Charlotte sind ein Herz und eine Seele. Und natürlich träumen sie auch gemeinsam die Zukunft. (Foto: Robert Haas)

Was will ich mal werden? Wie bei den meisten Jugendlichen im Teenageralter kreisen auch bei Charlotte und Lea die Gedanken an einen Beruf in den Köpfen. Doch was macht man, wenn der Traumjob nicht zu verwirklichen ist mit Trisomie 21? Eines der Mädchen in ihrem Umkreis beispielsweise träumt seit drei Jahren davon, Ärztin zu werden: "Wird sie natürlich nicht", sagt Rackwitz-Ziegler. Wie man das seinen Kindern erklärt, damit gehen alle Eltern unterschiedlich um. "Ich finde es wichtig, den Kindern Grenzen zu zeigen. Manches geht einfach nicht, man überlegt, was denn stattdessen so möglich ist", sagt die Mutter von Charlotte, Gabriele Schöler. Menschen mit Down-Syndrom können durchaus lernen, ihren Alltag weitgehend eigenständig zu meistern. "Morgens aufstehen, Frühstück vorbereiten, zur Arbeit gehen, das können sie auch sehr gut alleine", sagt Rackwitz-Ziegler, die auch Vorsitzende von "Down Kind" ist.

Der Verein setzt sich seit knapp 25 Jahren, für Toleranz und Gleichbehandlung von Menschen ein, bei denen Triso- mie 21 diagnostiziert worden ist. Vor allem Eltern von Neugeborenen mit Down-Syndrom berät der Verein. Immer wieder erzählt Rackwitz-Ziegler jungen Paaren von ihren Erfahrungen mit Lea. Die werdenden Eltern haben dann oftmals erst kurz zuvor erfahren, dass ihr ungeborenes Kind das Chromosom 21 drei- statt zweimal aufweist - das Down-Syndrom. Der Verein, der sich ausschließlich aus Spenden und Mitgliederbeiträgen finanziert, nimmt sich auch Zeit für diejenigen, die sich noch nicht mit der beruflichen Zukunft ihrer Kinder konfrontiert sehen.

Ziel der Arbeit ist auch, Kinder und Jugendliche so gut wie möglich in die Gesellschaft zu integrieren, sie zu stärken für den Moment , in dem ihre Eltern sie in ein eigenes Leben entlassen - ob mit 18 oder 30 Jahren. Derzeit organisiert Rackwitz-Ziegler mit ehrenamtlich engagierten Eltern aus dem Verein ein Selbstbehauptungstraining für junge Frauen. Mädchen wie Lea und Charlotte sollen mehr Selbstvertrauen gewinnen, mit Konfliktsituationen besser umgehen, eigene Grenzen bei Übergriffssituationen wahrnehmen und verteidigen. Vor allem im Zusammenhang mit sexueller Gewalt sind Menschen mit Down-Syndrom klar gefährdeter, erklärt Rackwitz-Ziegler: "Sie sind kommunikative, offenherzige Menschen, die Anerkennung in der Gemeinschaft suchen. Wer ihnen vorgaukelt, es gut zu meinen, bekommt zu den meisten von ihnen einen schnellen Zugang."

Lea weiß zwar noch nicht so genau, was sie eines Tages machen möchte, ausprobiert hat sie schon mehr als so mancher andere Schüler in ihrem Alter: Praktika in der Kinderarztpraxis und der Bücherei, beim Friseur, in einer Fahrradwerkstatt. Sogar an der Universität war sie schon. Am Lehrstuhl für Sonderpädagogik, dort, wo am Lehrplan für Down-Kinder gefeilt wird, könne man ja auch mal mit Jugendlichen wie Lea arbeiten, sagt ihre Mutter ganz selbstverständlich: "Jeder kann irgendetwas nicht, ist 'behindert' bei manchen Sachen. Trotzdem werden wir etwas für Lea finden, was sie für sinnvoll hält und sie glücklich macht." Bald möchte sich Lea im Servicebereich eines Hotels versuchen. Davon, sagt sie, träumt sie schon lange.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: