SZ-Adventskalender:Nicht mal Geld für den eigenen Grabstein

SZ-Adventskalender: Zwölf Ein-Euro-Jobber arbeiten am Strahlgruberring für die Diakonia, insgesamt beschäftigt der Sozialbetrieb etwa 50.

Zwölf Ein-Euro-Jobber arbeiten am Strahlgruberring für die Diakonia, insgesamt beschäftigt der Sozialbetrieb etwa 50.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Zwölf Ein-Euro-Jobber arbeiten bei der Diakonia am Strahlgruberring.
  • Aus verschiedenen Gründen finden sie keinen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt.
  • Sie haben sich mit ihrem geringen Einkommen eingerichtet - doch wenn es gesundheitliche Probleme gibt, wird es schnell eng.

Von Renate Winkler-Schlang

Sie arbeiten an der Nahtstelle, die Kleidersortiererinnen der Diakonia am Stahlgruberring. Menschen, die viel haben, spenden ihre getragenen Klamotten. Flüchtlinge, die gar nichts haben, etwa in der Bayernkaserne, bekommen warme Sachen. Anna Stricker (Name geändert), Natalya Shebitska oder Kornelia Salah haben ein bisschen. Sie verdienen hier Geld. Aber wenig Geld. 1,50 Euro in der Stunde. Sie sind das, was man früher Ein-Euro-Jobber nannte. Ihren Stundenlohn erhalten sie oben drauf auf ihr Arbeitslosengeld 2 (ALG 2), auch Hartz IV genannt. Das hilft ein bisschen, aber dennoch kann man sagen: Sie sind trotz Arbeit arm.

Nicole Bößl, die Bereichsleiterin hier in der Sortierstelle, macht es richtig wütend, dass ihre Schützlinge auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können, denn sie seien hoch motiviert und leisteten wirklich gute Arbeit. Das versichert auch Betriebsleiter Jürgen Rucker. Anna Stricker zum Beispiel weiß genau, welche Unterkunft oder welche Kleiderkammer gerade was braucht, ob Handtücher oder schmale Männerhosen, warme Socken oder Babysachen. Und sie hat großes Geschick darin, den ehrenamtlichen Helfern, die täglich wechseln, das Procedere zu erklären. "Jeden Tag die gleiche Schallplatte." Sie lacht.

Aus Liebe den Job aufgegeben

Anna Stricker möchte sich gar nicht als arm bezeichnen, ihre kleine Tochter mache sie jeden Tag so reich, die Arbeit in diesem Team mache Spaß, das sei doch die Hauptsache. Gleichzeitig aber erzählt sie, dass sie für sich an allem spart, nur damit die Tochter schön angezogen in den Kindergarten gehen kann. Alle Hobbys habe sie sich abgewöhnt, auch für den Eintritt ins Schwimmbad reiche es fast nie. "Ich kaufe eigentlich gar nichts mehr für mich."

Früher war das anders. Stricker hat eine kaufmännische Ausbildung, hatte einen guten Job. Doch ihr Freund wollte, dass sie daheim bleibt. Er verdiente genug. Die Beziehung aber ging unschön in die Brüche, Anwaltskosten mussten bezahlt werden. Stricker stand vor dem Nichts. Potenzielle neue Chefs störte die Lücke in der Erwerbsbiografie und die Tatsache, dass sie nun alleinerziehend ist. Sie meldete sich selbst bei der Diakonia, als Ein-Euro-Jobberin kann sie Arbeitswillen beweisen. Angst habe sie, weil sie nicht vorsorgen kann für Krankheiten, fürs Alter.

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Natalya Shebitska nickt. In der Ukraine war sie jahrelang Lehrerin. Theoretisch würde ihr Abschluss hier anerkannt, praktisch wollte sie nicht einmal ein Hort einstellen: "Ich bin über 50. Mit dem Alter wird nur der Wein besser." Sie hat sich ihren Humor bewahrt. Und sie hat sparen gelernt. Als ihre Mutter starb, mit der sie die Wohnung teilte, wurde ihr auch noch ein Teil ihres Geldes vom Amt abgezogen, denn für sie allein galt die Wohnung als zu groß. Da blieben nur noch 50, 60 Euro fürs Essen. Im Monat. Dabei hatte sie keine Ahnung, wie sie da auf einen Grabstein sparen sollte. Sich gesund und abwechslungsreich zu ernähren ist so kaum möglich, auch wenn Shebitska Lebensmittel von der Tafel bekommt.

Die Diakonie will einen zweiten Fonds auflegen

Die Geschichte von Kornelia Salah ist eine ähnliche. Sie stammt aus Ungarn, hat dort in Hotels gearbeitet und tat dies offenbar anfangs auch in München. Doch sie sei schlimmstens ausgebeutet worden, musste gegen den Arbeitgeber prozessieren, erzählt sie. Auch sie lebt derzeit von ALG 2, freut sich über jeden Cent, den sie dazuverdienen kann. Auch sie weiß, dass das nur reicht, solange sie sehr bescheiden ist - und gesund bleibt.

Zwölf Ein-Euro-Jobber hat die Diakonia am Strahlgruberring, insgesamt rund 50. Sie dürfen ein Jahr, mit guter Begründung maximal zwei Jahre bleiben. Das wächst man zusammen, fasst Vertrauen, auch zu den Vorgesetzten, erzählt von den Sorgen und Nöten. Oftmals, das haben die Verantwortlichen festgestellt, bricht das wacklige Lebensgerüst dieser Mitarbeiter zusammen, wenn ihr Körper Hilfe braucht. Eine Brille, ein Hörgerät, Zahnersatz, eine Behandlung beim Osteopathen, das ist nicht drin in ihrem eng gestrickten Budget.

Die Diakonia hat laut Sprecherin Katja Pfeifer bereits einen Fonds eingerichtet für Fälle, in denen diese Mitarbeiter lebensnotwendige Dinge brauchen wie eine neue Waschmaschine oder etwas für ihre Kinder. Nun würde sie gern mit Spenden einen zweiten Fonds einrichten - speziell für Zuwendungen im Gesundheitsbereich. "Zähne", sagt Bereichsleiter Rucker, "gerade Zähne sind oft ein ganz großes Problem." Hilfe beim Zahnersatz sei immer wieder dringend nötig, damit die Leute sich den nicht auch noch im wahrsten Sinn des Wortes vom Mund absparen müssen. Und trotz ihrer finanziellen Lage noch ein wenig lächeln können.

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