SZ-Adventskalender:Hilfestellung für ein neues Leben

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Rukaia wurde durch eine Autobombe taub. Ein Hörgerät wurde ihr implantiert, doch jetzt braucht sie einen speziellen Lerncomputer - und die sind teuer

Von Monika Maier-Albang

München - An dem Tag, an dem Rukaia zum zweiten Mal ihr Gehör verlor, war die Schule ausgefallen. "Deshalb waren wir überhaupt zu Hause", sagt ihre Mutter. "Wir haben gerade gespielt, als die Autobombe unten auf unserer Straße explodierte." Die Fenster barsten, ein Schrank fiel um, die Tochter wurde von der Wucht der Detonation gegen die Wand geschleudert. Rukaia war sechs zu diesem Zeitpunkt; mit vier war sie ertaubt und hatte bereits ein Hörgerät. Als sie das Bewusstsein wieder erlangte, war dieses zerstört - und die Welt um sie herum erneut still geworden.

Die Bombe veränderte von einem Augenblick auf den anderen das Leben von Familie R.. Sie hatten nun ein Kind, dem im kriegsgebeutelten Damaskus nicht geholfen werden konnte. Auch die Schreinerwerkstatt des Vaters war zerstört. Also entschloss sich die kurdische Familie zur Flucht. Drei Jahre lebten Rukaia, ihre beiden älteren Geschwister und die Eltern in Istanbul. Die Mutter kümmerte sich um ihre taube Tochter, der Vater und die Kinder arbeiteten in einer Textilfabrik, nähten zwölf, 13 Stunden am Tag Hemden und Hosen. In der Türkei sind die Kinder der syrischen Flüchtlinge nicht schulpflichtig - und es gibt keinen Schutz für Menschen, die zu Arbeitssklaven erniedrigt werden.

Ihren Lohn hätten sie oft nicht oder nur teilweise erhalten, erzählt Rukaias Vater, Ali R.. Sein Herz habe geschmerzt, weil die Kinder arbeiten mussten, sagt der Vater, "aber wir hatten keine Wahl, wir mussten überleben". Ihr Bruder habe ständig Nasenbluten vom Staub in der Lagerhalle gehabt, erzählt Rukaias Schwester Amina, die heute 14 ist, "unsere Hände waren steif und die Finger waren dick". Als sich im vergangenen Jahr die Chance bot, nach Deutschland zu kommen, brach der Vater zuerst auf. Der Rest der Familie kam im April nach Deutschland.

Rukaia - hier mit ihrem Vater - konnte nur zwei Jahre lang hören. Jetzt, da ihr Hörgerät wieder funktioniert, muss sie sich an die laute Welt gewöhnen. (Foto: Robert Haas)

Inzwischen hat Rukaia in der Helios-Klinik ein neues Hörgerät implantiert bekommen und ist jetzt in Großhadern in der Kinderklinik in Behandlung. Der Verein "Drahdiwaberl und Springinkerl" aus Grabenstätt, wo die Familie zunächst untergekommen war, hatte Spenden für Rukaias Operation gesammelt, die Süddeutsche Zeitung berichtete im März schon einmal über Rukaia - da war sie noch nicht in Deutschland. Rukaia hat bislang von den Lippen abgelesen, sie kann sich in ihrer eigenen Sprache ausdrücken, die nur für die Familie verständlich ist. Am 9. November bekam Rukaia ihr neues Implantat, seit 18. November ist das Hörgerät eingeschaltet - es wird nun stufenweise lauter gestellt. Die Zehnjährige gewöhnt sich gerade daran, wieder Töne wahrnehmen zu können. Das ist nicht einfach für sie - noch sieht sie sich auf einem alten Handy mit geborstenem Display wahlweise Mr. Bean oder türkische Seifenopern stummgestellt an. "Ein bisschen fürchtet sie sich vor all den Stimmen um sie herum", sagt Salwa R., Rukaias Mutter. Andererseits lache ihre Tochter viel mehr als früher. "Meiner Kleinen wurde das Leben neu geschenkt. Und wir sind in Sicherheit. Wir können nicht genug danken", sagt Salwa R.. Und dann muss Rukaia noch etwas auf dem Handy zeigen: Mädchenzimmer-Einrichtungen, in rosa zumeist. Aber für Bett und Schreibtisch und Schrank wird kaum Platz in der Wohnung sein. Die Familie schläft auf Matratzen, die jeden Morgen an der Wand gestapelt und am Abend ausgelegt werden.

"Rukaia möchte so schnell wie möglich diese neue Sprache lernen, die die Menschen hier sprechen", deutet die Mutter ihre Worte. Die Anmeldung bei der Schule steht bevor, Rukaia wird Sprachunterricht bekommen. Mit einem Computer und einem Kopfhörer wäre ihr sehr geholfen, es gibt spezielle Sprachlernprogramme für Hörgeschädigte. So bald es geht, soll sie die Schule besuchen können. Sie will schreiben, rechnen, sprechen lernen. Sie hat viel aufzuholen.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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