Konzertreise des BRSO:"Es ist geil, hier zu spielen"

Konzertreise des BRSO: Im Musiikkitalo während einer Probe des BRSO: Der Saal in Helsinki klingt wärmer als die Elbphilharmonie, Akustiker war in beiden Fällen Yasuhisa Toyota.

Im Musiikkitalo während einer Probe des BRSO: Der Saal in Helsinki klingt wärmer als die Elbphilharmonie, Akustiker war in beiden Fällen Yasuhisa Toyota.

(Foto: Peter Meisel)
  • Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist auf einer kleinen Tournee unterwegs in Helsinki, Riga und Russland.
  • In jedem Konzertsaal geht es auch um dessen Klang - und die Lehren, die man daraus für den neuen Münchner Saal ziehen kann.
  • Als Favoriten für die Akustik gelten derzeit Yasuhisa Toyota und Tateo Nakajima.

Von Egbert Tholl

Der Weg zum Musiikkitalo Music Centre in Helsinki führt durch die Unterführung unter dem Hauptbahnhof. Es gibt sicherlich auch andere Wege, aber der vom Hotel, in dem das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks untergebracht ist, der geht nun einmal unter dem Bahnhof hindurch. Das passt, denn schließlich wird man dereinst einmal in München auch durch einen Bahnhof laufen, um zum Konzerthaus zu kommen.

Jede Tournee, jedes Gastspiel eines Münchner Orchesters in einer fremden Stadt führt seit geraumer Zeit zur Diskussion, was man vom jeweiligen Auftrittsort lernen kann, für den Neubau des Konzerthauses wie auch für die Ertüchtigung der Münchner Philharmonie. Der Saal in Helsinki wurde 2011 nach fast 20 Jahren der Planung eröffnet, genießt einen hervorragenden Ruf, hat 1704 Plätze, was in etwa der in München geplanten Größe entspricht, für die Akustik zeichnet Yasuhisa Toyota verantwortlich, der sich auch um den Klang des Ausweichquartiers der Münchner Philharmoniker kümmern wird. Also, das mit dem Sendlinger Interimssaal ist sicher, vielleicht macht er in München aber noch viel mehr, dazu später.

Man kann also von Helsinki viel lernen, deshalb sind auch einige Vertreter des staatlichen bayerischen Bauamts mit dabei, die mit glühenden Ohren und höchster Aufmerksamkeit an einer Führung durch die Eingeweide des Gebäudes teilnehmen. Sie können neben vielen anderen Details dieses technisch extrem hochgerüsteten Saals eine riesige unterirdische Laderampe bestaunen, an der drei LKW gleichzeitig andocken können, was ein wenig wie grandioser Luxus anmutet:

Der Saal wird vom Finnischen Radiosymphonieorchester und den Helsinki Philharmonikern gleichermaßen genutzt, da bleiben kaum Termine frei für Orchestergastspiele. Tatsächlich ist das des BRSO eines von zweien in dieser Saison - ein guter Beweis für den bizarren Unsinn der einst in München angedachten Doppelbespielung der Philharmonie durch BR und Philharmoniker.

Aber Musiikkitalo kann noch viel mehr und hat übrigens alles in allem 189 Millionen Euro gekostet, da horchen die Bauamtsvertreter interessiert auf. Die Sibelius Akademie ist hier untergebracht, es gibt sechs kleinere Säle, von denen einer eine Kapelle samt Orgel nachbildet. Leider sind an diesem Nachmittag sämtliche Säle in Betrieb, es gibt hier etwa 100 Veranstaltungen pro Monat plus die Tätigkeit der Akademie, da muss man dann halt mit den technischen Aspekten der Führung vorlieb nehmen.

Wundern und staunen in Helsinki

Die Leute vom Bauamt bewundern die gummigefederten Säulen, auf denen der Hauptsaal ruht, die Musiker wundern sich über die Enge der Garderoben. Die Atmosphäre in den Eingeweiden ist der eines Bunkers nicht unähnlich, denn tatsächlich baute der finnische Architekt Marko Kivistö vor allem in die Tiefe. In der Nähe befindet sich das finnische Parlament, an dessen Höhe darf der Saal nicht heranreichen.

Von außen ist das Gebäude ein freundlicher Glaskubus, über dem Haupteingang prangt eine riesige LED-Wand, die die kommenden Veranstaltungen ankündigt, fast alle übrigens zu extrem moderaten Preisen. Auch die Karten für das Konzert des BRSO kosten nicht viel mehr als in München. Innen ein rundumlaufendes Foyer, dessen Gastronomie auch tagsüber besucht ist, irgendwo spielt jemand Klavier, und durch ein umlaufendes Glasband kann man in den Saal gucken und später dem Orchester bei der Anspielprobe zuschauen. Nur fürs Konzert wird der Einblick mit Jalousien verschlossen.

Ebenerdig betritt man den Saal, darin geht es für die große Mehrzahl der Plätze steil nach unten in einen dunklen Trichter. Der Beton ist dunkel, das Holz ist dunkel, und zwischen den Terrassen dieses Weinbergs fließen die beleuchteten Stufen wie helle Bäche hinab. Über dem Podium wächst ein großer Pilz von der Decke, wichtig wegen der Schallreflexion und der technischen Ausrüstung, der Zuschnitt ist mit den rundum sitzenden Zuschauern der (viel extremeren) Elbphilharmonie nicht unähnlich, auch der Klang erinnert an diese. Hier wie dort stammt die Akustik von Toyota.

"Tschingdarassabumm" im Musiikkitalo

Doch als der Saal voll besetzt ist mit lustig leger gekleideten Finnen, klingt er doch ein bisschen wärmer als der in Hamburg, vor allem dann, wenn man hinter dem Orchester sitzt und Mariss Jansons ins Gesicht blicken kann. Dann hört man Ravels "La Valse" noch einmal ganz anders, als intensives Zerbrechen jeder Walzer-Seligkeit. Und doch: Am Tag davor, im ehrwürdigen Opernhaus von Riga, hatte das Stück mehr Geheimnis. Das ist generell der Eindruck. Auch Frank Peter Zimmermann, der herrliche Geigensolist in Prokofjews erstem Violinkonzert, spricht von CD-Klang, was für alle Toyota-Säle der jüngsten Zeit gilt.

Nach der Anspielprobe meint eine Musikerin, das sei ja "Tschingdarassabumm" hier. Tatsächlich dringt noch das leiseste Pianissimo hier profiliert hervor. Alles, was solistisch ist, ist zum Greifen nah, das Blech feiert ein Fest, doch im Forte-Tuttiklang verschwinden bis auf die hellsten Flötenstellen die Holzbläser völlig, da wird der Klang dicht und dick. Doch dann wieder die vielen Solostellen im "Don Juan" von Richard Strauss: ein Erlebnis an Plastizität und Präsenz.

Hamburg ist zu kapriziös, Helsinki zu analytisch

Vieles kann hier äußerst delikat gelingen, gerade wenn ein Orchester eine Perfektion wie das BRSO besitzt. Auch ist die Akustik nicht ganz so kapriziös wie die der Elbphilharmonie. Aber das letzte Quantum Begeisterung verweigert der Saal, dazu ist er dann dennoch zu analytisch, zu objektiv. Allerdings: Alle Musiker sind sich darin einig, dass sie sich auf dem Podium sehr gut hören. Anders gesagt: "Es ist geil, hier zu spielen." Man könne Nebenstimmen wahrnehmen wie sonst ganz selten (stimmt), er wirke im Leisen wie ein Verstärker (stimmt auch).

Am nächsten Tag, auf der Zugfahrt nach St. Petersburg, bestätigt Mariss Jansons diese Eindrücke. Ja, auch er empfinde den Saal nicht ganz so analytisch wie die Elbphilharmonie. Aber: "Das ist noch nicht das Ende, das geht noch besser." Übrigens könne, so Jansons, auch die (legendäre) Suntory-Hall zu laut werden. Da könnte man ergänzen, dass ein Saal nie zu laut wird; Die Münchner Philharmonie, da kann man sich die Seele aus dem Leib spielen. "Den einen perfekten Saal gibt es nicht", meint Jansons. Ältere Säle von Toyota klängen auch anders als die der letzten Zeit. Säle leben. Der in Luzern etwa sei sehr positiv gealtert. Und das sagt er, obwohl er von Echokammern nichts hält - die Akustik in Luzern kann man, wie etwa in Breslau, anpassen an Repertoire und ästhetische Vorlieben.

Konzertreise des BRSO: Mariss Jansons, hier in der Philharmonie in St. Petersburg, strahlt reine Freude aus, ein Glück, das die Musiker gleichermaßen empfinden.

Mariss Jansons, hier in der Philharmonie in St. Petersburg, strahlt reine Freude aus, ein Glück, das die Musiker gleichermaßen empfinden.

(Foto: BRSO)

Überhaupt kann man sich nach dem Konzert in Helsinki trefflich mit den Musikern in die Haare kommen. Manche halten von den europäischen Neubauten der letzten Jahrzehnte Luzern und Breslau für die gelungensten. Für beider Akustik ist nicht Toyota verantwortlich, sondern Tateo Nakajima und die Firma Artec. Andere sagen, Toyota habe einfach die meiste Erfahrung. Übertrage man ihm die Verantwortung für den Klang eines Neubaus in München, könne man davon ausgehen, dass etwas Vernünftiges am Ende herauskomme. In die Architektur des geplanten Konzerthauses passt ohnehin kein so extremer Weinberg-Saal wie eben in Hamburg oder Helsinki.

Andererseits: Toyota macht die Akustik des Ausweichquartiers der Philharmoniker, er ist der von Jansons wie auch von Valery Gergiev bevorzugte Akustiker. Doch müssen alle neuen oder ertüchtigten Säle in München der gleichen Klangphilosophie folgen? Manche Musiker sagen: Ja, denn Hauptsache das Ding taugt am Ende. Andere sagen: Nein, es wäre doch spannend, am Ende zwei etwas unterschiedliche, tolle Säle zu haben.

Und doch ist Musikmachen mehr, viel mehr, als den idealen Saal zu suchen. Das letzte Konzert dieser Tournee im eher rumpeligen Tschaikowski-Saal in Moskau ist ein grandioses Erlebnis allerschönsten Musizierens. Man kann darüber streiten, ob Jansons' Auffassung von Beethovens "Eroica" zeitgemäß ist - es ist egal. Denn es offenbart sich an diesem Abend eine stupende Symbiose zwischen Chefdirgent und Orchester. Es herrscht das totale Vertrauen, "La Valse" dirigiert Jansons, ohne die Partitur zu öffnen, er gibt Freiheit und kriegt ein Geschenk zurück.

Ovationen gibt es überall

Mariss Jansons strahlt reine Freude aus, ein Glück, das die Musiker gleichermaßen empfinden. Tags zuvor, in der strahlend schönen, klassizistisch-festlichen Philharmonie in St. Petersburg, war es ähnlich. Ovationen gibt es auf dieser kleinen Tournee überall, in Russland und in Jansons' Geburtsstadt Riga nähern sie sich der Heiligenverehrung. Blumen werden dargebracht, in Riga bedankt sich nach dem Konzert der lettische Staatspräsident Raimons Vējonis bei Jansons, der Ministerpräsident schickt eine Grußbotschaft.

Übrigens: So nervös wie vor dem Konzert in Riga hat man Jansons, der nie Nervosität ausstrahlt, selten gesehen. Stets wandert er bei Anspielproben durch die fremden Säle, während der Geiger Wolfgang Gieron seine Kollegen durch die Partitur führt. Doch noch nie so lang wanderte Jansons umher wie bei der Probe in Riga. In dem Opernhaus, das nie klingen wird wie ein perfekter Saal, gibt es für ihn nichts als das bestmögliche Ergebnis.

Das Publikum am Abend ist dann übrigens eine Schau. Nicht mehr ganz so jung wie am Abend zuvor - direkt vom Flughafen kann man noch schnell in eine Aufführung von Puccinis "Butterfly" eilen, in einem Bühnenbild von 1925 -, aber immer noch ein lebendiger Querschnitt der Bevölkerung dieser freundlichen Stadt. Während man in Russland vor lauter (eher ineffizient wirkenden) Sicherheitskontrollen kaum in die Säle kommt, ist hier alles offen, gelöst, sexy.

Noch eines war Mariss Jansons wichtig auf dieser Reise: Zum dritten Mal lädt er sein Orchester in seiner Stadt St. Petersburg zum Essen ein. Dazu mietet er ein Stadtpalais, dazu engagiert er die Perkussion-Truppe des Mariisnky-Orchesters. Er weiß, was er an dem Orchester hat. Umgekehrt wissen das die Musiker auch. Es gibt in diesen Tagen keinen Gedanken daran, dass die Zusammenarbeit jemals zu Ende gehen könnte.

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