Suizid im Knast:Tod eines Häftlings

Der 31-jährige Anton Hübner begeht in einer Einzelzelle in Stadelheim Selbstmord. Offenbar hätte der psychisch Kranke nie dort landen dürfen. Nun werden Vorwürfe gegen die Anstalt laut.

Rudolf Neumaier

Auf diese Nacht hat Anton Hübner gewartet, die erste Nacht in der Einzelzelle nach bald zwei Monaten im Dreibettraum der Krankenstation. "Gute Nacht" - das dürften die letzten Worte gewesen sein, die er hörte. Beim Einschluss.

Kurze Zeit später bereitete er seinen Tod vor und am Morgen darauf wurde er gefunden. Selbstmord. Anton Hübner (Name geändert) wurde 31 Jahre alt. Er starb in der Nacht zum Dienstag vergangener Woche in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim.

Seine Freunde, sein Anwalt und seine Therapeuten sind sich sicher, dass er noch leben würde, wären die Justizbehörden nicht so blind, so taub und so sorglos gewesen.

Anton Hübner war krank. Kein einfacher Patient. So wie ihn Leute beschreiben, die ihn gut kannten, handelte es sich um ein seelisches Wrack, "psychologisch gesehen um ein Pulverfass". Als Hübner Mitte Juni nach Stadelheim kam, informierte sich ein Gefängnisarzt bei Professor Norbert Müller von der Psychiatrie der Innenstadtklinik der Ludwig-Maximilians-Universität. Müller hatte den Patienten seit 2004 behandelt.

Schwere Depressionen - na und?

Die JVA-Mediziner wollten wissen, wie der Untersuchungshäftling medikamentös zu versorgen sei, schließlich sei er auch HIV-positiv. Der Psychiatrie-Professor erteilte Auskunft. Seine eigenen Fragen bezüglich des Patienten aber seien abgeblockt worden, sagt er. Und für die schweren Depressionen, die Hübner Jahre, wenn nicht Jahrzehnte geplagt hatten, schien sich in Stadelheim niemand zu interessieren. "Depressionen waren nicht das Thema", räumt der Stadelheimer Arzt ein.

Er fühlte sich kompetent genug, den Zustand des Häftlings zu beurteilen. Also beließ es der Gefängnismediziner, ein Internist, bei dieser einzigen Konsultation von Hübners Vertrauensarzt. Immerhin sei der Häftling dreimal Anstaltspsychiatern vorgeführt worden. Auch als Hübner aus der Krankenstation in die Einzelzelle verlegt wurde, fragte den Professor, eine international anerkannte Kapazität, niemand mehr. Dieser hätte Hübners Bitte um eine Einzelzelle "nicht entsprochen", wegen Suizidgefahr.

Gingen also die JVA-Ärzte fahrlässig vor? Professor Müller sagt: "Man möchte meinen, es wäre sinnvoll, in so einem Fall nähere Informationen einzuholen."

Dann hätten die Stadelheimer Ärzte unter anderem erfahren, dass Hübners Mutter sich das Leben genommen hatte, als der Junge 15 war. Wegen manischer Depression - einer erblichen Krankheit. Dass er nie einen Vater hatte, weil der Mann, der ihn bei einem Seitensprung gezeugt hatte, nichts von dem Kind wissen wollte. Dass er nicht nur in der Uni-Klinik in Behandlung war, sondern zusätzlich einen zweiten Psychiater brauchte, der mit dem Professor eng zusammenarbeite.

Das alles wussten die Justiz-Ärzte nicht. Sie wussten nur, dass Hübner Unmengen von Beruhigungsmitteln verschlang. Und sie glaubten allen Ernstes, dieses Problem innerhalb weniger Wochen in den Griff zu bekommen, ein Problem, an dem die Ärzte seit Jahren vergeblich arbeiteten.

Eine tödliche Selbstüberschätzung. "Danach ist man immer schlauer", sagt der zuständige JVA-Arzt, und nonchalantes Bedauern, wenn es so etwas gibt, schwingt in seiner Stimme mit. Hübner war der dritte Suizid-Fall in diesem Jahr in Stadelheim.

Vielleicht wäre Hübner aber auch noch am Leben, wenn die Staatsanwaltschaft die Warnungen seines Rechtsbeistands halbwegs ernst genommen und an die Gefängnisleitung weitergegeben hätte.

Staatsanwalt mit Suizidgefahr konfrontiert

Hübners Anwalt Antonio Campanella schrieb dem zuständigen Staatsanwalt: "Vor dem Hintergrund der schweren Erkrankung unseres Mandanten, der zwar seine Medikamente erhält, aber eben keine Psychotherapie, die er seit Jahren wöchentlich zum Teil mehrfach in Anspruch nimmt, besteht eine durchaus konkrete Befürchtung zunehmender Instabilität für den Fall eines längeren Haftaufenthalts."

Zum einen forderte der Rechtsanwalt ein schnelleres Verfahren, zum anderen wollte er erwirken, dass Hübner seinem Vertrauenstherapeuten Professor Müller zugeführt wird. Eine Woche nach dem Tod seines Mandanten will sich Campanella nicht zu den Vorgängen äußern. Er sagt nur: "Dieser Selbstmord wäre aus meiner Sicht vermeidbar gewesen." Dann verweist er auf die Schweigepflicht, der er auch nach dem Tod eines Mandanten unterliege.

Im Juli verfasste der Untersuchungshäftling Hübner ein Testament. Über ein Telefongespräch, das Campanella nicht zuletzt aus diesem Anlass mit dem Staatsanwalt führte, existiert eine Aktennotiz. Aus diesem Dokument lässt sich eindeutig der Schluss ziehen, dass der Staatsanwalt mit der Suizidgefahr konfrontiert wurde. Die Justizvollzugsanstalt unterrichtete er allerdings nicht davon, sie hätte dann womöglich von einer Verlegung Hübners in eine Einzelzelle abgesehen.

In Campanellas Aktennotiz, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ist darüber hinaus folgende Bemerkung des Staatsanwaltes in indirekter Rede festgehalten: "Der Mandant würde nicht so viel Hilfe brauchen, er habe ja auch außerhalb der Haft sehr gut gelebt."

Die Bemerkung des jungen Juristen erscheint in Anbetracht von Hübners Krankheitsbild als üble Gehässigkeit. Schließlich war der exorbitant hohe Tablettenverbrauch Gegenstand der Ermittlungen gegen Hübner. Zur Last gelegt wurde ihm schwerer Betrug, er soll seine Krankenversicherung um mehrere hunderttausend Euro geprellt haben. Die Versicherung zeigte ihn an.

Enge Vertraute des Toten beteuern allerdings, Hübner habe tatsächlich Unmengen an Medikamenten konsumiert, um neben der HIV-Infektion seine Depressionen, seine Angstzustände und seine extremen Schlafstörungen unter Kontrolle zu halten. Offenbar ging die Anklagebehörde davon aus, dass Hübner die abgerechneten Arzneimittel verhökerte. Ein Gutachter der Assekuranz soll festgestellt haben, dass die von ihm abgerechneten Medikamente für drei Personen mit gleichem Krankheitsbild ausgereicht hätten.

"Hieraus voreilige Schlüsse zu ziehen", schrieb Campanella aber dem Staatsanwalt, "empfiehlt sich dennoch nicht", denn Hübner habe alle Medikamente selbst konsumiert. Vor diesem Hintergrund wäre sogar der Haftbefehl zweifelhaft, der wegen Fluchtgefahr erlassen wurde.

Todesermittlungsverfahren läuft

Der Staatsanwalt gibt sich unwissend. Er streitet ab, vom Anwalt jemals auf die konkrete Suizidgefahr hingewiesen worden zu sein, und der Leitende Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld nimmt seinen Mitarbeiter in Schutz. Der Untersuchungshäftling sei ja zu diesem Zeitpunkt in der Krankenstation untergebracht gewesen, es habe keinerlei Veranlassung gegeben, auf eine Veränderung der Haftbedingungen hinzuwirken.

Im Übrigen laufe ein Todesermittlungsverfahren, in dem untersucht werde, ob es beim Tod des Häftlings Hübner "irgendwelche Versäumnisse gegeben hat". Alles andere als eine baldige Einstellung dieses Todesermittlungsverfahrens würde Hübners Freunde überraschen. Betraut mit dieser Angelegenheit ist ein Kollege des bislang für den Fall Hübner zuständigen Staatsanwaltes - in Schmidt-Sommerfelds Behörde.

Noch liegt der Leichnam Anton Hübners in einem Kühlfach der Justiz. Der Untersuchungshäftling Hübner hat eine Einäscherung verfügt. Er wollte, dass nichts übrig bleibt von ihm. Das erzählte er seinen Freunden schon vor Jahren. Wenn ihm mal alles zu viel werde, dann werde er Schluss machen. Die Freunde sagen, Hübner habe das Leben luxuriös genossen, ihm aber keinen hohen Wert beigemessen.

Am Abend des 13. August wartete er den Einschluss ab. Als er allein war, zog er das Laken von der Pritsche und knöpfte es an den Heizkörper. Dann strangulierte er sich. Dem Wärter, der ihn beim Aufschluss fand, wurde psychologische Hilfe durch das Kriseninterventionsteam zuteil.

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