Substanz:Kreuzberg in München

Kneipe "Substanz" in München, 2011

Einen Kicker und einen kühlen Drink gibt es in der Bar Substanz.

(Foto: Florian Peljak)

Seit fast 20 Jahren gibt es das Substanz: Iggy Pop und The Verve waren schon dort. Heute drängen sich Twens an Bar und Kickertisch.

Lea Fließ

Hinter der Bar türmen sich Flaschen mit allem, was der Cocktail-Liebhaber begehrt. Doch: Im Substanz wird vor allem Bier getrunken. Frisch gezapftes, kein Flaschenbier. "Seitdem wir das richtige Bier haben, ist der Laden wieder voll", sagt Jürgen Franke. Sein Blick schweift durch seine Kneipe. Rockige Musik dröhnt aus den Boxen, an den Wänden hängen Gemälde, in einer Ecke steht ein Tauschregal - das allerdings nur eine von vielen Besonderheiten im Substanz ist.

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Grounge-Bands, DJs und Poetry Slam: Das Substanz will München ein bisschen "kreuzbergiger" machen.

(Foto: Foto: Lea Fließ)

Seit bald 20 Jahren finden im Substanz an der Ruppertstraße Konzerte mit international bekannten Bands wie The Verve, aber auch Münchner Nachwuchsmusikern statt. Im März 1990 eröffnete er den ersten Münchner Live-Club.

Viele Konzerte, das war von Anfang an Frankes Konzept. Die Konzession für eine Kleinkunstbühne in der Tasche bescherte ihm eine kleine, inoffizielle Punk-Fete gleich die erste Schlagzeile: "Illegale Punkkneipe gegenüber dem KVR eröffnet", titelte eine Lokalzeitung. "Wir mussten schon ordentlich schrubben, um diesen Ruf wieder wegzubekommen", erinnert sich Franke. Auch führte nicht zuletzt der Ärger mit dem Kreisverwaltungsreferat dazu, dass die Konzerte im Substanz bereits um 22 Uhr enden mussten.

Doch die Uhrzeit schreckt nicht ab. Das Konzert einer jungen Münchner Band ist seit einer halben Stunde aus, doch die Besucher sind noch lange nicht feiermüde. Der Laden ist voll. Auf dem Weg zur Bar muss man sich an verschwitzten Körpern vorbeischieben. Einige lehnen erschöpft an der Wand oder an einem Stapel leerer Getränkekisten. Die meisten allerdings tanzen weiter ausgelassen zu den Gitarrenriffs, die aus den Boxen ertönen.

Genau so machte sich das Substanz mit der Zeit einen Namen in der Szene. Aus dem Boom, dem auch die Band Nirvana entstammte, holte sich Franke die Indie-Label-Bands der Stunde aus Amerika und Großbritannien "in die Hütte", hatte aber immer auch Platz für Nachwuchs-Musiker aus München. Bis 1996 das Atomic-Café eröffnete. "Die hatten die Konzession für einen richtigen Live-Club und haben das Konzept übernommen, das wir hatten."

Das Publikum bleibt jung

Das Substanz musste sich wandeln. Franke holte DJs ins Substanz, erweiterte seine Angebots-Palette um Hip-Hop- und House-Abende sowie Poetry Slams und Englische Comedy-Stunden. "Bis dahin waren wir eher ein Gitarrenladen", erzählt Franke. "Wir wollen aber nicht, dass unser Publikum mit uns altert." Und so sitzen tatsächlich die Twens dicht zusammen gepfercht an den Tischen, wenn es gilt, einen mutigen Kreativen beim Poetry Slam lautstark zu bejubeln oder auszubuhen. Weil der Altersdurchschnitt seit Jahren im Substanz bei 25 Jahren liegt, zieht sich der 48-Jährige allmählich vom Tresen ins Büro zurück. "Wer will denn schon sein Bier bei einem bestellen, der sein Vater sein könnte?"

Kreuzberg in München

Dass der kleine, rundliche Wirt jung geblieben ist, zeigt er allerdings immer wieder gerne beim Kickern. Nicht erst zur Fußball-WM 2006, sondern während der Bundesliga-Saison finden sich seit Jahren die Fans in Sechziger-Schals oder FC-Bayern-Trikots zum Public Viewing im Substanz ein. Wer lieber selber spielt, der fordert eben den Wirt zum Kicker-Turnier heraus.

Und auch dieses Konzept geht auf. "Als Wirt musst du ständig was Neues bieten." Das Gesicht des Substanz' wandelt sich alle paar Monate, von der Haifisch-Bar bis hin zum Bett auf der Bühne. Da flogen dann am Ende die Federn durch die Luft, weil die Party im Substanz in eine riesige Kissenschlacht ausgeartet war.

Dem Großstadtflair getrotzt

Franke hat das Substanz stets konträr zur Münchner Szene entwickelt, verrät er sein Geheimnis. "Wir haben immer ein bisschen mitgeredet, sind aber nie voll im Trend gewesen." In anderen Läden seien regionale Bands oder Musiker nur Support, "bei uns dürfen sie ihr eigenes Konzert spielen, ihre eigen Show abziehen." Daher gehen auch heute noch "enorm viele" Anfragen bei ihm ein.

Was er alles erlebt habe in fast 20 Jahren Substanz? "Das sind so viele kleine Geschichten, so viele tolle Konzerte gewesen", sagt er und überlegt. Dann fallen ihm doch noch ein paar dieser kleinen Geschichten ein. Zum Beispiel, als Iggy Pop plötzlich im Substanz auftauchte. "Er hat sich an einen Tisch gesetzt und einfach ein Bier bestellt", erinnert sich Franke.

Als die Mitarbeiter und Gäste schon unruhig wurden und hingehen wollten, hielt sie der Bar-Chef zurück - und traf damit genau den Geschmack des Punkrockers: "Thank you for not bothering me" - "Danke, dass ihr mich nicht belästigt habt" - sagte der beim Rausgehen.

Die Idee für einen Live-Club in München hatte Franke sich in Gammelsdorf abgeschaut. Dort gab es eine Kneipe mit Bühne für Live-Auftritte. "Da sind wir immer hingefahren, um die angesagten Bands zu sehen", erinnert sich der Kneipier. Mit dem Substanz habe er die Münchner Kneipenszene ein bisschen Kreuzbergiger gemacht, dem Großstadtflair getrotzt.

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