Studie an der Technischen Universität:Das Herz des Marathonläufers

Sportwissenschaftler der TU untersuchen in einer weltweit einzigartigen Studie die Auswirkungen von Ausdauersport auf den Kreislauf.

Michael Ruhland

Es ist dieses eine Bild, das sich Stefan Kanne noch Wochen nach der Untersuchung ins Bewusstsein ruft. Er liegt in einem Behandlungszimmer des Lehrstuhls für Sportmedizin der TU und blickt ungläubig auf den Bildschirm.

Deutlich sind die Pumpbewegungen seines Herzens erkennbar, die Kammern füllen und leeren sich rhythmisch, die Herzklappen öffnen und schließen sich. "Mir wird ganz mulmig zumute, wenn ich denke, dass an diesen zarten Fäden im Prinzip mein ganzes Leben hängt", sagt Stefan Kanne.

In seinem Satz schwingt Ehrfurcht mit, denn Stefan weiß, was er seinem Herzen alles abverlangt. Der 47-jährige Hydrotechniker ist Leistungssportler und gehört zu den harten Männern: Mindestens einen "Ironman" pro Jahr absolviert er, das ist die Langdistanz der Triathleten - 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer auf dem Rad und zum Schluss noch ein Marathonlauf obendrauf.

Und jetzt also sieht er zum ersten Mal Bilder vom Inneren seines Herzens. Henner Hanssen fährt mit dem Kopf des Ultraschallgerätes auf Stefans Brust hin und her, hält inne, speichert Bilder und färbt am Bildschirm den Blutfluss an. Ein dünnes blaues Rinnsal in der sich leerenden Kammer zeigt dem Arzt, dass die Herzklappe nicht ganz dicht ist.

Sofort beruhigt er den Probanden. "Das ist völlig normal, minimale Undichtigkeiten beobachten wir bei Leistungssportlern immer wieder", sagt Hanssen. Der Grund: Das Herz vergrößert sich durch das Training, die Klappen kommen mit dem Wachstum nicht mit.

Tod ohne Ankündigung

Die Echokardiographie, wie die Ultraschalluntersuchung des Herzens heißt, ist nur ein kleiner Teil des Programms, das sich Hanssen und der Lehrstuhl für präventive und rehabilitative Sportmedizin auferlegt haben.

Gemeinsam mit dem Klinikum rechts der Isar und den Sportwissenschaftlern der TU hat der Arzt eine Marathon-Studie initiiert, die weltweit wohl einzigartig ist. "Wir wollen untersuchen, welche Belastungen beim Marathonlauf auf das Herz-Kreislauf-System wirken", erklärt Hanssen.

Zwar gebe es bereits Expertisen wie etwa die Marathon-Studie der Harvard University in Boston vom Jahr 2006, die eines belegt habe: "Beim Marathonlauf treten Stresssymptome wie bei einem Herzinfarkt auf", sagt Hanssen. Eine groß angelegte Untersuchung, wie sich die 42-Kilometer-Plagerei auf das Herz-Kreislauf-System bei den unterschiedlichsten Probanden - übergewichtige Personen, Freizeit- und Leistungssportler - auswirkt, existiere jedoch noch nicht.

Dabei gibt es allen Anlass, dem Phänomen Marathon auf den Grund zu gehen: Immer wieder kollabieren Läufer, beim Ruhr-Marathon im Frühsommer bezahlten zwei Teilnehmer ihren Ehrgeiz mit dem Leben. "Der plötzliche Herztod kündigt sich nicht vorher an", sagt Hanssen. Im Klartext: Wer denkt, ein Ziehen im Oberarm oder stechende Schmerzen in der Brust würden einen schon rechtzeitig warnen, spielt möglicherweise mit seinem Leben.

In den meisten Fällen liege aber bereits ein Herzfehler vor - die Läufer wissen nur nichts davon. Wer also gefahrlos über die Distanz kommen will, soll sich nach Ansicht des Arztes vorher komplett durchchecken lassen. Ein 24-Stunden-EKG kann zum Beispiel über Herzrhythmusstörungen Aufschluss geben.

Für die 60 Teilnehmer der Münchner Marathon-Studie, allesamt Männer, sind sämtliche Untersuchungen kostenlos (siehe Kasten). Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass sich im Nu 300 Interessenten gemeldet haben, um sich unter wissenschaftlicher Begleitung auf einen Marathon vorzubereiten.

Allein die Gruppe der "adipösen Sportler", wie in der Medizin Übergewichtige mit einem Body-Mass-Index von mindestens 27 genannt werden, machte da verständlicherweise eine Ausnahme: Für sie ist der Marathon Neuland und eine große Herausforderung. "Es haben sich genau die 20 gemeldet, die wir brauchen", sagt Hanssen.

Vor den Starts steht Training, viel Training. "Die Studie soll auch zeigen, dass man sich auf einen Marathon gut vorbereiten muss", erläutert Hanssen. Will heißen: Wer eben mal den Firmenlauf über acht Kilometer geschafft hat, ist noch lange nicht für die 42 Kilometer geschaffen.

Es sei denn, er bereitet sich entsprechend vor. Richtig dosiertes Ausdauertraining, sagt Hanssen, wirke sich eben kräftigend auf den Herzmuskel aus, reduziere den Stress für Gefäße und härte, salopp gesagt, gegen Infektionen ab. "Wir wollen auch die positiven Effekte von Training aufzeigen." Sport sei eben nicht Mord, sondern halte gesund.

Eine Frage des Stils

Hanssens Arbeitsstätte ist nur einen Steinwurf von der zentralen Hochschul-Sportanlage entfernt. Dienstagabend, kurz nach 18 Uhr: Dennis Weber hält ein Dutzend Medizinbälle bereit. Kräftigungstraining steht heute auf dem Programm.

Zehn mehr oder weniger beleibte Männer stützen sich mit den Unterarmen auf die vor ihnen liegenden Bälle und versuchen, auf dem wackeligen Gerät Liegestützen zu machen. Dennis korrigiert Haltungen, gibt Tipps, wie die Körperspannung am besten aufgebaut wird. Ein Fluchen hier, ein Stöhnen dort - immer wieder mal kullert einer vom Ball auf den Rasen.

Montags bis donnerstags bieten Dennis Weber und Dan Lorang, beide Sportwissenschaftler, ein eineinhalbstündiges Training für die Teilnehmer der Studie an, die zudem schon vor zwei Monaten Trainingspläne bekommen haben. Das spezielle Programm richtet sich besonders an die übergewichtigen Probanden und die Breitensportler. "Wir führen sie langsam an die 42 Kilometer heran", sagt Dennis, der seine Diplomarbeit über den sportwissenschaftlichen Aspekt der Studie macht.

Heute ist auch der Leistungssportler Stefan Kanne mit dabei. Ihn interessiert vor allem die Laufanalyse, die Dennis anbietet. Der 24-Jährige zeichnet per Videokamera jeden Läufer auf der Tartanbahn auf, um Bewegungsabläufe und Laufstil zu analysieren. "Bei mir hat sich gezeigt, dass ich nach innen abknicke und dringend andere Schuhe brauche", berichtet Kanne.

Der Triathlet spart nicht mit Lob für die TU. "Ich finde die ganze Studie hochprofessionell." Das dürfte den Untersuchungsleiter Hanssen und seine Mitforscher freuen. Im nächsten Frühjahr sollen die Ergebnisse in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert werden. Und vielleicht blickt dann die Harvard University mit ein klein wenig Neid nach München.

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