Formula Student:Wenn Studenten Autorennen fahren

Elektrofahrzeug-Rallye "Wave" in München, 2014

Wie bei den Profi-Rennställen, bloß alles eine Nummer kleiner: Studenten fachsimpeln neben einem Wagen, der bei den Hochschul-Rennen an den Start geht.

(Foto: Robert Haas)

Statt auf Prüfungen arbeiten sie auf Wettkämpfe hin: Hochschüler bauen Rennwagen und treten damit bei Wettkämpfen auf Strecken wie Silverstone oder Hockenheim an. Bei Firmen sind die jungen Konstrukteure nach ihrem Uni-Abschluss äußerst gefragt.

Von Wiebke Harms

Nicht der schnellste Wagen gewinnt

Am Ende stehlen die Maschinen den Menschen die Show. Als die Tücher von PW 9.15 und PWe 6.15 gleiten, stürmen die Besucher zur Bühne, um die Rennwagen aus der Nähe anzuschauen. Mit gezückten Smartphones drängen sie die Erbauer der Autos zurück. Die umarmen sich im Hintergrund, mit einem seliges Lächeln auf den Lippen. Bevor die Tücher fallen konnten, haben sie monatelang neben Vorlesungen und Prüfungen geschuftet. Vor allem in den letzten Wochen vor der Präsentation der neuen Rennwagen, dem Rollout, haben viele aus dem Team wohl sogar mehr Zeit in der Werkstatt als im Hörsaal verbracht.

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Für Studenten, die in einem von 60 deutschen Formula Student Teams mitarbeiten, ist das ganz normal. Sie entwerfen, konstruieren und bauen eigene Rennwagen, mit denen sie gegeneinander antreten. Sie arbeiten nicht auf Prüfungen hin, sondern auf die großen Wettkämpfe: Silverstone in England oder Hockenheim in Deutschland.

Auf den Rennstrecken gewinnt nicht der schnellste Wagen. Die Juroren bewerten auch das Design und die Businesspläne. Aus München treten zwei Teams bei dem Konstruktionswettbewerb an: In den Räumen der Hochschule München (früher: Fachhochschule) schraubt "Munich Motorsport", in der Technischen Universität das "Tufast Racing Team". Die Studenten der Bundeswehruniversität in Neubiberg haben ebenfalls ein Rennteam, das "Athene Racing Team".

Auf die Nachtschicht folgt die Präzisionsarbeit

"Die Tufast haben uns den Stachus weggeschnappt", sagt Michael Gambitz und lacht. "Da hätten wir auch gern präsentiert." Gambitz und sein Team "Munich Motorsport" präsentieren ihre zwei Autos, eines mit Elektroantrieb und eines mit Verbrennungsmotor, stattdessen im Foyer der Hochschule in der Lothstraße.

Am Vortag des Rollout haben die letzten Teammitglieder nach einer Nachtschicht erst um sieben Uhr morgens das Werkzeug aus der Hand gelegt. Vormittags werkeln schon die nächsten. Zwei Studenten richten auf einem Brett den Querlenker aus. Die Stangen müssen im richtigen Winkel liegen, es ist Präzisionsarbeit, wie fast alles beim Rennwagenbau. Immer wieder verschieben sie eine Stange um Millimeter, diskutieren über den Winkel. "Wolltet ihr nicht um elf mit Schweißen fertig sein?", ruft ihnen ein Kollege zu. Die beiden gucken nur kurz hoch.

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In einer Garage dahinter lagert der Rumpf des Elektrowagens auf einem Tisch. Innen liegen die Kabel, außen fehlen noch die Räder. PWe 6.15, so heißt das Modell, wird als erstes Elektrofahrzeug aus dem Rennstall der Hochschule von vier Radnarbenmotoren angetrieben, statt wie seine Vorgänger von einem Motor über die Hinterachse. "Wir versuchen jedes Jahr ein besseres Auto zu bauen", sagt Gambitz.

Die Formula Student ist ein Wettbewerb für Tüftler. Sponsoren unterstützen die Studenten mit Geld, Wissen und Materialien und hoffen im Gegenzug, talentierte Ingenieure zu entdecken oder neue Werkstoffe bekannter zu machen. Denn die Studenten sind experimentierfreudig. Und sie lernen dabei mehr als in Vorlesungen, da ist sich Jörg Grabner sicher. Der Professor an der Hochschule München wird "Gründervater" des Teams "Munich Motorsport" genannt.

Es gehe nicht nur um Fachwissen, sondern auch um Fragen des Marketings oder Kostenbewusstseins, sagt Grabner - "eine bessere Ausbildung kann man gar nicht machen". Entsprechend seien bei Unternehmen Bewerber gefragt, die in einem Hochschul-Rennteam mitgearbeitet haben. Ganz abgesehen von den internationalen Kontakten, die bei den internationalen Wettbewerben eben auch entstünden.

Wo das Münchner Kindl den Mittelfinger reckt

Im Büro von "Munich Motorsport" hängen Designentwürfe an der Wand. Eine Zeichnung zeigt ein Rennauto mit Haifischschnauze, das Heck ziert eine Flosse. Am Ende hat das Team sich zum zehnjährigen Bestehen für schlichte Designs entschieden: das Elektroauto strahlend weiß, der Verbrenner schwarz und Anthrazit kariert. Auf der Schnauze reckt das Münchner Kindl herausfordernd den Mittelfinger. Über alle Entwürfe hat das gesamte Team abgestimmt, mehr als 70 Frauen und Männer. In den Werkstatträumen stehen zwischen Werkzeugen und Kabeln Bierflaschen und Dosen von Energydrinks. Auf Sofas und Matratzen legen sich müde Konstrukteure zwischendurch schlafen. Alle arbeiten hier unbezahlt und freiwillig, die Autos sind ihre Leidenschaft.

Besonders wenn Gambitz über Hockenheim spricht, gerät er ins Schwärmen: 115 Teams aus aller Welt, einer der wichtigsten Wettbewerbe. Die Studenten haben das Rennen Ende Juli bei vielen Entscheidungen im Hinterkopf. Die Präsentation der Wagen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg nach Hockenheim - obwohl die Wagen zum Zeitpunkt des Rollouts noch keinen Meter gefahren sind. Wie gut die Autos fahren, testen die Studenten erst in den kommenden Wochen. Im vergangenen Jahr belegte "Munich Motorsport" den elften Platz mit dem Fahrzeug mit dem Verbrennungsmotor. Das Elektroauto schaffte es auf den vierten Rang. Die Konkurrenz von der TU erreichte die Plätze 27 und elf.

Die Konkurrenz stichelt

Kurz nach dem eigenen Rollout schaut sich Gambitz mit einigen Kollegen die Präsentation von "Tufast" an. Sie wollen wissen, was die Konkurrenz macht. Und die Konkurrenz stichelt, auch wenn das Verhältnis zwischen beiden Teams sonst recht entspannt ist. In der Saison 2015 wolle das TU-Team mit dem Elektrowagen Platz drei der Weltrangliste erreichen, verkündet deren Teamchef auf der Bühne. "Die Ziele sind sehr hoch gesteckt", sagt Gambitz, ein paar Wochen später wird sich herausstellen, dass das Elektroauto der TU in Hockenheim gar nicht antreten darf, weil das Team Formulare zu spät eingereicht hatte.

Als die Massen sich beim Rollout von "Munich Motorsport" langsam vom Elektrofahrzeug zurückziehen, bleiben fünf junge Männer stehen. Sie fachsimpeln über Bauteile, stecken die Köpfe ins Cockpit, um die Pedale genauer zu betrachten. Drei von Ihnen tragen den organefarbenen "Tufast Racing Team"-Schriftzug auf dem Shirt. Die anderen beiden tragen Shirts von "Munich Motorsport".

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