Streit um "Menlo Towers":Der Turmbau zu Schleißheim

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Wachsen oder weichen? Oder gibt es vielleicht Mittelwege? Im Münchner Norden tobt ein Streit um zwei geplante Hochhäuser - nun können die Bewohner darüber abstimmen. Das Unbehagen über die Entwicklung der gesamten Region wird dabei deutlich.

Kassian Stroh

Die Sache ließe sich natürlich in die üblichen Kategorien ordnen: Investor plant großes Bürohaus, im Rathaus ist man begeistert, im Ort regt sich Widerstand. Leserbriefe werden geschrieben, Unterschriftenlisten ausgelegt, am Ende steht ein Bürgerentscheid. Alltag in der Kommunalpolitik.

Hochhäuser in München: Klicken Sie, um die Grafik vollständig sehen zu können. (Foto: Grafik: H. Eiden/SZ)

Die Sache ließe sich aber auch ganz anders deuten: als Angst vor dem unwiederbringlichen Verlust von Vertrautem, als Ausdruck eines generellen, oft diffusen Unbehagens über die Entwicklung der Region, das bei Projekten wie diesem sehr plötzlich sehr konkret wird. Zumal wenn es sich um ein im Wortsinne derart Herausragendes handelt wie hier.

Vermutlich geht es um beides, wenn die Unterschleißheimer nun darüber befinden, ob in ihrer Stadt kein Gebäude entstehen darf, das höher ist als 50 Meter. Anders als die allermeisten kommunalen Bürgerentscheide ist dieses eines, das auch jenseits der Ortsgrenze von Relevanz ist. Weil sich darin wie in einem Brennglas eine ganze Reihe von Fragen bündeln, die derzeit den hiesigen Großraum umtreiben.

Natürlich stießen 85 oder gar 98 Meter hohe Häuser im Münchner Umland in eine völlig neue Dimension vor. Einen ähnlich großen, in Karlsfeld geplanten Turm hat Eon im Herbst offiziell auf Eis gelegt, auch wegen des Widerstands dort. Doch Hochhäuser sind nicht nur jenseits der 50-Meter-Marke ein polarisierendes und höchst emotionales Thema. Erst neun Monate ist es her, dass der Münchner Wirtschaftsreferent Dieter Reiter (SPD) die Umlandgemeinden zieh, zu viel Platz für Einfamilien- und Doppelhäuser zu verschwenden, statt Wohnblöcke, gar Hochhäuser zu errichten.

Einen Sturm der Entrüstung erntete er da. Und die beiden Pole dieser Debatte findet man nun auch in der aktuellen Auseinandersetzung wieder: "Das passt nicht nach Unterschleißheim", argumentieren die Gegner, die die 50-Meter-Begrenzung einziehen wollen. "Wir sind hier nicht Oberammergau", entgegnen die Befürworter. Warum keine hohen Gebäude in einem Gewerbegebiet zwischen Münchens Nordgrenze und Flughafen?

Da geht es nicht nur um ästhetische Aspekte, sondern auch um die Frage, wie städtisch das Münchner Umland werden soll, vielleicht sogar muss. Soziologisch gesehen ist es das längst, städtebaulich hingegen - mal abgesehen von alten Städten wie Erding oder Freising - ist es weithin dörflich geblieben.

Eine kleine, heile Welt, zweigeschossig und schön parzelliert, "schnuckelig", wie das Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk mal nannte. Eine Ansammlung explodierter Straßendörfer ohne städtische (Infra-)Struktur, die mühsam versuchen, nachträglich so etwas wie Ortszentren zu schaffen, die dann gerne den Namen "Neue Mitte" tragen, aber allenfalls mittelmäßige Lebendigkeit aufweisen. Unterschleißheim mit seinen 27.000 Einwohnern, das sich seit zwölf Jahren mit dem Titel "Stadt" schmücken darf, steht prototypisch für diese Entwicklung.

Zwei Denkschulen prallen aufeinander: Metropolen-Vertreter wie Reiter und Merk argumentieren, im Umland müsse dichter und höher, mithin städtischer gebaut werden, um dem Siedlungsdruck zu begegnen. Aber wohnen viele Menschen nicht eben deshalb im Speckgürtel, weil es dort Gärten und nicht nur Innenhöfe gibt, weil es dort nicht städtisch zugeht, weil es eben Um-Land ist?

Hier scheint die eigentliche Kernfrage hinter dem Bürgerentscheid auf: "Die Probleme des Wachstums mit immer neuem Wachstum zu lösen, das geht nicht auf", sagt Timo Schlagintweit von der Hochhausgegner-Initiative "Stadt mit Maß". Nach gut zehn Münchner Boom-Jahren wird diese Sinnfrage nun vermehrt gestellt, nicht nur weil neue Wohn- und Gewerbegebiete großen Flächenverbrauch bedeuten und noch mehr Verkehr nach sich ziehen, als die Umlandkommunen heute ohnehin schon quält.

"Es ist genug" - mit diesem Schlachtruf zieht seit November eine gemeinsame Initiative diverser Umweltschutzverbände ins Feld gezogen. Ihr Ziel: Keine neuen Gewerbegebiete mehr im Großraum München, um das Wachstum zu drosseln.

Dieses hat Unterschleißheim reichlich hinter sich, vor 50 Jahren noch zählte es 4000 Einwohner. Mit sozialen Einrichtungen ist es durchaus gesegnet, was auch daran liegt, dass sich dort große Firmen angesiedelt haben: Der Rüstungskonzern Cassidian oder Microsoft sind nur zwei Beispiele. Und genau darum ist das zentrale Argument der Hochhausbefürworter genau das, das stets aus Rathäusern und Ministerien zu hören ist, wenn es um größere Gewerbegebiete geht, um neue Straßen oder eine dritte Startbahn am Flughafen: Angesichts der Konkurrenz der Gemeinden (wahlweise: Regionen oder Weltgegenden) müsse man als Wirtschaftsstandort attraktiver werden, um nicht auf der Strecke zu bleiben.

Oder um es mit Bürgermeister Rolf Zeitlers (CSU) sprachlich etwas eigenwilligem Bild zu sagen: Am kommenden Sonntag stehe "der Unterschleißheimer Erfolgsweg womöglich an einem gefährlichen Scheideweg".

Wachsen oder weichen? Ist das wirklich die einzige Alternative, oder gibt es vielleicht Mittelwege? Bernd Knatz, ÖDP-Stadtrat und Initiator des Unterschleißheimer Entscheids, sagt, dieser sei letztlich ein "Aufschrei der Bürger: Bürgermeister, Stadtrat, haltet Maß!"

Die Unterschleißheimer haben am kommenden Sonntag die Wahl, ob sie die Höhe von neuen Gebäuden in der Stadt auf 50 Meter begrenzen wollen - oder ob es bei Neubauten wie den Menlo Towers weiter hinaus gehen soll. Die Süddeutsche Zeitung bittet am morgigen Dienstag, 28.Februar, zur Podiumsdiskussion. Es debattieren Martin Birzl und Ulrich Starke von der Bürgerinitiative ,,Stadt mit Maß'', der Dritte Bürgermeister Christoph Böck (SPD), Stadtplaner Johannes Dragomir, Christian Hierneis vom Bund Naturschutz sowie der Erste Bürgermeister Rolf Zeitler (CSU). Das SZ-Forum beginnt um 19.30 Uhr im Bürgerhaus Unterschleißheim, Rathausplatz 1.

© SZ vom 27.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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