Streit um Holocaust-Gedenken:"Wir brauchen ein würdiges Mahnmal"

Die Vorschläge zu "neuen Formen des Erinnerns" sind umstritten. Im Interview spricht OB Ude über die Grenzen moderner Kunst.

Joachim Käppner

Die Vorschläge einer städtischen Jury zu "neuen Formen des Erinnerns" an die Opfer der NS-Zeit sind umstritten. Oberbürgermeister Christian Ude sagt im SZ-Interview, diese Ideen - etwa eine Handy-Aktion - "dürfen nie ein Ersatz für einen würdigen und zentralen Ort des Erinnerns sein". Er plädiert dafür, den Platz der Opfer des Nationalsozialismus zu einem solchen Ort umzugestalten.

Streit um Holocaust-Gedenken: Ein Denkmal, das kaum einer kennt: Der Platz der Opfer des Nationalsozialismus.

Ein Denkmal, das kaum einer kennt: Der Platz der Opfer des Nationalsozialismus.

(Foto: Foto: ales)

SZ: Herr Ude, wird die Stadt der ermordeten Münchner Juden und anderer Naziopfer künftig dadurch gedenken, dass man sich per 0800-Nummer auf "sonische Spaziergänge" durch die NS-Zeit begibt? Das sieht der favorisierte Entwurf der städtischen Jury vor.

Ude: Hier sind unterschiedliche Themen auf unglückliche Weise vermischt worden. Wir müssen doch zwei Dinge trennen: Wie wir im Stadtbild der Opfer des Holocaust und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedenken - und ob wir neue Formen des Erinnerns schaffen.

SZ: Das heißt aber, die Mittel moderner Kunst, wie sie die Jury in die engere Wahl gezogen hat, sind aus Ihrer Sicht der Gesamtaufgabe nicht gewachsen?

Ude: Wir leben hier in der einstigen "Hauptstadt der Bewegung". Vor den Toren dieser Stadt, in Dachau, wurde das erste Konzentrationslager des Dritten Reichs errichtet. Ich halte es für unverzichtbar, dass im Stadtbild ein würdiger Ort des Erinnerns und Gedenkens zu sehen ist. Die andere Frage ist: Brauchen wir neue Formen des Gedenkens?

SZ: Diese Frage könnte man angesichts der Wettbewerbsergebnisse in der Tat stellen.

Ude: Ich sage aber: Ja, wir brauchen neue Formen. Das hat die SPD zu Recht beantragt. Die Jury ist angewiesen auf das, was eingereicht wird, und vieles davon ist durchaus auf Höhe der Zeit. Die eindrucksvollen Texte, die über Handy abrufbar wären, vermitteln jungen Menschen wohl mehr als eine monumentale Skulptur. Nur: Das darf niemals der Ersatz für unser Bekenntnis zur historischen Verantwortung sein, für einen Gedenkort in der Stadt, den jeder, unabhängig von Sprache und Herkunft, sehen und begreifen kann.

SZ: Es gibt freilich schon eine große Zahl kleinerer Erinnerungsorte.

Ude: Ja, sie alle können diese Aufgabe aber nicht befriedigend lösen. Der Platz der Opfer des Nationalsozialismus ist von der Namensgebung das Richtige, und er gedenkt aller NS-Verfolgten. Aber er ist ein verkehrsumtoster Ort, an dem derzeit keine würdigen Feiern möglich sind. Am Jakobsplatz haben wir nun einen großartigen Gedenkort mit dem Gang der Erinnerung, aber er ruft allein die jüdischen Opfer ins Gedächtnis und ist nur zugänglich, wenn man an einer Führung teilnimmt.

SZ: Was schlagen Sie also vor?

Ude: Der jetzige Wettbewerb hat keine Lösung neuer Art erbracht. Deswegen halte ich es für das Vernünftigste, auf den alten CSU-Antrag von 2007 zurückzugreifen, den Platz der Opfer des Nationalsozialismus würdiger zu gestalten.

SZ: Das wird nicht leicht. Bisher wird der Platz kaum angenommen.

Ude: Es gibt aber eigentlich keine Alternative dazu. Wenn man den zentralen Gedenkort ganz neu an einer anderen Stelle schaffen würde - so wie das Holocaust-Denkmal in Berlin -, müsste man den jetzigen Platz ja umbenennen und sogar das Denkmal beseitigen. Das verbietet sich von selbst: Die Stadt München demontiert das Mahnmal für die NS-Verfolgten, eine unmögliche Vorstellung. Das Denkmal ist ja auch unbestritten eindrucksvoll, weil es mit der Flamme hinter Gittern den totalitären Charakter des Regimes als auch die Freiheitssehnsucht zum Ausdruck bringt. Nur der Platz müsste ganz anders aussehen.

SZ: Aber wie?

Ude: Ich will mich da als Oberbürgermeister nicht im Detail einmischen. Denkmale sind ohnehin am authentischen Ort am beeindruckendsten. Zum Beispiel die Topographie des Terrors in Berlin oder in Kiew das Mahnmal an die Massenerschießungen von 1941, wo man etwas von der Dimension des Verbrechens und der Grenzenlosigkeit des Leidens erfährt. Es kommt nicht darauf an, dass sich ein Künstler selber großartig darstellt. Dafür gibt es weiß Gott andere Themen. Bei uns ist die Authentizität des Ortes wohl nirgendwo eindringlicher als in Dachau. Ich würde mir halt manchmal wünschen, dass alle, die sich jetzt an der Diskussion beteiligen, auch manchmal zu den Veranstaltungen dort kommen, etwa zu den Jahrestagen der Pogromnacht. Das ist aber nachweislich nicht der Fall.

SZ: Es scheint, als hätten Sie gewisse Probleme mit der zeitgenössischen Kunst. Sie spotten ja, moderne Denkmäler müssten aus Sicht der Kulturschaffenden möglichst unverständlich sein.

Ude: Seit Jahrzehnten streite ich doch dafür, dass die Avantgarde eine Chance hat, dass Kunst keine Dekoration und kein Zierrat ist, sondern auch verstören und provozieren können soll. Eine andere Frage ist aber: Wie geht München mit dem Unrecht um, das hier begangen wurde? Da kann die Politik sich nicht hinter einer Jury verstecken und sagen: Bitte, es tut uns leid. Aber wenn man das Denkmal nicht sehen kann oder wenn es keiner versteht, sind wir nicht verantwortlich; wir waren ja nicht in der Jury.

SZ: ... weshalb Sie ja die Laser-Lichtinstallation zum Gedenken an den 1919 ermordeten Ministerpräsidenten Kurt Eisner ablehnen.

Ude: Ein Denkmal, das man den größten Teil des Tages nicht sehen kann, gehört gewiss nicht zum politischen Selbstverständnis der Stadt. Ich frage mich beim Gedenken an den Nationalsozialismus: Was erwarten etwa Holocaust-Opfer von uns? Ich kann doch nicht sagen: Deren Bedürfnis nach einem Gedenkort wische ich vom Tisch und interessiere mich nur noch für die Handygeneration.

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