Straffälliger in München:Zurück ins Leben

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Ein Streit, ein paar Schläge, dann zog er die Waffe. Der Münchner Albert ist nach einem Gefängnisaufenthalt wieder in Freiheit. Die Zeit hinter Gittern hat sein Leben verändert.

Simone Sälzer

Sie sind die einzigen, die ihn nie betrogen haben: Susi, Sancho, Sissi und Gansha. "Sie sind viel ehrlicher als Menschen", sagt Albert. Seit er fünf Jahre alt ist, begleiten ihn Hunde. Sein erster Hund war Dackel Susi, dann folgten Sancho und Sissi. Seit zwei Jahren ist der schwarze Mischling Gansha an seiner Seite.

Albert und Gansha: Ein Leben ohne Hunde kann sich der einmal Straffällig gewordene Giesinger nicht vorstellen. (Foto: Simone Sälzer)

Doch ausgerechnet einer seiner Hunde gab seinem Leben eine unerfreuliche Wende. Als Albert an einem Abend vor zehn Jahren mit Sancho im Park spazieren geht, wird er von zwei Männern von der Seite angemacht. Er solle seinen Hund an die Leine nehmen, sagen sie. Und noch ein paar andere Worte. Albert rastet aus. Schlägt zu. Und zieht eine Waffe. Die beiden Männer rufen die Polizei.

Albert wird festgenommen, verbringt die Nacht auf der Wache - und kommt gleich am nächsten Tag ins Gefängnis Stadelheim. "Ich habe noch schnell meine Schwester angerufen, damit sie meinen Hund nimmt", sagt er. Diesen sieht er die folgenden drei Monate nicht mehr. Denn er wird wegen Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt - und muss hinter Gitter.

Albert ist 52 Jahre alt. Alle nennen ihn aber nur Mandy. Den Spitznamen hat ihm seine Oma gegeben. Mandy ist bayerisch und heißt eigentlich "kleiner Bub". Seinen Nachnamen will er nicht nennen. Mandy trägt eine graue Hose, schwarzen Kapuzenpulli und schwere Stiefel. Um seinen Hals baumelt eine silberne Kette. Er wirkt wie ein harter Kerl, der niemanden an sich ranlassen will. Außer seinen Mischling Gansha. Wenn ihn dieser mit seiner kalten Schnauze anstupst, glänzen Mandys stahlblaue Augen.

Mandy ist in Giesing aufgewachsen. Er verbrachte eine schöne Kindheit, wuchs mit drei jüngeren Schwestern auf. Nach der Schule lernte er Automechaniker. Als Jugendlicher kiffte er. Gelegentlich hob er mit seinen Kumpels Autos von den Parkplätzen und stellte sie mitten auf die Straße - zum Spaß. "Wir bekamen bald eine Anzeige und mussten für den Schaden aufkommen", sagt er. Seine erste Auseinandersetzung mit den "Grünen", wie er die Polizei nennt. Doch die "Grünen" kannten Albert schon lange - denn sein Vater war Polizist auf dem Giesinger Revier. "Der Papa war damals richtig sauer", sagt der 52-Jährige knapp.

Als privat alles schiefging

Mit dem Gesetz geriet er dann mehr als 20 Jahre nicht mehr in Konflikt. Er führte ein geregeltes Leben, arbeitete als Fahrer bei einer Elektrofirma. Dann wurde er arbeitslos, machte sich als Bodenleger selbstständig, arbeitete auf dem Bau, als Maler, in Kneipen und als DJ.

Wie sein Berufsleben geriet auch sein privates aus den Fugen. Er trank zu viel, machte einen Entzug. Seine Freundin betrog ihn mit einem Kumpel. Seine Freunde zahlten ihm geliehenes Geld nicht mehr zurück. "Hunde sind treu, aber Menschen hintergehen einem manchmal richtig arg", sagt er. Er schluckt, senkt den Blick, schaut kurz ins Leere und streichelt gleichzeitig über das Fell von Gansha.

Über das, was an jenem Abend vor zehn Jahren passiert ist, erzählt Albert nur bruchstückhaft. Er hatte getrunken. Er steckte eine Gaspistole ein - und eine geladene Waffe. "Eine Gaspistole habe ich nachts beim Gassigehen manchmal zum Schutz dabei, warum ich die andere Waffe eingesteckt habe, weiß ich heute nicht mehr", sagt er. Als sein Hund angegriffen wird, fühlt er sich für ihn als Beschützer. "Die Hunde sind für mich wie Kinder." Den Alkohol will er als Ausrede nicht gelten lassen.

Die erste Nacht in Stadelheim nimmt der Straftäter kaum wahr. "Es ging alles so schnell", sagt er etwas wortkarg. "Ich hatte keine Zeit groß nachzudenken." Zu zweit sind sie in einer acht Quadratmeter großen Zelle im Altbau. Zwei Betten, zwei Schränke, Tisch, Waschbecken und hinter einem Vorhang die Toilette. Es riecht nach stehender Luft. Es ist ständig laut, gleich nebenan sind die Abschiebezellen.

Die Fenster sind vergittert, aber die Zellentür tagsüber offen. Denn Albert zählt unter den 1800 Insassen zu den "leichteren" Fällen. "Aber das Gefühl in der Zelle war schon beklemmend", erzählt er. Jeden Tag hat er eine Stunde Hofgang. Um 6 Uhr wird er geweckt, um 22 Uhr ist Nachtruhe. Die Anstaltskleidung muss er nur anfangs tragen, danach kann er wieder seine eigenen Klamotten anziehen. Den Großteil seiner Zeit verbringt er in der Bücherei - um sich mit dem Lesen abzulenken. "Am meisten hat mir in den drei Monaten mein Hund gefehlt."

Etwa 47.500 Menschen haben im vergangenen Jahr in der Stadt München eine Straftat begangen, 17,5 Prozent sind Wiederholungstäter. "Das ist seit dem Mauerfall im Jahr 1989 der niedrigste Stand", sagt der Polizeisprecher. Die Kriminalität in München ist im bundesweiten Vergleich aber relativ niedrig. Bei einem Städteranking der 81 deutschen Großstädte belegte die Landeshauptstadt den 74. Platz - wobei der letzte hier der beste ist.

Albert wird erst am zweiten Tag in Stadelheim erst richtig bewusst, was geschehen ist. "Wenn ich mehr getrunken hätte, hätte ich vielleicht abgedrückt", sagt er und schüttelt leicht den Kopf. Albert beschloss, mit dem Trinken aufzuhören. Mit den Wärtern und seinem ersten Zellengenossen verstand er sich gut. Doch dann stahl ihm ein Zimmergenosse Zigaretten und Geld, er fühlte sich unwohl. Die Verhandlung verlief mit Auf und Abs. Die zwei Männer wollten die Anzeige zurückziehen, der Staatsanwalt jedoch ließ die Klage nicht fallen. Eine Strafe von zwei Jahren und zwei Monaten stand anfangs im Raum. Dann besorgte ihm seine Schwester einen der Münchner Top-Anwälte. "Mandy" hatte Glück: Er bekam drei Jahre auf Bewährung. "Ich war erleichtert", sagt er. "Zwei Jahre wären schon ziemlich happig gewesen."

Ehrenmedaille für den Lebensretter

Albert atmet durch, er senkt den Blick, lässt die Hand nicht von seinem Hund. "Ich bin keiner, der Ärger sucht."Einmal habe er sogar schon ein Leben gerettet. Vor 20 Jahren befreite er einen kleinen Jungen aus einem brennenden Auto, die Mutter starb unter seinen Händen. Er holt einen Zeitungsartikel hervor. Dort ist er mit Anzug abgebildet. Der damalige Ministerpräsident Max Streibl überreicht ihm eine Ehrenmedaille.

Die Zeit im Gefängnis sieht Albert als "reiche Erfahrung", die er aber auf keinen Fall wiederholen möchte. Einen Tag vor seinem 43. Geburtstag kam er damals wieder in Freiheit, das war am 27. Juni 2001. Verurteilt hat ihn im Nachhinein für seine Zeit in Stadelheim niemand, auch sein Vater nicht. "Sie haben alle zu mir gestanden", sagt er und schmunzelt. "Und ich wurde wieder wie jedes Jahr auf die Faschingsfeier im Polizeirevier eingeladen."

Sein erster Weg aus dem Gefängnis führte ihn aber nicht zu seiner Familie oder zu seinen Freunden, sondern zu Sancho. "Meinen Hund habe ich in dieser Zeit wirklich am meisten vermisst."

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