München:Pöbeln im Schutz der Paragrafen

22 9 2017 Bundestagswahlkampf in München Wahlkampfabschluss der CDU und CSU am Marienplatz Ange

Rund 8000 Menschen kamen zu Angela Merkels Rede auf dem Marienplatz, laut waren nur ihre Gegner.

(Foto: imago/Michael Trammer)

Kanzlerin Merkel wurde zum Wahlkampffinale auf dem Marienplatz übel beleidigt und verbal bedroht - doch die Polizei hat gegen die Störer kaum eine Handhabe.

Von Thomas Schmidt

Es war laut und hässlich, was sich am Freitagabend in manchen Ecken des Marienplatzes abspielte. Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte sichtbar erschöpft, ihre halbstündige Rede zum Wahlkampfabschluss der Union zu halten. Doch die CDU/CSU-Kundgebung vor etwa 8000 Zuhörern übertönten mehrere Hundert Störer mit ununterbrochenen Pfeifkonzerten und Hass-Tiraden.

Die Massivität und Aggressivität der Proteste überraschte viele, die gekommen waren, um die Kanzlerin zu hören. Nicht wenige fragten sich auch, warum die Polizei nicht gegen die Krakeeler einschritt. Denn es waren nicht nur Kraftausdrücke und die inzwischen üblichen "Merkel muss weg"-Rufe zu hören, sondern auch kaum verhohlene Morddrohungen. So forderte etwa ein Schreihals wiederholt: "Schießbefehl für Merkel".

Dem Einschreiten der Polizei sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Artikel 5 des Grundgesetztes schützt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Beleidigungen, die die persönliche Ehre herabsetzen, sind zwar ein Tatbestand des Strafrechts und können mit Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr geahndet werden. Doch bei Großveranstaltungen ist das meist bloße Theorie.

Entscheidend ist zunächst, dass die beleidigte Person die Schmähung auch zur Kenntnis nimmt, wovon im Rausch des Pöbelsturms vom Freitagabend kaum auszugehen ist. Außerdem sind persönliche Beleidigungen "Antragsdelikte", Kanzlerin Merkel müsste also selbst Anzeige gegen den Schießbefehl-Rufer erstatten.

Anders sieht es aus, wenn der deutsche Staat verunglimpft wird. Dann kann die Polizei von sich aus tätig werden. Wer die Bundesrepublik "beschimpft oder böswillig verächtlich macht", kann mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren belangt werden. Tatsächlich nahm die Polizei am Marienplatz einen Mann aus genau diesem Grund fest.

Vier Menschen wurden festgenommen

Im Umfeld der Unions-Veranstaltung wurden noch drei weitere Personen festgenommen: Zwei wegen einfacher Körperverletzung und ein weiterer Demonstrant, weil er sein Gesicht mit einem Schal vermummt und ein Schlagwerkzeug mitgebracht hatte. Dass Letzteres nicht erlaubt ist, wird durch das Versammlungsgesetz geregelt.

Artikel 8 des Grundgesetzes erlaubt prinzipiell: "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Findet die Veranstaltung jedoch unter freiem Himmel statt, kann dieses Recht eingeschränkt werden durch das Versammlungsgesetz. Und Einschränkungen gibt es einige: Von der Versammlungsfreiheit sind Parteien oder Vereine ausgeschlossen, die als verfassungswidrig verboten worden sind. Nicht erlaubt sind außerdem Waffen oder Gegenstände, mit denen Personen verletzt oder Sachen beschädigt werden können - das kann auch schon auf Fahnenstangen zutreffen.

Gewalt ist verboten

Das Tragen von Uniformen "als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung" ist auch nicht erlaubt, wobei es für Pfadfinder, Jugendfeuerwehr und ähnliche Organisationen Ausnahmen gibt. Alles, was vor gewaltsamen Maßnahmen durch die Polizei schützt, also Helme, Schilde, Schutz- oder Gasmasken, ist verboten. Sein Gesicht hinter Masken oder Tüchern zu verbergen ebenso, weil es die Identitätsfeststellung erschwert.

Gewalt ist ohnehin immer verboten. Bei Lärm, Tröten oder Pfeifen ist die Lage kniffliger. Untersagt sind Störungen, die "die ordnungsgemäße Durchführung" der Veranstaltung verhindern. Macht ein Einzelner so viel Lärm, dass die Rede nicht mehr zu hören ist, kann die Polizei einschreiten. Das war bei Merkel aber nicht der Fall - dank wuchtiger Lautsprecherboxen.

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