Start in den Tag:Nutella fehlt auf dem Speiseplan

Start in den Tag: Das Schulfrühstück, das Brigitta Lurz vor dem Unterricht ihren Schützlingen kredenzt, kommt bei diesen offenbar gut an.

Das Schulfrühstück, das Brigitta Lurz vor dem Unterricht ihren Schützlingen kredenzt, kommt bei diesen offenbar gut an.

(Foto: Robert Haas)

Das "Denkbar"-Projekt verhilft Kindern zu einem gesunden Schulfrühstück und soll so Lernnachteile ausgleichen

Von Julia Haas

Brigitta Lurz hat mit dem Bäcker einen Deal ausgehandelt. Sie darf ihn schon morgens um fünf in der Backstube besuchen, frisches Brot und frische Semmeln mitnehmen und bekommt dafür auch noch Prozente. Brigitta Lurz ist Frühstückslotsin. Mit dem Projekt "Denkbar-Schulfrühstück" verhilft sie etwa 30 Kindern des sonderpädogischen Förderzentrums an der Boschetsrieder Straße zu einem besseren Start in den Tag.

"Für zwei der Kinder ist das Schulfrühstück die einzige richtige Mahlzeit am Tag", sagt Lurz. Bedrückt ist sie deshalb nicht. Die 71-Jährige flitzt durch den Frühstücksraum, umarmt eine ältere Schülerin, die spontan zu Besuch gekommen ist, nebenbei rührt sie den Kakao auf dem Herd um. Ein Schüler löffelt gerade seine Schokokissen, Bio-Frühstücksflocken, die es nur zweimal in der Woche gibt. "Daheim hab ich keine Zeit zum Frühstücken", sagt er. "Hier schmeckt es einfach besser", sagt das Mädchen neben ihm. Aber eigentlich komme sie vor allem "wegen Frau Lurz". Die Frühstückslotsin war früher Lehrerin an der Schule, heute unterrichtet sie noch ab und zu an einer Ganztagsschule. Wenn die Kinder morgens zum Frühstücken kommen, ist sie aber keine Lehrerin, sondern einfach Frau Lurz. Handys sind erlaubt. Das Schulfrühstück sei ja Freizeit und kein Unterricht. "Hier geht es nicht nur ums Frühstück, sondern auch ums Treffen, eigentlich hab ich ein Café", sagt Brigitta Lurz.

Wenn die Tür zum Frühstücksraum um halb acht Uhr aufgeht, warten die meisten schon davor. Fürs Essen kommen sie gerne pünktlich Sie treffen sich hier mit ihren Freunden, haben Zeit sich zu unterhalten, alleine sitzt hier niemand. "Bei Streitigkeiten musste ich auch schon dazwischen gehen", sagt Lurz. Aber ihr Frühstücksraum im Keller der Schule sei ein guter Ort, um Probleme zu klären. Und Probleme hat sie in ihren vier Jahren als Frühstückslotsin schon viele mitbekommen. Die Kinder erzählen ihr davon, sie haben Vertrauen. Man könne sich gar nicht vorstellen, in welch schwierigen Verhältnissen manche aufwachsen. "Da tut mir das Herz schon weh", sagt die 71-Jährige. Sie bemühe sich, offen sein, aufsaugen dürfe sie die Probleme aber nicht. "Umärmeln kann ich dafür richtig gut". Umärmeln, so nennt es Brigitta Lurz, wenn sie jemanden umarmt.

Doch auch Brote herrichten kann sie. Geordnet liegen sie frisch belegt auf dem Tablett. Mit Käse, Lyoner, Pute. Daneben Müsli mit Milch, Fruchtjoghurt, Fruchtsaft, Wasser sowie saisonales Obst und Gemüse. Für das Schulfrühstück kauft Lurz nicht im Supermarkt ein. Sie hat ihren persönlichen Metzger und Bäcker. Für den Rest fährt sie bis nach Gräfelfing zum Einkaufen, da sei es günstiger. Pro Kind ist in dem Denkbar-Projekt für jeden Tag ein Budget von einem Euro veranschlagt.

Das Schulfrühstück ist eine Initiative des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes und wird komplett über Spenden finanziert. Lurz versucht für das Geld das qualitativ Beste zu bekommen. "Ich will den Kindern zeigen, wie gut, gesundes und frisches Essen sein kann", sagt sie. Sie wolle ihnen das Frühstücken so nahe bringen, dass sie es sich für später bewahren. Freilich müsse man nicht unbedingt jeden Tag zum Bäcker gehen, aber für ihre Kinder mache sie es gerne. Nutella gebe es bei ihr dafür nicht, auch wenn "das die Kinder mich immer wieder fragen".

Im Raum nebenan bereitet Eva Enekes, das Frühstück für die Grundschüler im gleichen Gebäude vor. "Ich gebe nur Zeit, bekomme aber so viel zurück", sagt sie. Das findet auch Lurz. In ihrer vierjährigen Amtszeit als Frühstückslotsin war sie noch nie krank. Eine Aushilfe wolle sie gar nicht. "Das sind einfach meine Kinder", sagt sie.

Allein in München gibt es 18 andere Schulen, an denen ein Denkbar-Schulfrühstück angeboten wird. Es sei nicht leicht, freiwillige Frühstückslotsen zu finden, sagt Sieglinde Stanzl, die Projektleiterin. Denn die müssen jeden Morgen früh aufstehen und bekommen dafür nur eine Aufwandsentschädigung. "Wer einen Nebenjob sucht oder seine Rente aufbessern will, der will in München aber ja was verdienen", sagt Stanzl. An einigen Schulen musste das Projekt auch schon aufgegeben werden, weil sich kein Frühstückslotse fand. Doch auch genügend Spenden zu sammeln, sei jedes Jahr schwierig. "Wir brauchen bayernweit Sponsoren und Unterstützer, damit wir das Schulfrühstück am Laufen halten können", so Stanzl.

An Kindergärten läuft das Projekt nicht mehr, obwohl das. wie Stanzl findet, dem Grundgedanken sehr gut entspräche: "Kinder von klein auf an gutes, gesundes Frühstück zu gewöhnen." Die Grundschulen fördert das bayerische Sozialministerium. Allerdings laut Stanzl nur in besonders förderungsberechtigten Regionen und an Schulen mit mindestens 20 bedürftigen Kindern. "Alle anderen Grundschulkinder fallen durchs Raster, das ist unter großes Problem." Das Projekt soll verhindern, dass Kinder einen Lernnachteil allein aufgrund ihrer Ernährungssituation haben.

In der Boschetsrieder Straße ist es mittlerweile zehn vor acht und fast alle sind satt. Ein älterer Schüler schlurft mit einem Freund in den Frühstücksraum. Während er sich einen Saft einschenkt, murmelt er: "Nächste Woche bin ich übrigens im Schullandheim, man." Lurz fragt ihn, wo es hingeht, und überredet ihn auch, eine Brotzeittüte für einen Freund mitzunehmen. Später sagt sie: "Toll von ihm, dass er an den Termin des Schullandheims denkt und mir Bescheid sagt." Das sei hier im Förderzentrum nicht selbstverständlich.

Von der Schule kommen sehr positive Rückmeldungen. "Die Kinder kommen pünktlicher in den Unterricht, seit es das Frühstück gibt", so Lurz. Wer morgens noch nichts essen will, kann sich eine Brotzeit mitnehmen. Ähnlich wie in der Boschetsrieder Straße werden die meisten Denkbar- Schulfrühstücke organisiert. Wenn Eltern ihre Kinder anmelden möchten, läuft das ganz unaufgeregt. "Bei uns wird auch niemand dafür gehänselt, dass er hier isst", sagt Lurz. Eine Stigmatisierung gebe es nicht. Im Gegenteil. Die Schüler fragten eher, ob sie ihre Freunde auch mal mit in den Frühstücksraum bringen können.

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