Wörthsee:Wuchernde Hecken und tolerierte Schandflecken

An Wörthsees Gehwegen und Straßen gibt es immer wieder Probleme wegen überhängender Äste und Gehölze. Zwei Bürger haben dem offensichtlichen Wildwuchs auf breiter Front den Kampf angesagt, stoßen bei der Gemeindeverwaltung damit aber bislang auf taube Ohren

Von Christine Setzwein, Wörthsee

Raimund Engel, 65, ist eigentlich nicht der Typ, der zur Ratlosigkeit oder gar Verzweiflung neigt. Viele Jahre lang war er im Servicemanagement in der IT-Branche tätig und betreut heute immer wieder mal, obwohl er bereits in Rente ist, Start-ups. Auch sein Freund Andreas Preussner macht nicht den Eindruck, als könne ihn so schnell etwas aus der Ruhe bringen. Der Diplom-Designer ist viel herumgekommen in seinem Beruf: Mailand, New York, schließlich München. Mit 33 Designpreisen wurde er ausgezeichnet, bis er 2010 in Altersteilzeit ging. Was den heute 69-Jährigen jedoch nicht daran hinderte, weitere Aufträge anzunehmen. Seit 30 Jahren wohnen die beiden in Wörthsee, der eine am Burgselberg, der andere an der Seestraße, haben sich eingerichtet, genießen das Leben am Ort und die Umgebung. Preussner hat sogar an der Entstehung des Leitbilds für Wörthsee mitgearbeitet. Ihre Heimat ist ihnen wichtig. Doch jetzt sind sie enttäuscht: Von neidischen Nachbarn, von einer - ihrer Meinung nach - untätigen Verwaltung, vor allem aber von Bürgermeisterin Christel Muggenthal.

Wie so oft entzünden sich Streitereien an Kleinigkeiten. Bei Raimund Engel sind es die Büsche und Bäume auf einem Nachbargrundstück, die in den vergangenen fünf Jahren meterhoch gewachsen sind und ihm die Aussicht auf den Wörthsee nehmen. Seine Bitten an die Nachbarin, die Gehölze ein wenig zurückzuschneiden, fruchteten aber nichts. "Warum funktioniert Rücksicht nicht in der Praxis?", fragt er sich. Also sprach er vor zwei Jahren bei der Bürgermeisterin vor, verwies auf die Ortsgestaltungssatzung und das Leitbild, wonach der freie Blick über den See von Wegen und Straßen aus nicht verbaut werden soll und auch nicht durch Hecken und Sträucher eingeschränkt werden darf. Im Leitbild steht auch, dass sich alle Bürger in Wörthsee heimisch fühlen sollen. "Dazu ist es nötig, dass wir großzügig, verständnisvoll und tolerant miteinander umgehen."

"Ich bin doch auch Bürger", sagt Engel, und bat die Bürgermeisterin um Vermittlung, "weil ich das alles friedlich lösen möchte." Doch in einem Schreiben an Engel teilt Muggenthal mit, dass ihrer Ansicht nach die beanstandeten Thujen und Bäume nicht Bestandteil einer Hecke oder Einfriedung seien, deshalb greife die Ortsgestaltungssatzung auch nicht. Und die Hecke daneben sei vorschriftsmäßig geschnitten. Engel wandte sich mehrmals an das Landratsamt, sogar an die Regierung von Oberbayern - alles ohne Erfolg. Er sprach noch einmal bei der Bürgermeisterin vor. Gut möglich, dass dieses Gespräch im Rathaus etwas aus dem Ruder lief, denn "Muggenthal hat mich aus dem Zimmer gewiesen", erzählt Engel. Dabei, sagt der 65-Jährige, "möchte ich doch nur ernst genommen werden".

Wörthsee Burgelsberg

Hier müsste zurückgeschnitten werden: Durch das ungeschnittene Grün - hier in der Etterschlager Straße - wird's auf dem Gehweg eng.

(Foto: Georgine Treybal)

Das möchte auch Andreas Preussner. Er hat gleich einen ganzen Katalog zusammengestellt "über den Zustand in der Gemeinde Wörthsee": Aus dem Rathaus kämen jedoch gar keine oder nur unbefriedigende Antworten. Seine Liste über die Missstände ist lang: Es gebe zu wenig Personal; die Bürgermeisterin gehe nicht auf die Bürger zu; an der Ecke Seestraße/Erlenweg behinderten hohe Bäume und Hecken die Sicht, was zu einer Verkehrsgefährdung führe; niemand kümmere sich um die Bäume auf den Seegrundstücken, so dass bei jedem Sturm große und kleine Äste durch die Gegend geschleudert würden; am Bulachbach gebe es keinen Hochwasserschutz; der "Wörthseeblick" - seit Jahrzehnten ein Schandfleck; über einen zweiten Supermarkt werde seit zwei Jahren nur geredet; das Leitbild - in der Schublade verschwunden. Und nicht zuletzt werde nichts getan gegen betrunkene Jugendliche und Erwachsene, die "nachts regelmäßig laut grölen und singen". Da hat sich einiges aufgestaut. Preussner wünscht sich, dass die Gemeinde bei Problemen die betroffenen Bürger mehr einbezieht, "dass sich etwas bewegt und nicht so viel an administrativen Hürden hängen bleibt".

Bürgermeisterin Muggenthal bestätigt, dass sie Engel aus ihrem Büro geworfen habe. "Weil er unverschämt wurde", sagt sie. Sie selbst und Mitarbeiter des Landratsamts hätten sich die Situation vor Ort angesehen. Die Hecke der Nachbarin sei ordnungsgemäß gestutzt gewesen. Was die hohen Bäume und Sträucher auf dem Grundstück angeht, die schon in die Telefonleitung wachsen, sei das Sache der Telekom", meint sie. Und wenn sie den Seeblick der Nachbarn in der zweiten Reihe stören, "müssen sie privatrechtlich dagegen vorgehen", sagte sie.

Dass es in Wörthsee immer wieder Probleme auf Gehwegen und Straßen wegen überhängender Äste gibt, weiß sie. "Ich gehe ja auch spazieren." Jedes Jahr werden an die Anlieger Flyer verteilt, mit denen sie aufgefordert werden, überhängende Äste und Zweige zurückzuschneiden, damit Fußgänger und Radfahrer nicht auf die Straße ausweichen müssten. Doch Papier ist geduldig. Und weil das Bauamt der Gemeinde Wörthsee schon seit langem unterbesetzt ist - seit August gibt es nach dem Weggang von Uwe Kreißelmeier auch keinen Leiter - kommen störrische Grundstücksbesitzer oft unbehelligt davon.

Wörthsee RH, BGM Muggenthal

Steht im Fokus der Kritik: Bürgermeisterin Christel Muggenthal fühlt sich nicht für alle Missstände in Wörthsee zuständig. Immerhin soll das Bauamt nun Verstärkung erhalten.

(Foto: Georgine Treybal)

Das könnte sich in naher Zukunft allerdings ändern. Die Gemeinde hat die Stelle und damit auch die Aufgaben geteilt und sucht nun zwei Vollzeit-Mitarbeiter. "Wir wollen im Bauamt ein kleines Ordnungsamt installieren", sagt die Bürgermeisterin. Also ist einer unter anderem für den Vollzug gemeindlicher Verordnungen und Satzungen sowie die öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständig, während sich der andere um Baurecht und Bauleitplanung kümmert. Der Kollege vom Ordnungsamt hätte dann mehr Zeit, sich zu hohen Hecken und überhängenden Ästen zu widmen und notfalls auch "Ersatzmaßnahmen" vorzunehmen. Sprich: Der Bauhof schneidet selbst zurück, wenn es der Grundstücksbesitzer nicht tut.

Raimund Engel überzeugt das alles nicht. Für ihn ist derzeit alles, was aus dem Wörthseer Rathaus kommt, nur noch "Phrasendrescherei".

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