Weßling:"Kinder sind mir wichtiger als Frösche"

Lärm, Gestank und Risse in den Wänden: In Weßling kommt das Bürgerbegehren für eine Umgehungsstraße auf den Weg.

Christian Deussing

WeßlingDie Bücher in dem Antiquariat rutschen unmerklich nach vorn, immer wieder. "Darauf hat mich mal ein Kunde aufmerksam gemacht", erzählt Inhaberin Vera-Maria Appel, während wieder ein Lastwagen an dem ehemaligen Schulhaus in der Weßlinger Hauptstraße vorbeidonnert. Die 67-jährige Anwohnerin erzählt von Rissen in der Schlafzimmerwand, und dass die ständigen Erschütterungen irgendwann auch die Statik des Gebäudes gefährden würden. Lüften könne man nur zum Hinterhof hinaus, aber auch dort sei der Lärm noch deutlich zu hören, klagt die Weßlingerin. Sie will, dass die Umgehungsstraße endlich gebaut wird und hofft, dass die Gemeinderäte "die Sache nun anpacken".

Weßling Verkehr

Bis zu 20 000Autos fahren Tag für Tag durch die Weßlinger Ortsmitte, darunter eine große Anzahl Lastwagen. Vielen Einwohnern stinkt's - und sie fordern deshalb eine Umgehungsstraße.Foto: Treybal

(Foto: Georgine Treybal)

Appel begrüßt daher das geplante Bürgerbegehren, das am heutigen Mittwoch der Verein "Verkehrsberuhigung für Weßling" auf den Weg bringen will. Demnach soll die Gemeinde die 10,5 Millionen Euro teure Trasse in Sonderbaulast vorfinanzieren - unter dem Strich müssten hierbei rund drei Millionen Euro aus eigener Kasse übernommen werden. Das sei für eine "industriegesegnete Gemeinde" wie Weßling doch leicht zu bewältigen, glaubt die Antiquarin.

Täglich rollen mittlerweile bis zu 20 000 Fahrzeuge durch den eigentlich beschaulichen Ort mit dem idyllischen See und den reizvollen Sträßchen. Allerdings wird es auch dort teilweise ungemütlich, weil sich viele genervte Autofahrer Schleichwege suchen, um den Staus vor allem in Richtung Lindauer Autobahn zu entgehen. "Die Leute kurven sogar um den See herum", berichtet eine 31-jährige Anliegerin. Sie hält einen Bürgerentscheid auch für sinnvoll, um mehr Druck auf das Rathaus auszuüben. "Es wäre zudem gut, überall Tempo 30 in Weßling einzuführen und mehr Radwege zu schaffen", sagt die Bürgerin.

Besonders auf der Hauptstraße sind Radfahrer gefährdet, brenzlige Situationen nicht selten. Und wer diese Straße überqueren will, muss wahnsinnig aufpassen. "Kinder sind mir wichtiger als Frösche", meint dazu René Babiano. Der 48-jährige Werbeberater spielt auf die gescheiterte Klage des Bund Naturschutzes (BN) an, der auf das Vorkommen von Hirschkäfern und Kammmolchen im Trassenverlauf hingewiesen hatte. Der Mann fühlt sich von der Hauptstraße seit langem belästigt und gepeinigt, ohne selbst Anwohner zu sein. Ähnlich denkt Albert Gino Salku, Inhaber des Restaurants "Mediterraneo". Dass später bei einer Umgehungsstraße womöglich weniger Gäste sein Lokal besuchen könnten, beunruhigt den 43-jährigen Gastronomen keineswegs. Es würden bestimmt immer noch genügend einkehren, ist er überzeugt.

Weniger begeistert ist Dietmar Possart von der Vision, die Hauptverkehrsader könne sich in eine Spiel- und Begegnungsstraße verwandeln. "Dann können wir unsere BK-Tankstelle in diesem Bereich vergessen", sagt der Chef der Freien Tankstellenkette Benzin-Kontor. Derzeit habe man in Weßling täglich viele Kunden und profitiere natürlich von dem starken Verkehr durch den Ort. Possart hofft aber, ein neues Areal an der Umgehungsstraße zu finden, es gebe darüber schon positive Gespräche mit der Gemeinde.

Antiquarin Appel vermutet sogar, dass die Geschäfte an einer beruhigten Hauptstraße mit wieder dörflichem Charakter "aufblühen". Wenige Häuser neben ihrem Domizil befindet sich eine Tierarztpraxis. Die Sprechstundenhilfin Angelika Herr geht gerade aus dem Haus. Am Fußweg fahren Autos und Laster vorbei, der Lärm verschluckt beinahe die Worte der 35-Jährigen, die in Unterbrunn wohnt. "Zum Glück ist bei uns die Umfahrung bald fertig", betont die Frau.

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