Weßling:Jazzpoesie aus dem Pfarrstadl

Weßling Pfarrstadl, Jazzkonzert Chris Gall

Verzauberte solistisch den Weßlinger Pfarrstadl auf ganz eigene Art mit Klangfülle und Verdichtung der Textur: Jazzpianist Chris Gall.

(Foto: Georgine Treybal)

Pianist Chris Gall begeistert mit Konzentration auf ein einziges Instrument und Fokussierung auf eigene Kompositionen

Von Reinhard Palmer, Weßling

Dieser poetisch weitschweifende, seelentief inspirierte und ätherisch entrückte Jazz ist zeitlos und war im Grunde nie ein bestimmender Stil. Vielmehr immer eine Randerscheinung, die so gut wie alle Jazz-Stile begleitete. Erst mit dem legendären Kölner Konzert von Keith Jarrett gewann diese Sparte mehr Aufmerksamkeit in der Fachwelt. Vor allem deshalb, weil sich dabei der Zuspruch des Publikums für den Lyrikjazz massiv offenbarte. Dass diese Musik beim Publikum weiterhin ankommt, war auch deutlich zu spüren, als Pianist Chris Gall zu Gast vom Verein "Unser Dorf" nun solistisch auf seine eigene Art den Weßlinger Pfarrstadel verzauberte. Gall war dem hiesigen Publikum bereits aus dem Tangoprojekt der Formation "Quadro Nuevo" bekannt.

Die Konzentration auf ein einziges Instrument und Fokussierung auf eigene Kompositionen Galls ohne weltmusikalische Elemente kehrte die besonderen stilistischen Merkmale der Gattung deutlich hervor. Und die hängen zunächst damit zusammen, dass der Pianist bei Bedarf schon mal seine eigene Rhythmusgruppe sein muss und auch eine packende Unterlage kreiert. Meist lief dies auf ostinate rhythmische Begleitfiguren hinaus, die nicht selten in ihrer Dichte und Intensität nah an Soundscapes heranreichen.

Wenn sie kraftvoll und straff gerieten, wie etwa in "Rose" - Erinnerung an eine Englischlehrerin -, kam mit der repetitiven Struktur der Eindruck eines Perpetuum mobile zustande, der kompromisslos vorandrängte. In "A Roundabout's diary" bot sich dieser Effekt thematisch - Tageslauf eines Kreisverkehrs - besonders treffend an, mutierte aber im weiteren Lauf zum packenden Groove, über dem motivische Einwürfe oder rasant-virtuose Improvisationen für erzählerische Ereignisse sorgten.

Als Chris Gall das Konzert mit "My Waltz eröffnete", war es denn auch so etwas wie ein Bekenntnis, ein Sich-Offenbaren. Das bedeutete, dass dieses Konzert ganz ungewöhnlich mit leisen Tönen begann und in durchaus legendenhaftem Charakter mit sanften Tönen erst einmal das Publikum aus dem hektischen Alltag abholte und auf Empfang brachte. Nicht zuletzt, um für die feinen Nuancen des Spiels zu sensibilisieren. Da war schon viel Klassik dabei, harmonisch etwa in Richtung Jacques Ibert, vom Duktus her indes Erik Satie nahe. Aber bei leisen Tönen blieb es nicht: Die Stücke Galls haben immer auch eine Entwicklung, einen dramaturgischen Bogen. Nach rezitativischen Einleitungen brachte Gall meist Bewegung ins Spiel, fließende Begleitfiguren, die den Themen und Melodien ermöglichten, abzuheben und zu schweben. Die minimalistische Monotonie des Repetitiven in schönmalerischer Begleitung sorgte dabei für adäquate Atmosphäre, wie etwa in "Yorke's Guitar", einer Reminiszenz an den Gitarristen Thom Yorke mit einem Anflug an Nostalgie.

Die Steigerungen spielten sich sachte und weit gedehnt ab, vordringlich im Anwachsen der Substanz, in der Klangfülle, aber auch in der Verdichtung der Textur. Wichtiges Element der Musik von Chris Gall ist die klangmalerische Erzählung. Weniger in chronologisch-linearer Weise, als vielmehr als eine Art Mindmap. Durchaus im Sinne kindlicher Spontanität, wie sie Gall in "Children's Daydream" explizit mit Stimmungswechseln und charakterlichen Wendungen thematisierte. Entscheidend blieb letztlich die intensive emotionale Ausprägung - in welche Richtung auch immer.

So in sensibler Empfindsamkeit des zarten Rieselns und flackernder Soundscapes im "Empty pale blue Paper", leidenschaftlich über einem rhythmisierten, flackernd-vibrierenden Teppich im brasilianischen "Forró" oder voller Energie in "Implacable" unerbittlich in dichter, kraftvoll konturierter Textur. Überaus reizvoll in farblich-klangmalerischer Hinsicht zeigte sich die Gall-Variante von Debussys "The Little Shepherd" in impressionistischer Luftigkeit, mit kraftvollen Zäsuren kontrastiert. Lang anhaltender Applaus und eine bluesige Zugabe: "Moran".

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