Vorgeblättert:Emotion und Sinnlichkeit

Zukunft des Buchs: Sind gedruckte Werke ein Auslaufmodell oder geht um mehr als nur bedrucktes Papier? Das E-Book jedenfalls scheint kein echter Ersatz zu sein

Von Bettina Herrmann-Wilden

Wird es in zwanzig Jahren noch Bücher geben? Oder nur noch E-Books? Und was ist mit den Buchhandlungen? Sind sie Auslaufmodelle in Zeiten der digitalen Omnipräsenz? Mit Fragen wie diesen befasst sich die Serie "Vorgeblättert": Die SZ bat Buchhändler aus dem Fünfseenland um ihre Prognose und außerdem um einen ganz altmodischen Buchtipp. Der Autorin dieses Textes, Bettina Herrmann-Wilden, leitet die "Leselust" in Gilching.

Wenn ich morgens die Ladentür aufsperre, gibt sie den Weg in ein "Wohnzimmer" frei. Dort sind Geschichten zu Hause, sie wohnen im Laden, dort stehen sie in den Fächern der Regale und warten darauf, dass sie jemand herausnimmt, dass jemand die Buchdeckel öffnet und in die Welt der Literatur und Information eintaucht. Es empfängt mich der vertraute Geruch der Bücher, der mir das Gefühl verleiht, anzukommen, zu Hause zu sein, selbst in dieses "Wohnzimmer" zu gehören, in dem die Bücher mit ihren zahllosen Geschichten leben.

Die Neugierde wird schon geweckt, wenn wir ein Paket mit einer Lieferung öffnen, das erste Buch aufklappen und zu blättern anfangen. Und diese Neugierde sehe ich auch bei meinen zahlreichen Kunden. Alleine wegen solcher Erfahrungen und Empfindungen mache ich mir um die Zukunft des Buches keine Sorgen. Ja, ich würde sagen: In der Gegenwart des Buches steckt auch die Zukunft des Buches, es geht um mehr als nur bedrucktes Papier, es geht um Emotionen.

Gilching Buchhandlung LeseLust

Macht sich um die Zukunft des Buches keine Sorgen: Bettina Herrmann-Wilden, Leiterin der "Leselust" Gilching, in ihrem "Wohnzimmer".

(Foto: Georgine Treybal)

Solche Erfahrungen und Sinneseindrücke kann das E-Buch nicht bieten. Ein elektronisches Buch ist nur praktisch, nicht aber sinnlich. Das ist für mich ein wesentlicher Unterschied. E-Bücher stehen nicht in Regalen, sie verströmen keinen angenehmen Geruch - man hält höchstens den E-Book-Reader in der Hand, der nach Elektromarkt riecht, aber nicht nach Geschichten, nicht nach Zuhause. E-Bücher liegen auf Servern, man findet man sie in Dokumentenordnern. Sehr nüchtern, auch wenn ich anerkenne, dass E-Bücher natürlich ebenfalls ihre Berechtigung haben und nützlich sind.

Allerdings habe ich den Eindruck, dass der Höhepunkt des E-Buch-Erfolgs bereits überschritten ist. Seit etwa einem Jahr geht die Nachfrage zurück und die der gedruckten Bücher steigt wieder. Das beobachte ich nicht nur bei uns in der Buchhandlung, sondern es gibt auch dafür Zahlen aus großen Märkten wie den USA oder Großbritannien. Vielleicht geht es vielen Kunden so wie mir und empfinden eine emotionale Bindung zum gedruckten Buch, das sie in der Hand halten können. Bücher kann man "anfassen", in ihnen kann man ohne Batterie schnell herumblättern, quer lesen und es sogar unter das Kopfkissen legen. Ein Wohnzimmer ohne Bücheregal? Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass da nichts mehr stehen würde - die große Leere.

Buchtipp

Ein liebeswerte Buch über die späte, ungewöhnlich beginnende Liebe eines älteren Paares, argwöhnisch beäugt von den Einwohnern einer amerikanischen Kleinstadt: Kent Haruf, "Unsere Seelen bei Nacht". Diogenes Verlag, 208 Seiten, 20 Euro.

Die Zukunft des Buches besteht auch darin, vermehrt besonders gut gestaltete Bücher für alle Leser anzubieten, um typografisch und grafisch das Lesen zu einem angenehmen Erlebnis zu machen.

Eine schöne Buchhandlung stellt für mich einen Ort dar, an dem ich mich gerne aufhalte. Ich liebe es, herumzugehen, zu stöbern, um mich dann mit einem Stapel Bücher in eine stille Ecke zu setzen. In solchen Momenten kann ich die Zeit vergessen. In eine Buchhandlung zu gehen, ist mehr als nur einzukaufen. Es ist Erlebnis und Erholung, es ist eine kleine Flucht aus dem Alltag und am Ende kann ich beglückt Geschichten mit nach Hause nehmen.

Dieses Erlebnis bietet das E-Buch nicht. Klar, ich kann mir online mehrere Texte aussuchen, sofort herunterladen und auf dem Reader vorhalten und konsumieren. Ich werde aber leicht beim Einkauf im Internet abgelenkt, verbrauche meine Zeit auf irgendwelchen Nachrichtenseiten und nicht für "meinen" Roman. Eine anonyme Welt.

Die persönliche Beziehung zu meinen Kunden spielt eine große Rolle. Über Bücher lässt sich herrlich sprechen und diskutieren. Der Austausch vermehrt die Informationen und vertieft die Empfindungen. Mit manchen Kunden ist so über die Jahre eine echte Beziehung entstanden. Wir kennen und schätzen uns, wir wissen, welchen Geschmack der andere hat und empfehlen uns gegenseitig Bücher.

Klar, als Buchhändlerin ist es vor allem meine Aufgabe, Bücher zu empfehlen und zu verkaufen. Aber ich bin ja auch Leserin und freue mich über die Leseleidenschaft und Leselust, die meine Kunden mitbringen. Insofern: Das Buch hat Zukunft, es wird uns noch lange, lange Zeit begeistern und begleiten.

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