Verkehr:Zeit der Klärung

Der Stadtrat will Möglichkeiten und Grenzen zur Verkehrsentlastung der Kreisstadt ausloten: Bürgermeisterin John soll mit den Behörden sprechen

Von Peter Haacke, Starnberg

"Tunnel oder Umfahrung?" lautet zugespitzt die Frage, die Starnberg seit Jahrzehnten beherrscht. Die Entlastung vom Durchgangsverkehr ist das umstrittenste Thema in der Kreisstadt. Nach zwei Jahren faktischen Stillstands in der Angelegenheit hat der Starnberger Stadtrat im Rahmen einer knapp einstündigen Sondersitzung am Donnerstag nun in seltener Harmonie einen Beschluss gefasst, der die Sachlage womöglich abschließend klären könnte: Bürgermeisterin Eva John soll auf Grundlage bisher ausgearbeiteter Planungen und Vorschläge mit den zuständigen Behörden - Staatliches Bauamt, Regierung von Oberbayern und Innenministerium - bis Februar 2017 die Bedingungen klären, ob, wie und in welchem Zeitraum Starnberg durch Alternativen zum B2-Entlastungstunnel vom Durchgangsverkehr entlastet werden kann (siehe Infokasten).

"Weiteres Vorgehen für das Themenfeld Verkehrsentlastung" war der einzige Tagesordnungspunkt der Sondersitzung, die auf Betreiben des CSU-Vorsitzenden Stefan Frey mit Unterstützung von 14 Stadträten fraktionsübergreifend zustande gekommen war. Frey blieb es vorbehalten, seinen Antrag zu erläutern: Es sei an der Zeit, mit den zuständigen Behörden endlich zu klären, was möglich ist und was nicht. Der Stadtrat müsse formulieren, was man will: Den Tunnel, eine Umfahrung oder eben nichts. Es bestehe in der Bürgerschaft ein "vielfaches Bedürfnis", die Sachlage zu klären und damit die angespannte Situation zu befrieden. Groß sei 2014 die Hoffnung gewesen, mit dem "Verkehrsentwicklungsplan" (VEP) eine Entscheidung herbeiführen zu können. Doch herausgekommen sei nur "ein weiteres Gutachten neben vielen anderen". Kleine Verkehrsmaßnahmen hätten zwar "einen gewissen Effekt", seien aber im Hinblick auf den Durchgangsverkehr nicht entscheidend. Man könne das Thema aber nicht noch weitere Jahre verschleppen.

Verkehr in Starnberg

Der tägliche Durchgangsverkehr gilt seit Jahrzehnten als eines der größten Probleme der Stadt.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Für die meisten überraschend erklärte auch die WPS Zustimmung zum vorliegenden Antrag, wobei Günther Picker die Rolle des Fraktionssprechers für das BMS gleich mit übernahm. Er wollte lediglich das Wort "Klärung" durch eine "Prüfung" ersetzt wissen; das Gremium einigte sich schließlich auf die Kompromiss-Formulierung "Klärung und Prüfung". Die Begründung für den insgesamt verblüffend erscheinenden Sinneswandel bei WPS und BMS lieferte etwas später Klaus Huber: Intern habe man den CSU-Antrag analysiert, zumal es einen "Interessenkonflikt" in der Bevölkerung gebe. Die Ergebnisse des VEP hinsichtlich der Wirksamkeit der verschiedenen Umfahrungsvarianten seien vor zwei Jahren aber nicht bekannt gewesen.

Das Gremium hätte damit schon zur Abstimmung schreiten können. Doch sämtliche Fraktionen mit Ausnahme der SPD verspürten noch Erklärungsbedarf. Patrick Janik (UWG) erfreute sich der "trauten Harmonie" im Stadtrat und brachte die Debatte auf den kleinsten gemeinsamen Nenner mit der Frage: Gibt es eine Alternative zum Tunnel? Für die Grünen konstatierte Martina Neubauer, dass zwar "eine Menge Zeit verloren" gegangen sei, freute sich aber grundsätzlich über das positive Signal. Fraktionskollege Franz Sengl appellierte ans Gremium, endlich Mut aufzubringen für die Frage: "Was geht überhaupt?" Er erinnerte an Altbürgermeister Ferdinand Pfaffinger, der sich vom "glühenden Umfahrungsbefürworter" zum Realpolitiker gewandelt und den B2-Tunnel als einzige Entlastungsmöglichkeit erkannt hatte.

Neun zu klärende Fragen

1. Welche Behörden sind für Genehmigung, Planung und Bau von Alternativen jeweils zuständig? 2. Welche einzelnen Verfahrensschritte sind jeweils erforderlich, welche realistischen Zeiträume sind für Genehmigung, Planung und Bau anzusetzen? 3. Welche Zustimmungen welcher Behörden und Körperschaften sind erforderlich? 4. Wer müsste jeweils Planungs- sowie Verfahrenskosten und letztlich die anfallenden Baukosten für eine Alternative tragen? 5. Wie hoch werden voraussichtlich für die einzelnen Schritte die Kosten sein und wer hat diese zu tragen? 6. Wie wird die Realisierungschance für Alternativen in rechtlicher Hinsicht beurteilt? 7. Wie wird die Realisierungschance für Alternativen in finanzieller Hinsicht beurteilt? 8. Bieten Alternativen aus Sicht der zu beteiligenden Behörden jeweils eine Entlastung für den B2-Durchgangsverkehr im Sinne einer Gesamtlösung des nach Starnberg führenden überörtlichen Verkehrs? 9. Kommt für die entscheidungszuständigen Behörden wegen eventueller Relevanz für den Verkehr zwischen A96 und A95 die Prüfung und Bau einer Staatsstraße in kommunaler Sonderbaulast auf Grundlage der "Wagner-Planung" (2007) mit einer Trassenführung von der St 2069 zur A 95 als Alternativ- oder ergänzende Planung in Betracht?

Die erfahrensten CSU-Stadträte, Gerd Weger und Ludwig Jägerhuber, blickten zurück auf die vergangenen Jahre. Eine ernüchternde Bilanz zog Weger: "Wir sind schon sehr weit gewesen", sagte er, doch seit 2014 "sind wir keinen Schritt weiter". Außer "Spielereien" zur Verkehrsführung in Rheinland-, Wittelsbacher- und Kaiser-Wilhelm-Straße und "guten Presseterminen" habe der VEP nichts gebracht. Die Schubladen im Rathaus seien voll mit Plänen. Jägerhuber erinnerte daran, dass die FDP noch in den 90er Jahren vehement für den Bau des Tunnels eingetreten war und vermutete "persönliche Betroffenheitsgründe" im derzeitigen Widerstand der Liberalen. Hauptthema sei die Verringerung des Durchgangsverkehrs, aber "keine kleinen Experimente". Wichtig sei ein einheitliches Votum des Stadtrats und ein transparenter Prozess im Dialog mit den Fachbehörden, bei dem keine Fraktion ausgeschlossen sein dürfe. Vize-Bürgermeister Klaus Rieskamp (BLS) plädierte mit Blick auf den in zweieinhalb Jahren beginnenden Wahlkampf, dass man bis dahin eine Lösung haben müsse. Angelika Kammerl (DPF) stellte fest: "Wir alle wissen genau, wer einen Tunnel, eine ortsnahe oder -ferne Umfahrung will." Sie reagierte damit auf die FDP, die offensichtlich noch immer nicht weiß, was sie will. Die Liberalen beharrten auf weiteren Untersuchungen und lehnten als einzige Fraktion den CSU-Antrag ab. Auch der scheidende Stadtrat Jürgen Busse (UWG) hinterfragte skeptisch, was das Gremium eigentlich erreichen wolle. "Ich wünsche Ihnen viel Erfolg", sagte er, "allein, mir fehlt der Glaube".

Bürgermeisterin John ist nun beauftragt, bis Februar 2017 gemeinsam mit dem Leiter des Staatlichen Bauamtes über die Ergebnisse der Gespräche mit den staatlichen Behörden zu berichten. Vertreter aller neun Stadtrats-Fraktionen sollen daran teilnehmen können. Auffällig zurückhaltend zeigte sich John in der Debatte des Stadtrats: Sie berichtete von Gesprächen mit dem Bauamt, von denen es allerdings "nichts Neues" zu berichten gebe.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: