Konzert:Lauschen und Lachen

Achselschwang: Ammerserenade Percussionist Alexej Gerassimez

Es ist längst ein gefeierter Meister seines Fachs: Alexej Gerassimez.

(Foto: Nila Thiel)

Alexej Gerassimez zieht die Besucher bei der Ammerseerenade in einem ehemaligen Braunviehstall in Achselschwang mit seiner atemberaubenden Percussion-Performance in Bann. Und auch das Vision String Quartet spielt virtuos

Von Armin Greune, Utting

"Alles, bloß nicht wieder Debussy", hatte Jakob Encke versprochen und sein Vision String Quartet hielt sich daran ebenso wie Alexej Gerassimez zuvor. Das Konzert des gefeierten Schlagwerkers und der vier jungen Streicher hätte auch "Alles, bloß nicht wieder Klassik" überschrieben werden können: Zum Abschluss der diesjährigen Ammerseerenade erklang im ehemaligen Achselschwanger Braunviehstall eher Jazz, Rock oder Blues - vor allem aber Neue Musik und Eigenkompositionen der jungen Protagonisten. Das Ganze wurde mit viel Verve und Humor unkonventionell serviert: witzige Ansagen, überzogene Mimik und eine atemberaubende Percussion-Performance trugen dazu bei, spitze Jubelschreie und wahre Beifallsstürme bei den Zuhörern im fast ausverkauften Saal zu entfachen. Das junge Festival hat es sich ja zur Aufgabe gemacht, junges Publikum für "ernste" Musik zu gewinnen - und der Ausklang am Samstagabend wurde diesem Anspruch in jeder Hinsicht gerecht.

Wer freilich auf das Zusammenspiel von Gerassimez mit dem Quartett gespannt war, wurde ein wenig enttäuscht. Geboten wurden stattdessen ein Solo-Auftritt des Perkussionisten, nach der Pause spielten dann die vier Streicher. Gemeinsam standen die Musiker nur drei Minuten für Dave Marics "Run Chime" auf der Bühne. Freilich war die Erwartung auch vermessen, dass die Protagonisten für diesen erstmaligen und womöglich einmaligen Auftritt zu fünft ein ganzes Programm einstudiert hatten. Und es gab ja auch so genug aufregende und erstaunliche Momente an diesem Abend. Gerassimez entlockte seiner Marimba ätherische Klangwelten, die keinen Anschlag mehr erkennen ließen: Seine Komposition "Eravie" erinnerte eher an einen Elfenchoral als an das Werk eines Perkussionisten. Im Gegensatz dazu steht "Asventuras", mit dem er der Snare Drum Geheimnisse entlockt, die Laien in diesem eher simplen Übungsinstrument nie vermutet hätten. Erst lässt Gerassimez nur die Sticks klicken, dann arbeitet er sich über den Rand auf das Fell der kleinen Trommel vor, kreist darauf mit den Händen, setzt schließlich Schlägel, Sticks und Besen ein. Kein Wunder, dass dieses erst vor fünf Jahren entstandene Kabinettstück des heute 29-Jährigen schon zum Klassiker avanciert ist, an dem sich Perkussionisten in ganz Europa messen.

"Echtonan" wiederum hat er für zwei Marimbas geschrieben, in Achselschwang spielte Gerassimez den verzwickten Kanon mit dem Tonband als Partner: "Ich spiel also gegen mich selbst, Hals und Beinbruch". Freilich ging auch bei dieser artistischen Einlage im 3/16-Takt alles glatt. Zu Ehren seines jüngst verstorbenen Freundes und Mentors Peter Sadlo, der ihn 17 Jahre lang unterrichtete, stimmte Gerassimez dessen Lieblingsstück "Blues for Gilbert" von Mark Glentworth auf der Marimba an: sehr weich, sehr sensibel, tief anrührend. Packend war auch die magische Performance, die Gerassimez zu Casey Cangelosis "Bad Touch" aufführte: Zum Playback von Tonband-Interviews mit Sekten-Opfern ließ der ganz in schwarz gekleidete Gerassimez einen weißen, ellenlangen Zauberstab wirbeln - und es war unmöglich zu sagen, wie oder ob er überhaupt damit den Rhythmus bestimmte. Jedenfalls versicherte der Künstler, auf alle elektronischen Hilfsmittel und Verstärker zu verzichten: "Alles rein bio, da wird nichts gefaked."

"Heute sind wir leider nur ein frisches Streichquartett aus Käfighaltung", musste hingegen Encke nach der Pause grinsend gestehen. Nachdem das Vision String Quartet zwei Tage zuvor in Utting beim Konzert mit der russischen Pianistin Zarina Shimanskaya fünf Stücke von Erwin Schulhoff sowie besagtes Quartett g-Moll, op 10 von Claude Debussy interpretiert hatte, widmeten sich die Musiker im Braunviehstall nun der sogenannten Leichten Muse. Mit viel Verve und Dynamik begegneten sie dem Beatles-Klassiker "Come Together" - einschließlich einer wilden Improvisation auf den beiden elektrisch verstärkten Geigen von Encke und Daniel Stoll. Sander Stuart (Viola) und Leonard Disselhorst (Cello) ergänzen das Ensemble: Vier bereits vielfach ausgezeichnete, klassisch ausgebildete Musiker Anfang 20, die sich einen Dreck um Genregrenzen oder Konventionen scheren. Statt nur "auf uralten Holzkisten herumzukratzen" (Encke) lassen sie zur dynamischen Eigenkomposition "Hailstones" ein Stroboskopgewitter los. Die Atmosphäre lockern sie mit Anekdoten aus dem Musiker- und Bahnkundenleben auf oder tragen Selbstgereimtes vor, zu dem sie der Pixar-Animationsfilm "For the Birds" inspiriert hat. Bei aller technischen Virtuosität steht für die Berliner der Spaß immer im Vordergrund: Lauschen und Lachen lautete die Devise - da war auch die etwas schmalzige Version von Nat King Coles "Mona Lisa" rasch vergessen.

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