Tutzing/Feldafing:Klassenkampf war gestern

Feldafing: WAF-Akkademie

Christian Lütgenau im Videostudio, wo die WAF auch Youtube-Videos dreht.

(Foto: Nila Thiel)

Die Wirtschaftsakademie Feldafing hat sich auf die Fortbildung von Betriebsräten spezialisiert. Das Unternehmen ist jetzt zum "Top-Arbeitgeber" gewählt worden. 23 000 Belegschaftsvertreter nahmen 2017 an den Schulungen teil

Von Otto Fritscher, Tutzing/Feldafing

Es ist ein absolutes Saisongeschäft, das allerdings nicht vom Wetter oder den Jahreszeiten abhängt. Der Gesetzgeber nämlich beschert der Wirtschaftsakademie Feldafing (WAF) alle vier Jahre einen regelrechten Boom. Im April und Mai diesen Jahres ist es wieder so weit. "Dann kommen bis zu 800 Anrufe am Tag herein, es müssen alle 48 Mitarbeiter ans Telefon und die Bestellungen aufnehmen", sagt WAF-Vorstand Christian Lütgenau. Allerdings handelt es sich nicht um irgendwelche Waren, mit denen die WAF handelt, sondern es geht um Wissen, ganz spezielles Wissen. Darüber gibt der Namenszusatz der Firma Aufschluss: "Institut für Betriebsräte-Fortbildung" steht auf Lütgenaus Visitenkarte

Der Bedarf an Schulungen und Seminaren steigt regelmäßig alle vier Jahre lawinenartig an, immer dann, wenn das Betriebsverfassungsgesetz bundesweite Neuwahlen für die Betriebsrats-Gremien in ganz Deutschland vorsieht. "Erfahrungsgemäß werden 40 Prozent aller Betriebsräte neu gewählt", erklärt Lütgenau, der seit 2004 bei der in Tutzing ansässigen WAF - arbeitet.

Auch heuer, nach den Wahlen im April und Mai, werden die Telefone bei der WAF nicht stillstehen. Allein im vergangenen Jahr - ohne Wahlen - haben sich 23 000 Betriebsräte aus 7000 Unternehmen von der WAF schulen lassen. "Wir bieten in 80 Städten in Seminar-Hotels Fortbildungen an, als Referenten engagieren wir in den meisten Fälle Rechtsanwälte mit dem Fachgebiet Arbeitsrecht", erklärt Lütgenau. Wer neu in einen Betriebsrat kommt, wird vermutlich die Seminare "Betriebsverfassungsrecht 1" und "Arbeitsrecht 1" besuchen. Die Seminare dauern zwischen einem und fünf Tagen, und kosten zwischen einigen Hundert bis zu 1600 Euro inklusive Unterkunft. Es gibt aber auch Schulungen zu Kommunikation und Mobbing.

Das 1983 von Rüdiger Marquardt und dem damaligen Feldafinger Bürgermeister Günter Gerhard gegründet Unternehmen hat sich zu einer festen Größe im Marktsegment der Betriebsräte-Schulungen entwickelt. 153 Teilnehmer waren es im ersten Jahr, für heuer erwartet Lütgenau rund 43 000. Der Umsatz wächst seit 35 Jahren kontinuierlich, "teilweise haben wir sogar zweistellige Steigerungsraten", freut sich Lütgenau. Der Jahresumsatz liegt bei etwa 36 Millionen Euro. Das Unternehmen gehört immer noch den beiden Gründern, und Jurist Günter Gerhard hält immer noch selbst Seminare.

Betriebsräte-Schulungen sind ja nun wirklich keine 08/15-Dienstleistung. Rund die Hälfte des Marktes haben sich die Gewerkschaften gesichert, die andere Hälfte des Kuchens teilen sich gut 100 private Firmen, darunter gehört die WAF zu den großen Drei. "Wir sind absolut neutral", betont Lütgenau, "ohne Bezug zu Politik, Gewerkschaften oder Arbeitgebern." Bei Seminaren der Gewerkschaft gehe es meistens erst mal um "Politik, Klassenkampf und Trillerpfeife, und ein Aufnahmeantrag für die Gewerkschaft liegt den Seminarunterlagen auch gleich bei", so beschreibt Lütgenau den Unterschied. Aber: "Rund drei Viertel unserer Seminarteilnehmer sind Gewerkschaftsmitglieder."

Bei den Schulungsmethoden ist die WAF mit der Zeit gegangen, da sie nicht nur auf die konventionelle Schiene setzt - also ein Referent, der eine Powerpoint-Präsentation hält-, sondern sich auch der sozialen Netzwerke wie Youtube bedient. "Wir haben seit zwei Jahren rund 650 Kurzfilme zu bestimmten Themen aus der Arbeitswelt in unserem Youtube-Kanal", sagt Lütgenau. Diese seien 1,6 Millionen Mal angeklickt worden. Sie dienen als kostenlose Appetithäppchen, um die WAF und ihre E-Learning-Angebote kennenzulernen. Die Videotechnik befindet sich am früheren Firmensitz der WAF, an der Eugen-Friedl-Straße in Feldafing. Vor vier Jahren ist die Zentrale des Unternehmens weggezogen, in den Tutzinger Ortsteil Kampberg, weil es wegen des ständigen Wachstums der Teilnehmerzahlen mehr Fläche brauchte. Allerdings entschloss sich Lütgenau vor zwei Jahren, in Feldafing die Online-Abteilung der WAF einzurichten, für eine Investition von 300 000 Euro. Vier hochmoderne Videostudios wurden etabliert, mit Kulissen, die wie Büros aussehen, oder auch dem Tagesthemen-Studio nachempfunden sind. "Wir drehen hier unsere Youtube-Videos, und die Referenten halten vor laufender Kamera ihre Webinare ab, da soll schon Büro-Atmosphäre rüberkommen", erläutert der Vorstand.

Ganz und gar persönlich ist indes das Arbeitsklima in der Kampberger Zentrale. "Wir kochen jeden Mittwoch zusammen", sagt Lütgenau, einmal im Quartal gibt es Events. Auch bei den Arbeitszeiten können die Mitarbeiter zeitlich flexibel disponieren. Sie können Arbeitszeit und -tage frei wählen. "Wir wollen ein familienfreundliches Unternehmen sein", sagt Lütgenau. Als Beleg führt er die Rückkehrer-Quote nach der Elternzeit an: 100 Prozent. Zur "WAF-Familie" gehören auch drei "Bürohunde", wie Lütgenau sagt, die frei im Gebäude herumlaufen.

Alles in allem offenbar ein Paket, das bei den Mitarbeitern gut ankommt. Und auch bei anderen, denn die WAF ist beim vom Magazin Focus veranstalteten Wettbewerb "Arbeitgeber des Jahres" in der Kategorie Bildung auf den ersten Platz gewählt worden. "Uns freut es natürlich sehr, Top-Arbeitgeber zu sein, aber wir werden uns darauf nicht ausruhen", verspricht Lütgenau. Und nun die letzte Frage: Hat die WAF selbst eigentlich einen Betriebsrat? "Ja natürlich", sagt Lütgenau und lacht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: