Tutzing:Wie von Geisterhand

Fred Gerer stellt im Ortsmuseum Tutzing Musikautomaten aus. Der 84-Jährige ist Mitglied in der Gesellschaft selbstspielender Musikinstrumente und leidenschaftlicher Sammler. Jetzt trennt er sich von seinen Stücken

Von Florine Pfleger, Tutzing

Das Akkordeon hängt vor seiner Brust, er zieht und presst, drückt heiter auf die Knöpfe. Es ist die fehlerfreie Vorstellung eines 84-jährigen Mannes, der bis heute kein Instrument beherrscht. Und das muss er auch gar nicht, denn dieses Akkordeon spielt die Töne von allein. Fred Gerer ist Sammler von selbstspielenden Musikautomaten. Es ist das zweite Mal, dass er seine Stücke im Ortsmuseum Tutzing ausstellt, und wenn er dort herumläuft, schon etwas gebückt und langsam, dann leuchten seine Augen trotzdem noch wie die eines Kindes im Süßigkeitenladen.

Mit 16 wollte Gerer unbedingt ein Instrument erlernen, versuchte es mit Banjo, was nur spärlich klappte, und auf dem Harmonium traf er immer zwei Tasten auf einmal. Es wurde nichts mit dem Lernen eines Instruments, erzählt er. Dann entdeckte er etwas, was keinerlei Talent im musischen Sinne erforderte: Musikautomaten. Bis heute hat er mehrere hundert gesammelt, die aber zum Teil schon in alle Welt verkauft wurden, ins Museum nach Moskau oder nach Dallas. Im Tutzinger Museum stehen 20 Exponate. Darunter eine selbstspielende Zither, Harfe und Bilduhr, eine Drehorgel, ein Fotobuch mit Spieluhr, sogar ein selbstspielendes Piano. Der Nutzen dieser Instrumente, die teilweise mehr als 100 Jahre alt sind, ist heute kaum mehr nachvollziehbar, wo man mit einem Klick auf dem Handy jeden beliebigen Song abspielen kann. Zu Beginn der selbstspielenden Instrumente gab es aber nichts dergleichen, nicht einmal Grammophone.

Tutzing, Ortsmuseum Ausstellung Musikautomaten

Wer die Drehorgel oder Harfe von Fred Gerer spielen möchte, muss keines der Instrumente beherrschen.

(Foto: Georgine Treybal)

Bereits 500 vor Christus sangen die ersten mechanischen Vögel am chinesischen Hof. Ein paar Jahrhunderte später entwickelte man mechanische Orgeln und Glockenspiele. Heute hat Gerer eine Chipkarte in der Hand, die er in eine Fernbedienung steckt, um damit beliebige Harfenstücke aus etlichen Kompositionen auszuwählen. "Das ist die neueste Technik", sagt er stolz, ohne dabei zu erwähnen, dass er die Harfe selbst mechanisiert hat. Daran muss ihn erst Kurator und Freund Gernot Abendt erinnern, der noch einmal betont: "Es ist die einzige mechanische Harfe, die es in dieser Form gibt." Gerer bleibt bescheiden und erläutert weiter, dass er mit Funk all seine Instrumente in einem großen Orchester erklingen lassen könne. Na ja, nicht alle, denn manche müssen auch mit Handkurbel oder per Münzeinwurf bedient werden.

Fred Gerer ist mit seiner speziellen Sammlerliebe aber nicht alleine, er ist Mitglied in der Gesellschaft zur Erhaltung selbstspielender Musikinstrumente, die immerhin 800 Mitglieder hat. "Wir sind auch nur wie Briefmarkensammler", sagt er, "und wie alle Sammler auch ein wenig süchtig." Dieses Sammlertum hat ihn nicht nur viel Geld gekostet, sondern auch zu netten Begegnungen gebracht. Einmal habe ihn ein Profigitarrist wegen einer Gitarre angeschrieben, die er, Gerer selbst gebaut hatte. Der Mann aus Berlin habe sie unbedingt sehen wollen. Als der Musiker dann angereist war und vor dem Instrument saß, das wie von Geisterhand zu spielen anfing, habe er seinen Augen nicht getraut. "Die spielt ja genau wie ich", habe der Gitarrist gesagt und sie dann gekauft. Warum solle denn ein Profigitarrist so etwas brauchen, habe Gerer ihn gefragt. "Ich stelle sie in meinen Partykeller. Wenn meine Freunde dann das nächste Mal betteln, dass ich etwas vorspielen solle, nehme ich die", erklärte der Musiker.

Tutzing, Ortsmuseum Ausstellung Musikautomaten

Der Musikautomat mit dem Ritter Falstaff stammt aus einer Gaststätte und wurde von der Firma Symphonion Leipzig gebaut.

(Foto: Georgine Treybal)

In Tutzing können Instrumente auch gekauft werde. Ob er sich schweren Herzens davon trenne? Diese Floskel sei in seinem Alter nicht mehr zu gebrauchen, meint er. "Zeigen Sie mir mal ein Grab, das groß genug ist, dass man das alles mit reinschmeißen kann".

Die Ausstellung "Selbstspielende Musikautomaten - die Vorläufer des Computers" ist noch bis 9. September im Ortsmuseum Tutzing, Graf-Vieregg-Str. 14 (Thomaplatz), zu sehen. Geöffnet Mittwoch, Samstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr. Vorführungen von Fred Gerer gibt es jeden zweiten Sonntag im Monat um 15 Uhr oder nach Vereinbarung unter Telefon 08158/8120.

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