Tutzing:Wach geküsst

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Der Kustermannpark in Tutzing ist ein feines Refugium, das heute an frühere Zeiten erinnert. Denn beinahe wäre das von Karl von Effner konzipierte Kleinod völlig verwildert

Von Manuela Warkocz, Tutzing

Eine Dame ganz in Weiß flaniert mit ihrem Spitzenschirm am Ufer des Starnberger Sees, den Blick auf die Alpenkette im Süden gerichtet, hinter ihr eine mächtige Eiche, umgeben von einer einladenden Rundbank - eine hübsche Impression des Kustermannparks, wie sie auf einer Fotografie von 1920 festgehalten ist. War das Lustwandeln zu jener Zeit in der weitläufigen Anlage ein exklusives Vergnügen für die vermögende Münchner Unternehmerfamilie Kustermann und ihre Gäste, so kann heute jeder den frei zugänglichen Park genießen. Nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf präsentiert sich Tutzings südlichste Parklandschaft fast so erlesen wie ehedem. Zwischen Gruppen alter Bäume sind weite Wiesenflächen und spektakuläre Sichtachsen auf Zugspitze und Benediktenwand freigelegt. Überall stoßen Besucher auf Relikte aus der glanzvollen Vergangenheit: das alte Bootshaus mit eigenem kleinen Hafen, ein Alpinum, die elegante klassizistische Villa.

Kommerzienrat Max Kustermann hatte 1865 zwischen Johannishügel und Seeufer 28 Tagwerk erworben, etwa 95 000 Quadratmeter. Just in dem Jahr, als die erste Eisenbahn Tutzing erreichte und damit das Westufer erschloss. Der Münchner Großhändler und Fabrikbesitzer war mit Massenobjekten aus Gusseisen wie Säulen, Türbeschlägen, Balkonen und einfachen Haken bis zu Schienen vermögend geworden. Im nördlichen Teil ließ sich der Magnat ein repräsentatives Gebäude im Stil einer Florentinischen Landvilla der Renaissance errichten - ausstaffiert mit gusseisernen weißen Zierbändern.

Für den Park engagierte Kustermann den angesagtestens Landschaftsarchitekten seiner Zeit: den Königlich Bayerischen Hofgartendirektor Karl von Effner. Er hat unter anderem den Park von Schloss Linderhof konzipiert. Effner gestaltete auf dem hügeligen und von Bachläufen durchzogenen Gelände einen Park nach englischem Vorbild. Für Busch - und Baumgruppen ließ er bereits wirkungsstarke große Exemplare einpflanzen. Mit Exoten wie einem Tulpenbaum setze er beeindruckende Akzente. Gut dokumentiert ist, wie der Park um 1890 aussah. Kreisheimatpfleger Gerhard Schober hat dazu Aufzeichnungen in Dr. Neuberts Gartenmagazin gefunden und in seinem Standardwerk "Frühe Villen und Landhäuser am Starnberger See" wiedergegeben. In der Gartenpostille wurde demzufolge geschwärmt vom schattigen Laubengang, von Rosenbeeten und einem ausgezeichneten Obst- und Gemüsegarten. Eine umfangreiche Fotosammlung von 1920 belegt einen Tennisplatz, eine gefasste Quelle mit zwei Putti, Ruhebänke an mehreren Stellen und als Attraktion eine echte Almhütte aus dem 17. Jahrhundert. Die beliebte Requisite spätromantischer Gärten - Inbegriff unverfälschter Natur - war eigens in Tirol abgebaut und nach Tutzing geschafft worden. Ein Dutzend Gärtner und ein Obergärtner hegten den Park. Sie konnten auf einen eigenen Pflanzgarten und ein beheizbares Treibhaus zurückgreifen.

Nach Erbschaftsauseinandersetzungen der Familie Kustermann konnte die Gemeinde Tutzing im Jahr 1972 die denkmalgeschützte Villa samt 68 000 Quadratmeter Parkfläche erwerben. Der Freistaat half, indem er 40 Prozent der Kaufsumme übernahm. Seine Auflage: Der Park muss öffentlich zugänglich gemacht werden. Für die Villa, die zwischenzeitlich Kinderheim und Gymnasium beherbergt hatte, gab es diverse Pläne - von Hotel bis Wohnungen. Eine Tutzinger Bürgerinitiative wehrte sie alle ab. Heute ist das Gebäude vermietet. Verleger Richard von Rheinbaben und sein Bruder Rolf führen von dort aus die Mediantis AG, den größten deutschsprachigen Online-Marktplatz für antiquarische und gebrauchte Bücher.

Den völlig verwilderten Park zu rekonstruieren und in seiner Einzigartigkeit zu erhalten, hat sich seit 1998 der Förderkreis Kustermann-Villa &-Park zum Ziel gesetzt. "Das war alles voller Unterholz und Brombeergestrüpp, die Sichtbeziehungen existierten nicht mehr", erinnert sich Vorsitzende Anja Behringer, die vor 30 Jahren nach Tutzing geheiratet hat. Mit Hilfe alter Dokumente und Fotos erstellte man ein Pflegekonzept. Landschaftsarchitekt mit Gemeindearbeitern richteten den ursprünglichen Charakter wieder her. Zunächst, so Behringer, seien die Kunststoffbänke aus den 50er Jahren durch die ursprünglichen schlichten Sitzbänke mit wurzelartigen eisernen Armlehnen ersetzt worden. In einer Gießerei in Tschechien hatte man nach einem Original, das in einem Schuppen gefunden worden war, die Wangen nachfertigen lassen. Wegen der klobigen Ausstülpungen der Lehnen titulierten die Tutzinger sie bald "Penisbänke". Später kamen elegantere Ruhebänke dazu, mit geschwungenen Rückenlehnen aus Douglasie, ähnlich denen auf der Roseninsel. Beim Preis von je 1000 Euroallein fürs Gießen in einer Paderborner Gießerei habe man sich allerdings nur drei Bänke leisten können, bedauert Behringer.

Der Park ist als stille Oase rund ums Jahr beliebt. Man stößt hier auf Spaziergänger und Gassigeher mit ihren Hunden, die Häufchen brav mit Tüten aus den Spendern am Eingang einsammeln. In der flachen Bucht treffen sich von Frühjahr bis Herbst ältere Semester bei jedem Wetter zum Schwimmen. Feuerstellen und immer wieder herausgerissene Latten im hölzernen Gartenzaun zeugen von nächtlichem, illegalem Treiben. Eine Attraktion für den ganzen Ort ist das alljährliche Seefest der Tutzinger Gilde im Kustermannpark. Für derartige Veranstaltungen und den Parkunterhalt gilt der geteerte Uferweg als unverzichtbar.

Derzeit befassen sich Anja Behringer und Christa Kufer intensiv mit dem alten Alpinum. Der Pflanzengarten, eine Seltenheit weit und breit, wurde wohl 1914 angelegt. Seit 2010 machte sich Behringer daran, wieder ein herzförmiges Stück freizulegen. Zwischen teils ursprünglichen, teils neuen Tuffsteinen wurden alpine Pflanzen wie Küchenschelle und Zwergkiefer gesetzt. Enzian und Edelweiß würden leider immer wieder gestohlen, bedauert die Vorsitzende. Mit Hilfe des Umweltamtes des Landkreises soll sich das Alpinum bis nächstes Jahr auf 35 Quadratmeter ausdehnen.

Anderes ist verloren oder überbaut: Statt üppiger Blumenbeete in orientalischen Mustern oder Schmetterlingsform umgibt heute eine schlichte Wiese die Villa. Ein Feuer hat die alte Almhütte zerstört. Auf dem früheren Tennisplatz können sich jetzt Kinder auf einem modernen Spielplatz austoben. Und die Mini-Grotte neben dem Bootshaus hat ihre Putti verloren, scheint aber Ziel von Quellnymphen-Anbetern, die dort Grablichter und Blumen ablegen. Auch die alte Eiche vom historischen Flanierfoto existiert nicht mehr. Ein junger Baum steht an seiner Stelle. Aber die Rundbank, ebenfalls neu, lädt wieder zum Verweilen ein.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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