Tutzing:Schmerz und Poesie

Tutzing: Cornelia Beck-Kapphan und Florentine von Scherpenberg in der Tutzinger Pfarrkirche St. Joseph.

Cornelia Beck-Kapphan und Florentine von Scherpenberg in der Tutzinger Pfarrkirche St. Joseph.

(Foto: Arlet Ulfers)

Pergolesis "Stabat Mater" in der Pfarrkirche St. Josef aufgeführt

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Giovanni Battista Pergolesi wurde gerade mal 26 Jahre alt, trotzdem sicherte er sich einen Platz für die Ewigkeit. Nicht auszudenken, was er noch alles hätte erschaffen können, wäre er nicht so früh der Tuberkulose erlegen. Mit 21 schrieb er seine erste Oper und trat damit eine steile Karriere an. Ein Dutzend Opern, ein paar Orchester- und Kammermusiken sowie eine Reihe von sakralen Werken konnte er noch vollenden. Das "Stabat Mater" entstand in seinem Todesjahr, es zeugt von einem außergewöhnlichen Sinn für Proportionen und Poesie, von seelentiefem Empfinden und Mut für harmonische Spannungen. Viele Musikfreunde fanden denn auch den Weg in die Tutzinger Pfarrkirche St. Joseph, um dieses Werk in schlanker Besetzung mit Streichquartett und Orgel - beziehungsweise Streichern und Basso continuo - sowie zwei Frauenstimmen (statt zwei Halbchören) zu hören.

Während der Leidensweg Christi von physischer Gewalt geprägt ist, geht das Leiden Marias in die Tiefe. Es ist ein seelisches Leiden, der unermesslicher Schmerz einer liebenden Mutter. Dementsprechend besteht die liturgische Aufgabe des Werkes vor allem in der Kontemplation. Pergolesi griff auf seine Erfahrung als Opernkomponist zurückgriff, rekurrierte also auf Mitteln der Bühnendramaturgie und des Ariengesangs. Die Tutzinger Sänger waren dafür gut gerüstet: Cornelia Beck-Kapphan ließ ihre wirkungsvolle Sopranstimme mit poetischem Melos wunderbar beseelt schweben. Im "Cujus animam gementem" griff sie die etwas sperrigen Brechungen mit fast schon eruptiver Pointierung auf, um einen wirkungsvollen Kontrast zum lyrischen Fluss zu erzeugen.

Die zweite Stimme ist wohl eher für einen Altus optimal, fordert sie doch einen ungewöhnlich großen Umfang sowohl in die Tiefe als auch in die Höhe. Mezzosopranistin Florentine von Scherpenberg ging die Aufgabe mit Klangschönheit an. Auch wenn ihr Stimmvolumen in den Alttiefen lagenbedingt zurückging, reichte es beim synkopierten Duktus des "Quae moerebat et dolebat" dennoch zur forschen, kraftvollen Auslegung. Die Akustik der Kirche tarierte nach, sodass eine runde Interpretation möglich war. Zumal die Instrumentalisten Angelika Besch, Christiane Schuster, Ulrich Epple, Cordula Mattke (Streichquartett) und Helene von Rechenberg (Orgelpositiv) einfühlsam auf die expressive Dramaturgie des Werkes eingingen und die Gesangsstimmen wirkungsvoll trugen.

Grandiose Momente schuf Pergolesi mit den zahlreichen Duetten, in denen er sein Gespür für feinste harmonische Nuancen bewies. Eingeführt werden sie bereits im titelgebenden Duett "Stabat mater dolorosa" gleich zu Beginn mit gewagten dissonanten Reibungen, die Beck-Kapphan und van Scherpenberg in spannungsgeladene Poesie sich übereinander schiebender Farblasuren verwandelten. Oft wurden die Stimmen in Duetten in Terzen geführt. "Inflammatus et accensus" stürmte als einziges Duett dem Text entsprechend (entflammt und glühend) vital und straff rhythmisiert voran.

Die beherrschende Charakteristik blieb der Lyrik vorbehalten, wie sie im "Sancta mater, istud agas" betörte, das wie einige andere Teile des Werkes zugleich mit einer dem Text widersprechenden Heiterkeit verstörte. Die barocke Affektenlehre arbeitete eben immer noch mit Formeln wie dem absteigenden Tetrachord als Lamento-Motiv, das auch bei Pergolesi für den Ausdruck der Trauer sorgte. Heute wecken die Musiken bisweilen wohl andere Empfindungen bei den Zuhörern, die sich dennoch mit begeistertem Applaus bedankten.

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