Tutzing:In großen Fußstapfen

Das Münchner Streichquartett wagt sich an die Stars von gestern

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Das Programm an den meisterhaften Interpreten auszurichten, die zu den Entstehungszeiten der Werke die Stars der gehobenen Musik waren, bedeutet im Fall von Ensembles eines Ignaz Schuppanzigh und Rudolf Kolisch, dass es um Kompositionen höchsten interpretatorischen Anspruchs geht. Es bedeutete aber indirekt auch, dass sich das Münchner Streichquartett mit Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks im Konzertsaal der Evangelischen Akademie Tutzing einem Vergleich mit den berühmtesten Ensembles der Musikgeschichte stellte. Aber ein entscheidender Punkt in dieser historischen Nachfolge war hier anders: Während das Schuppanzigh- und das Kolisch-Quartett Musik ihrer Zeitgenossen interpretierten, ging es hier im Repertoire um den historischen Rückgriff, der vom heutigen Publikum in der Regel vorgezogen wird.

Interpretatorisch zeigten sich Anne Schoenholtz und Stephan Hoever (Violine) sowie Mathias Schessl (Viola) und Jan Mischlich (Violoncello) mutig und von der Auslegung her zeitgemäß. Und dies nicht nur in Bartóks Streichquartett Nr. 6 (Sz 114), das vier Sätze enthält, die in gewisser Weise in sich weit mehr abgeschlossene Werke darstellen, als es sonst üblich ist. Das Münchner Streichquartett bekam damit vor allem die Möglichkeit, seine dramaturgische Schlüssigkeit unter Beweis zu stellen und jeweils einen mächtigen Spannungsbogen über die weiten Entwicklungen zu ziehen. Dabei aber auch noch im Zugriff Beziehungen der Sätze untereinander herzustellen. Bartók begann jeden Satz langsam und bedächtig, mal beseelt sinnierend, mal mit behutsamen chromatischen Reibungen lasierend, um mit zunehmend drängender Energie jeden der Sätze mit Hochspannung aufzuladen.

Der Ansatz, das Gestaltungsspektrum vom zartesten Pianissimo Piano bis zum aggressiven Forte Fortissimo nahezu symphonisch auszuspannen, musste der Konsistenz wegen auch für die anderen Werke gelten. Und das machte die Interpretationen der beiden Kompositionen von Schubert und Beethoven so packend. Schuberts Quartettsatz c-Moll (D 703), mit dem sich der Komponist abmühte, für die Gattung einen Weg in die Romantik zu finden, durchläuft vergleichbar weite Entwicklungen, stellt aber mit schroffen Ausbrüchen von extremer Dramatik jede Interpretation auf die Zerreißprobe. Auch Beethovens Streichquartett F-Dur op. 59/1 hält Ausbrüche als Überraschungsmomente parat, doch treten sie aus dem Fluss heraus, wuchsen hier als mächtige Intensivierungen empor und wurden vom Ensemble mit voluminös-orchestraler Substanz angefüllt. Bei Schubert stellte das Münchner Streichquartett die Einheit mit permanent spürbarer Anspannung her. Ein Brodeln unter der Oberfläche, das eben immer wieder ein Ventil fand, sich zu entladen. Doch gewährten die Interpreten Schubert in schönmelodischer Lyrik auch Momente von empfindsam austarierter Homogenität in warmtonigem Kolorit.

Beethovens erstes Rasumowsky-Quartett ist entspannter und auch spielfreudiger. Und das nutzte das Münchner Streichquartett, um auch mal die Zügel etwas zu lockern. Vor allem im Scherzo von heiterer Leichtigkeit, das statt des Trios ein melancholisches Seitenthema ins raffinierte Spiel bringt und hier ein behutsames Changieren im Kolorit herbeiführte. Mit dem Adagio bekam das Publikum nun endlich einen ausladenden langsamen Satz zu hören. Innig und zart entwickelt, wuchs er bald aber auch hier plastisch zu einer leidenschaftlichen Fülle an. Nach dem emotionalen Auf und Ab offenbarte sich der schmissig-spielfreudige russische Tanz als eine wahre Befreiung. Die musikalischen Gesten gerieten zwar etwas ausladend, wurden aber immer wieder mit lustvoll-musikantischem Musizieren abgefangen. Ein lang anhaltender Applaus blieb auch nicht aus.

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