Tutzing:Die andere Emanzipation

Das mehr als 100 Jahre alte Kloster öffnet sich der modernen Welt und muss sich zugleich darauf einstellen, dass sich das Ordensleben stark verändern wird

Gerhard Summer

TutzingWer andere überzeugen will, muss manchmal nur eine Tür öffnen. In diesem Fall ist es die goldbeschlagene Pforte zur Tutzinger Klosterkapelle oder auch der schlichtere Besuchereingang, und ob nun ein Atheist eintritt oder ein Besucher, der einzig Orientierung sucht im Leben, er wird erst einmal staunen und seine Vorurteile wieder einpacken. Denn hier fehlt fast alles, was katholische Kirchen in der Regel ausmacht: Prunk und Gold, Heiligenbilder in großer Zahl, Putten, entrückte Düsternis und das auf die Säulen drückende Gewicht einer zweitausend Jahre alten Institution.

"Wir wollten eine helle, transparente Kirche", sagt Priorin Schwester Hildegard Jansing. In der freundlich gestalteten Kapelle herrschen die Farben Blau und Gelb vor, alles ist schlicht gehalten: bogenförmige Bänke, ein Kreuz aus Plexiglas mit Olivenzweig, ein unaufdringlicher Altar, unter dessen Platte sich Erdproben von Missionsstationen aus Afrika, Brasilien, Australien, Korea, den Philippinen oder auch aus den USA finden. Dahinter ragt das vielleicht beeindruckendste Ausstattungsstück auf, das der Gaißacher Künstler Erwin Wiegerling bei der Neugestaltung des Raums vor zehn Jahren geschaffen hat: eine fast deckenhohe konkave Rückwand aus Ahornplatten, die offenbar mit der Kettensäge gekerbt worden sind und durch einen Spalt eine gelb beleuchtete Säule dahinter erkennen lassen. "Die einen sehen ein Erntefeld darin, die anderen ein Flügelpaar", sagt Schwester Hildegard dazu.

Die Kapelle mag eine Insel sein in diesem mehr als 100 Jahre alten Kloster der Missionsbenediktinerinnen von Tutzing. Denn hinter den dicken Mauern findet sich natürlich auch all das, was für eine Klostergemeinschaft typisch ist: uralte Holzdecken und Kreuzgewölbe, Weihwasserbecken, Abbildungen von Heiligen, lateinische Sinnsprüche und der sogenannte Statiogang, der Kapelle, Speise- und Kapitelsaal verbindet. Trotzdem wirkt dieses Frauenkloster nicht wie eine Festung, es hat eher den altertümlichen Charme, den auch Häuser von Großeltern entwickeln können. Und das muss einfach damit zu tun haben, dass Frauen ihre Umgebung anders gestalten als Männer. Eine so moderne Kapelle in einem Männerkonvent? Schwer vorstellbar. Schwester Hildegard erklärt es so: "Ich brauche nicht immer nur Gold, Schnörkel und Putti. Was die Kirche füllt, das sind die Menschen und das Gebet. Die Leute erwarten etwas Konservativeres - aber wir haben bewusst nach vorne gedacht."

Die 63-jährige Dortmunderin war 17 Jahre lang Schulleiterin; seit sechs Jahren steht sie nun dem Konvent vor und ist zugleich als Priorin für alle 115 Schwestern des Ordens in Deutschland und der Schweiz verantwortlich. Und wer sich länger mit ihr unterhält, ist mindestens so überrascht wie beim Betreten der Klosterkapelle. Denn die sportlich-drahtige Frau mit grauem Haar denkt modern. Natürlich nützt sie das Internet. Mail und World Wide Web sind für eine Gemeinschaft, die auf fünf Kontinenten und in 18 Ländern aktiv ist, nun mal eine große Hilfe. Natürlich gibt es im Konvent Radio und Fernseher, "ich möchte über aktuelle Geschehnisse informiert sein". Schwester Hildegard sagt: "Die Sorge um das Heil der Menschen, das ist die Hauptaufgabe der Kirche, kirchliche Lehrsätze sind nachrangig." Oder: "Der Glaube soll zum Leben verhelfen. Ich bin nicht deshalb verklemmt, weil ich gläubig bin, und ich bin auch nicht irgendwie komisch. In manchen Kulturen ist das viel selbstverständlicher, dass Glauben zum Leben gehört." Und sie sagt: "Die hohen Mauern der Klöster fallen, die Leute wollen uns erleben. Und wir müssen Menschen zum Anfassen bleiben." Deutschland sei inzwischen zum "wirklichen Missionsland" geworden, auch wenn es in diesem Fall natürlich nicht um Bekehrung gehe. "Aber viele Leute stellen zunehmend Fragen nach einem gelingenden Leben, wir stellen uns denen an die Seite und sagen: Wir bieten Hilfe an, um zum Beispiel Abschied nehmen zu können und Trauer zu bewältigen."

Die Oberin und Priorin ist ausgebildete Theologin, sie darf trotzdem keine Messe im Kloster halten; dazu brauchen die Schwestern einen Priester. Sie predigt auch nicht, sondern beschränkt sich auf geistliche Ansprachen in der Vesper. Ob sie das nicht absurd findet und anachronistisch? Sie überlegt und erklärt dann: "Da kann man jetzt nicht ein ganzes Leben lang darüber stolpern". Sie sei eben nur "Laie in einem geweihten Leben mit Gelübden".

Dabei steht die internationale Ordensgemeinschaft sehr wohl für ein Stück Emanzipationsgeschichte. 1884/1885 ist sie zusammen mit den Missionsbenediktinern von St. Ottilien gegründet worden. Doch 1904 trennten sich die Schwestern von den Männern und errichteten ihr Prioratshaus in Tutzing. Und einer der Gründe dafür war, dass die Frauen nicht nur Hausmütterchen spielen und für die Mönche kochen wollten. Denn sie waren sehr gut ausgebildet und hatten viele Lehrerinnen, Ärztinnen und Hebammen in ihren Reihen.

So schrieben die Benediktinerinnen ihre eigene Missionsgeschichte, und zwar zunächst in Asien. Sie gründeten in aller Welt Klöster, bauten Schulen und Krankenhäuser auf und unterrichteten Kinder und Erwachsene im christlichen Glauben. Heute hat die Gemeinschaft insgesamt 1350 Missionsschwestern, fast die Hälfte von ihnen sind Asiatinnen, nur noch etwa 200 stammen aus Deutschland. 82 Schwestern leben derzeit im Prioratshaus in Tutzing. Weltweit gibt es neben dem Generalrat in Rom zwölf sogenannte Priorate, die Franziskaner würden von Provinzen sprechen, das größte ist mit 340 Schwestern das Priorat Daegu in Südkorea.

Offizielle Ordenssprache ist Englisch; bei internationalen Treffen bekommen die koreanischen und brasilianischen Schwestern Übersetzungshilfen, sagt Schwester Hildegard. Sie muss als Priorin öfter reisen, sei es nach Dresden, in die Schweiz oder nach Rom.

Bis heute ist die Ordensgemeinschaft der "beste Werbeträger für die Tutzinger". Ehemals war das Kloster noch dazu ein "lokaler Kulturträger mit pädagogischen Aufgaben", sein Gelände dehnte sich von der Bahnhof- bis zur Bräuhausstraße aus. Die Schwestern betrieben das Krankenhaus mit Apotheke und die Realschule, einen Kindergarten und das Lyzeum, jetzt Gymnasium. Das Kloster war der größte Arbeitgeber im Ort. Doch die Schwestern zogen sich Stück für Stück aus allen Einrichtungen zurück. Die Priorin bedauert das nicht. Sie versteht das als Prozess eines "gestalteten Wandels", denn eine Klinik mit 200 Angestellten am Laufen zu halten, würde das Priorat überfordern. Allein schon um der nächste Klostergeneration nicht eine zu schwere Last auf die Schultern zu legen, konzentriere man sich nun auf die eigentlichen Aufgaben.

Der Altersdurchschnitt der Tutzinger Schwestern liegt bei 72 Jahren. Im ganzen Priorat sind von 115 Missionsbenediktinerinnen noch 26 unter 65 Jahren. Es gibt zwar Nachwuchs, drei junge Frauen bereiten sich derzeit die "ewige Profess" vor, wollen sich also für ihr ganzes Leben binden. Aber im Vergleich zu früheren Jahren ist das eine sehr geringe Zahl. Schwester Hildegard sieht es so: "In 20 Jahren wird es hier in Tutzing nicht nur wesentlich weniger Schwestern geben; die Ausgestaltung des Ordenslebens wird sich auch verändert."

Das Stammhaus, den Ursitz, können die Missionsbenediktinerinnen aber nicht einfach verkaufen. Die Oberin und Priorin hat natürlich schon eine Idee, und diese Idee läuft auf eine neuzeitliche Kloster-WG hinaus: "Vielleicht", sagt sie, "wollen Familien mit uns leben" und eine Zeit lang ins Kloster einziehen.

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