Tutzing:Alltag zwischen Hoffnung und Zwängen

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Hans Otto Bräutigam berichtet in Tutzing über seine Arbeit in der Ständigen Vertretung in Ostberlin.

Sylvia Böhm-Haimerl

Für viele DDR-Bürger ist die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin ein "Ort der Hoffnung" gewesen. Für die Stasi indes war es der "Ort des Klassenfeindes", der rund um die Uhr bewacht wurde. Im Rahmen der Tagung "Grenzen trennen - Grenzen verbinden" in der Politischen Akademie in Tutzing sprach der ehemalige Leiter der Ständigen Vertretung, Botschafter Hans Otto Bräutigam, jetzt über die schwierigen Verhandlungen mit der DDR-Staatsführung. Bis zur Wende 1989 bestand seine Arbeit vorrangig darin, ein Netzwerk der deutsch-deutschen Zusammenarbeit zu schaffen, um die kleinen Probleme und Nöte der Menschen lösen zu können.

Zeitzeugengespräch mit Hans Otto Bräutigam Tutzing Zeitzeugengespäch an der Politischen Akademie Tutzing mit Botschafter a.D. Hans Otto Bräutigam, von 1982 bis 1989 Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, und Tagungsleiter Michael Mayer. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Während in der großen Politik Verhandlungen um Transitabkommen, Reiseerleichterungen, Zahlungen oder Zuwendungen geführt wurden, löste man die Kernfragen des deutsch-deutschen Verhältnisses bis zum Schluss nie, berichtete Bräutigam. Hauptkonflikt war, dass die BRD auch DDR-Bürger als ihre Staatsbürger angesehen habe. Zwar mussten DDR-Bürger unbehelligt in die ständige Vertretung eingelassen werden. Das hinderte allerdings die Staatssicherheit nicht daran, die Besucher nach dem Verlassen des Gebäudes zu kontrollieren und ihre Daten aufzunehmen. In den 16 Jahren ihres Bestehens kamen mehr als 100 000 DDR-Bürger in die Ständige Vertretung. Zuerst wies man sie laut Bräutigam darauf hin, dass sämtliche Gespräche abgehört würden.

Man bearbeitete deutsch-deutsche Erbschaften, Unterhaltszahlungen oder Familienzusammenführungen, die so genannten "Kofferfälle". So nannte man jene Familien, die während des Mauerbaus getrennt worden waren. "Sie warteten so zu sagen mit gepackten Koffern auf ihre Ausreise", erklärte der Botschafter den Begriff. Man habe stets versucht diese Probleme nüchtern und beharrlich zu lösen.

Es kam regelmäßig vor, dass sich DDR-Bürger weigerten die Vertretung wieder zu verlassen, um ihre Ausreise zu erzwingen, erinnerte sich der Botschafter. Doch man habe diese Menschen davon überzeugen müssen, dass sie wieder nach Hause gehen. Sie mussten einen Ausreiseantrag stellen und sechs Wochen warten, bis er genehmigt wird.

Ebenso wie bei den Freikäufen politischer Häftlinge (Drei Milliarden Mark machte die BRD dafür locker) sei dann der DDR-Anwalt Wolfgang Vogel als Unterhändler eingeschaltet worden. "Er war für uns absolut unverzichtbar", sagte Bräutigam. Darüber hinaus wollten die Mitarbeiter der Ständigen Vertretung einen Ort der Begegnung zwischen Ost und West schaffen. Deshalb veranstalteten sie Ausstellungen und Empfänge. Einen Beitrag zur Wiedervereinigung indes habe man nicht geleistet, räumte der Leiter der Einrichtung ein. Das sei als unlösbar angesehen worden.

Dass die Wiedervereinigung zustande gekommen ist, sei alleine den Landsleuten in der ehemaligen DDR und ihrer friedlichen Revolution zu verdanken. In der Politischen Akademie in Tutzing ist zu dieser Thematik bis zum 22. Juni auch eine Ausstellung zu sehen.

© SZ vom 23.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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