Tierheim:In finanzieller Not

Im Starnberger Tierheim

Im Starnberger Tierheim Starnberg Das Tierheim Starnberg ist in finanziellen und baulichen Nöten. Im Bild Katzen in der Krankenstation.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Starnberger Einrichtung nimmt jedes Jahr knapp 1000 Tiere auf. Nur einen Bruchteil der Kosten tragen die Kommunen, der Rest wird über Spenden finanziert - die allerdings schrumpfen.

Von Carolin Fries, Starnberg

Die Kaninchen wohnen derzeit doppelstöckig. Den Pflegern im Starnberger Tierheim blieb keine andere Wahl, als die Käfige mit den Nagern im Kleintierhaus zu stapeln. Die Voliere mit den Wellensittichen haben sie kurzerhand in die Ecke geschoben, nur ein kleiner Gang zwischen den Käfigen ist frei. "Wir mussten improvisieren", sagt Tierheim-Leiterin Christine Hermann. Vor fünf Wochen ist ein Fall von Animal Hoarding im Landkreis bekannt geworden, mindestens 90 verwahrloste Kaninchen haben die Mitarbeiter des Tierschutzvereins in einem ehemaligen Kuhstall vorgefunden. Nach und nach werden die Tiere seither in den Gebäudekomplex am Franziskusweg geholt, tierärztlich untersucht, kastriert.

"So was sprengt ein ganzes Tierheim", sagt Hermann, eine zupackende Frau, 52 Jahre alt. Seit fünfeinhalb Jahren verantwortet sie die Einrichtung unter der Trägerschaft des Tierschutzvereins, zum zweiten Mal in dieser Zeit müssen von jetzt auf gleich zig Tiere untergebracht werden. In Hermanns Büro liegt deshalb nicht nur die noch junge, aber fast hüfthohe Dogge "Sirius" auf einem Kissenberg: In einer Wärmebox sitzen die kleinsten und zerbrechlichsten Neuankömmlinge, fünf gerade einmal zwei Wochen alte Kaninchenbabys. Tierpflegerin Bianca Heilrath füttert sie alle vier Stunden mit Ziegenaufzuchtmilch. Bis jedes der gerade einmal handgroßen Tierbabys vier bis fünf Milliliter aus der Plastikspritze genuckelt hat, dauert es eine Stunde - "inklusive der Bauchmassage", wie Heilrath sagt. Am Wochenende nimmt sie die Kaninchen mit nach Hause. Vier bis fünf Wochen lang wird das noch so gehen, dann haben die Fundtiere es geschafft und können an neue Besitzer vermittelt werden.

Einspringen, Päppeln, abgeben - so könnte man das Kerngeschäft des Tierschutzvereins bezeichnen. Doch Geschäfte macht das Tierheim keine. Die aktuelle Situation ließe sich trefflich mit "Tierheim platzt aus allen Nähten" beschreiben ebenso wie mit "Alt und kaputt - Tierheim muss dringend saniert werden". Zusammengefasst würde es wohl "Tierheim in finanzieller Not" treffen. Christine Hermann meint, letzteres treffe wohl auf jedes Tierheim in diesem Land zu - was freilich kein echter Trost für sie ist. Und die Lage scheint immer ernster zu werden. Mehr als 600 000 Euro kostet der laufende Betrieb im Jahr, einen Großteil der Kosten machen die Energiekosten, das Personal und der Tierarzt aus. Die kalkulierbaren Einnahmen sind indessen verschwindend gering. So zahlen die Kommunen eine sogenannte Fundtierpauschale, die an der Zahl der Einwohner berechnet ist. Zuletzt waren das 60 Cent pro Kopf und Jahr, etwa 74 000 Euro kamen im vergangenen Jahr beim Tierschutzverein an. Für 2017 wurde mit dem Landkreis eine Erhöhung um zehn Cent ausgehandelt. Hinzu kommen die Beiträge der etwa 1100 Mitglieder, deren Jahresbeiträge Minimum 120 Euro betragen. Den Großteil aber, knapp eine halbe Million Euro, muss der Tierschutzverein jedes Jahr über Spenden und Erbschaften zusammenkratzen. Früher, sagt Hermann, war das nicht ganz so schwer. "Wer Tieren helfen wollte, hat dem Tierschutzbund gespendet", sagt Hermann. In den vergangenen Jahren hätten sich dann immer mehr Organisationen gegründet, welche für Straßenhunde in Osteuropa oder wilde Katzen in Südeuropa. "Das Spendenaufkommen teilt sich immer mehr auf", klagt Hermann. Und das, wo es insgesamt immer weniger würde, weil eher für die Rente gespart würde - oder einen Ferrari im Alter.

Thomas Fischer, seit zwei Jahren Vorsitzender des Tierschutzvereins, hat deshalb eine Marketingkampagne gestartet. In Zeitungen und im Internet wirbt der Verein um Spenden, sogar im Radio. Ob es funktioniert? Das müsse sich erst noch zeigen, sagt Fischer und spricht von einem "Prozess". Fest steht lediglich: "Es ist unheimlich mühsam." Und das im reichen Landkreis Starnberg, wo es den Menschen doch gut gehe. Wo Tiere mitunter allerdings auch recht unüberlegt, aus einer Laune heraus angeschafft werden, weil sie gerade dazupassen. Passen sie mehr, kommen sie eben ins Tierheim.

Jedes Jahr werden etwa 500 Haustiere im Franziskusweg abgegeben. Katzen und Hunde würden meistens wieder abgeholt, doch immer wieder bleiben welche da. Wie zuletzt ein Hund, der seinen Besitzern zu anstrengend wurde. Dabei hat er lediglich eine Allergie. Andere Vierbeinen werden krank und ihren Haltern zu teuer. Die 20 Zwinger jedenfalls sind meist voll. Auch das Katzenhaus ist mit 40 bis 60 Tieren voll belegt. Hinzu kommen jedes Jahr etwa 250 Wildtiere: Im Frühjahr die verwaisten Eichhörnchenbabys, im Herbst die Igel und Siebenschläfer, zwischendurch verletzte Enten und Gänse. Neben den sechs Tierpflegern helfen viele Ehrenamtliche. Es gibt Gassigeher, Katzenstreichler, Päppler und den Besuchsdienst für Vorkontrollen, der angebotene Plätze auf ihre Tauglichkeit prüft. "Jedes Tier bleibt unser Tier", sagt Hermann, auch wenn es längst vermittelt ist.

Es gibt Tage, da stehen die Interessenten bis zum Gartentor Schlange, bereit ihr Herz an ein Tier zu verschenken. Das sind die guten Tage. An den schlechten Tagen fragt sich Christine Hermann, wie es funktionieren soll, Geld beiseite zu legen für die dringend nötigen Sanierungen an Hunde- und Katzenhaus. Das einzig Gute an der Dauersorge ist, dass sie meist schnell von akuten Sorgen abgelöst wird: Eines der Zwergkaninchen will nicht trinken, Bianca Heilrath massiert geduldig das kleine Wollknäuel. Dann zieht sie wieder ein paar Milliliter Milch in die Spritze und setzt sie an das winzige Schnäuzchen, das sich beim Nuckeln leicht kräuselt. Geht doch.

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