Hiob-Inszenierung:Stark unterkühlt

Gauting Bosco, Konzert Vielklang

Ungeliebt: Philippine Pachl als Tochter Deborah, Miko Greza als Vater Mendel Singer.

(Foto: Georgine Treybal)

Das Theater Wuppertal zeigt Joseph Roths berühmten Roman "Hiob" in Gauting in einer artifiziellen Bühnenfassung, in der Raum und Zeit scheinbar aufgehoben sind

Von Gerhard Summer, Gauting

Ein Brief wird verlesen, nein zwei: Jonas, der Kahle, tritt an die Rampe vor und sagt praktischerweise gleich selber auf, was er geschrieben hat. Es geht ihm gut, sehr gut sogar, er ist jetzt Soldat und lernt Lesen und Schreiben. Das ist schön. Sein Vater, Mendel Singer, der jüdisch-orthodoxe Toralehrer, trägt parallel vor, was Schemarjah, sein zweiter Sohn, aus Amerika geschrieben hat. Gute Nachrichten auch das: Schemarjah nennt sich jetzt Sam, er macht in Versicherungen, Vega ist ihm nachgereist, die beiden werden heiraten. Und: Bald wird Sam den Eltern in Russland Schiffskarten schicken, damit sie nachkommen können ins gelobte Land, also in die USA. Derweil steht Schemarjah in dem schwarzen Türloch und spricht stellenweise den Text mit. Und ein Wirbel von projizierten Blättern rieselt über die weiße, von zwei Seilen gehaltene Rückwand der fast leergefegten Bühne.

Raum und Zeit sind aufgehoben in dieser Theaterfassung von Joseph Roths Roman "Hiob", einer Variation des biblischen Stoffes. Patrick Schlössers Inszenierung hat dem bös gebeutelten Theater Wuppertal im Herbst 2015 einen Coup nach mehreren Flops gebracht, beim Gastspiel des Ensembles im Gautinger Bosco lässt sich sehr wohl nachvollziehen, was das Publikum fasziniert haben dürfte. Denn Schlösser verbreitet zwar konsequent eineinhalb Stunden lang Grabesstimmung, aber er erreicht zugleich hohe Sogkraft. Und das hat mit den Kontrasten dieser Aufführung zu tun. Dieser scheinbar so einfache, aufs Äußerste reduzierte Theaterabend ist nämlich so raffiniert und komplex konstruiert, als hätte eine höhere Macht die Finger im Spiel. Handlung im eigentlichen Sinne gibt es so wenig wie konkrete Bilder. Vieles vollzieht sich in Sekundenschnelle oder simultan, die Akteure breiten in den Monologen im Wesentlichen ihr Seelenleben aus. Kaum sprechen sie von der Zukunft, von der Überfahrt nach Amerika, sind sie schon angekommen. Oder umgekehrt: Gerade noch sitzt Mendels Frau Deborah mit stierem Blick auf dem Boden, fast so hoffnungslos wie der dritte Sohn, der Epileptiker Menuchim, da ist sie schon gestorben. Und taucht trotzdem wieder auf, nämlich als Mendels Erinnerung.

Mirjam, die Tochter, redet manchmal, als gäbe sie Regieanweisungen. Nach dem Tod von Mutter und Sam wird sie irre und in eine Zwangsjacke gesteckt, aber das Ding ist natürlich nur stilisiert. Und als endlich das Wunder passiert, mit dem Mendel Singer nicht mehr gerechnet hat, und der gesund gewordene Menuchim auftaucht, noch dazu als berühmter Dirigent, steht er anfangs neben ihm, als wäre der Sohn unsichtbar oder in einer anderen Zeitebene verhaftet. Das alles wirkt sehr artifiziell und so kalt, wie es in dieser Familie zugeht, fast so, als würde ein großer Text auf den Experimentier-Tisch des Theaters gelegt.

Dazu passt auch das wunderbar unterkühlte, nie übertreibende Spiel der herausragenden Schauspieler Miko Greza (Mendel), Julia Reznik (Deborah), Thomas Braus (Jonas), Alexander Peiler (Schemarjah), Philippine Pachl (Mirjam), Lukas Mundas (Menuchim) und Stefan Walz (in acht Rollen vom Kosaken bis zum Psychiater) sowie das karge Bühnenbild. Im Grund steht im Bosco nur die Andeutung eines Raums. Ein weißer Boden, eine schiefe Rückwand mit schwarzer Türöffnung und eine asymmetrische Skulptur. Sie sieht aus wie ein stilisierter Baum oder ein von sieben Holzstangen durchbohrter Rumpf. Schräg ist das alles, denn die kleine Welt der Singers ist in Schieflage geraten und die große bald auch, Krieg zieht auf in Europa. Dazu gibt es ein paar Effekte, einmal scheint auf der Rückwand das Sternenbanner auf, einmal Schneegeriesel, zum Ende hin wird der Baum grün mit violetten Blüten. Die Musik bleibt fast unhörbar, als wehe sie von einer anderen Sphäre herüber, mal erklingt Glockenklang, mal ein Streichorchester mit Geige. Die Schauspieler tragen fast ausschließlich Schwarz, ein goldgelber Schal und ein goldgelbes Kleid bleiben die einzigen Farbtupfer. Und die Lichtregie kennt nur zwei Zustände: hell und abgedunkelt, wobei die Stangenskulptur dann zwei Schatten an die Wand wirft.

Vor der Überfahrt nach Amerika gibt es noch Hoffnung, teuer erkauft, denn Mendel und Deborah müssen Menuchim zurücklassen. Aber bald kommt es so schlimm, wie es wohl kommen muss: Sam fällt, Jonas ist verschollen, Deborah stirbt, Mirjam, die in ihrem Hunger nach Liebe in Russland die halbe Kosaken-Kaserne ranlässt, wird verrückt. Warum? Warum nur wird Mendel, der Gottesfürchtige, so geprüft, dass er seine Gebetsbücher verbrennt und ausruft: "Der Teufel ist gütiger als Gott". Das Theater Wuppertal hat eine Antwort darauf, sie ist schlicht: weil es zu wenig Herzenswärme gibt in diesem Hause, weil die Singers schon früh den Tod der Nichtgeliebten starben. Die älteren Söhne sind Mendel fremd geworden, die Ehefrau ist ihm eine Zumutung, er schwadroniert von der "zweiten Ehe mit der Hässlichkeit" und davon, dass die Frau zur "Krankheit" geworden sei. Nur Menuchim liebt er. Und das Ende? Dieses göttliche Wunder, dieses zuckrige Happy-End? Heinrich Böll hat es an Roths Roman nicht gemocht, aber die Theaterfassung braucht es, sonst ginge man vollends depressiv in die Nacht. Frenetischer Applaus, viele Bravos.

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