Tassilo Preis:Mr. Blues

Inning Spectacel Konzert

Geht in seiner Musik auf: Sänger und Gitarrist Claus Angerbauer bei einem Auftritt im Inninger Spectacel.

(Foto: Georgine Treybal)

Kandidaten für den Tassilo-Preis: Der mit 35 Jahren erblindete Claus Angerbauer gehört zu den Musikern mit unverwechselbarer Stimme. 2008 zog er in den Gemeinderat Weßling ein, seitdem kümmert er sich auch um Bandwettbewerbe und die Jugend

Von Gerhard Summer, Weßling

Die Sache mit der Holzleiste ist schon interessant. Das Ganze ist jetzt 24 Jahre her, Claus Angerbauer hatte damals seine "ultimativ letzte Operation". Ein Freund holte ihn ab und kriegte sich vor Staunen nicht mehr ein, denn er musste mit Angerbauer zuallererst ein Münchner Musikgeschäft ansteuern. Der Gitarrist und Sänger aus Weßling brauchte noch Saiten und anderen Krimskrams, außerdem plagte ihn die Sorge, dass er am Publikum vorbei spielen und den Kopf uncool zur Seite drehen könnte. Weshalb er auf die Idee kam, zur Orientierung ein Brett auf der Bühne anzubringen. Sein Fahrer hatte erwartet, dass den damals 35-jährigen Angerbauer jetzt schlimme, essenzielle Sorgen umtreiben, schließlich hatte die OP nichts gebracht. Angerbauer war blind, als er aus der Augenklinik kam.

Die Krankheit hatte sich angekündigt. Schon 1982 prophezeiten ihm Ärzte, dass er in den nächsten Jahren Probleme mit den Augen bekommen würde. Die Diagnose: Netzhautablösung. Erst war das rechte Auge betroffen, dann das linke. Nach einer Operation konnte er damit wieder zu 25 Prozent sehen, bald bildete sich ein Ödem, "dann war Feierabend". Doch Angerbauer hatte Zeit, sich vorzubereiten. Erst verdrängte er den Gedanken, doch irgendwann beschäftigt er sich damit, wie es wäre, nichts mehr zu sehen. Er ging in ein Konzert von Jeff Healey, dem blinden Rock- und Bluesgitarristen aus Toronto, der sein Instrument auf die Oberschenkel legte und wie eine Zither spielte, extrem virtuos und ohne sich auch nur einmal zu vergreifen. Und er sah: "Das funktioniert ja noch." Vielleicht hat ihn sein Pragmatismus gerettet. Jedenfalls: Angerbauer "fiel nie in ein Loch", war nie verzweifelt, versank nie in der Dunkelheit. Oft war er selber überrascht, wie viel relativ schnell wieder funktionierte: das Kochen, sogar das Skifahren, das Gitarrespielen sowieso. Kurz nachdem er erblindet war, war er zehn Jahre richtig unterwegs und spielte jedes zweite Wochenende in Biker-Clubs, er selbst war Harley-Fan. Seit 1992 dürfte er ein paar Hundert Auftritte absolviert haben.

Angerbauer würde in seinen Kabarettprogrammen oder Blueskonzerten vielleicht sagen: Wer praktisch nichts mehr sieht, der muss es praktisch sehen. Das ist ja das Erfrischende an ihm: dass er auf der Bühne nichts in Watte packt, nichts verharmlost, aber eben auch nichts aufbauscht. Er erzählt dann gern, was ihn Schüler fragen, wenn er in Klassen geht und über sein Leben spricht. Ob er also schon mal aus Versehen in die Badewanne gepinkelt habe? Ja, antwortet Angerbauer dann, hat er. Aber die Sache ist die: Zu der Zeit konnte er noch sehen, so gut jedenfalls, wie man mit viel Alkohol im Blut sieht. Eine Jugendsünde.

Angerbauer sagt, er habe das Gefühl, dass er seine Balance gefunden habe. Das ist vielleicht genau das richtige Wort. Wer ihn erlebt, denkt keine Sekunde darüber nach, ob der heute 59-jährige mit den kurzen grauen Haaren und dem Jungengesicht blind ist oder warum sonst er stets die Augen geschlossen hat. Denn schon von ersten Ton an ist man gefangen, von seiner Unbekümmertheit, von dem Gefühl, dass Angerbauer in der Musik aufgeht, und vor allem von seinem Können. Denn der Bluesrocker spielt sehr versiert Gitarre, und seine Stimme ist sensationell - tief, rau, soulig und schwarz. Ein Reibeisenorgan, als hätten sich Joe Cocker, Tom Waits und Satchmo mal kurz zusammengetan.

Der gebürtige Weßlinger hat schon früh mit der Musik angefangen. Mit fünf lernte er Klavier. Sein Vater, ein Richter, war "völlig unmusikalisch", die Mutter wollte zumindest als Jugendliche mal Opernsängerin werden. Bald kam er auf die Gitarre und bastelte sich ein Instrument aus einem Karton, den er nach einer "Bravo"-Vorlage ausschnitt, einer Holzlatte und Angelschnüren seines Bruders. Das Ding war totaler Mist, aber Angerbauer kam es nur auf eines an: "Wie kann man sich dazu bewegen?" Mit 14 oder 15 durfte er sich vom Taschengeld die erste Framus kaufen, die Musik begleitet ihn nun schon seit mehr als 40 Jahren. Seine Band Feedback gehörte in den Siebzigerjahren zu den angesagten Gruppen in Weßling, wenn sie auch nicht mit Bonzo Keils Tram mithalten konnte.

Auch heute hat Angerbauer noch eine Band, die Travelling D's, die aber nur ein paar Auftritt pro Jahr schafft, weil alle Mitglieder so eingespannt sind, auch Angerbauer. Seit 2008 ist er nämlich Weßlinger SPD-Gemeinderat und gehört auch einem Gremium an, das den Aktionsplan barrierefreier Landkreis voranbringen soll. Nebenbei absolviert er Benefizkonzerte, tritt mit dem Gitarristen und Seefelder Bürgermeister Wolfram Gum auf, organisiert einen Bandcontest und spendet den Erlös aus dem Verkauf seiner Solo-CD für den Weßlinger Jugendfonds. Demnächst will er einen Jugendpreis für soziales Engagement ausloben. Claus Angerbauer sagt: Er spüre "Zufriedenheit und Glück", das wolle er weitergeben. Und das klingt bei ihm kein bisschen aufgesetzt.

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