Kandidat für den Tassilo 2018:Den Klang physisch erleben

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Der Autodidakt Udo Schindler in seinem "Salon für Klang und Kunst" (hier mit der Chinesin Feng Xia). (Foto: Georgine Treybal)

Der Kraillinger Musiker Udo Schindler ist Autodidakt. Er liebt die Improvisation und lädt regelmäßig zu ganz besonderen Konzerten in seinen Salon

Von Carolin Fries, Krailling

Es gibt kaum einen Tag, an dem Udo Schindler nicht Musik macht. Woher dieser Drang kommt, kann er nur schwer erklären. "Es ist mir einfach ein Bedürfnis, zu spielen, zu spielen, zu spielen", sagt der 65-Jährige. Schon als Kind habe er Musik machen wollen, doch Musikunterricht war für ihn nicht vorgesehen. Dem Buben blieb also nichts anderes, als mit dem Nachbarn, einem Kantor, hin und wieder an der Kirchenorgel zu spielen oder sich selbst beim Chor im Opernhaus anzumelden. Sein umfangreiches musikalisches Wissen in Theorie und Praxis hat sich der Kraillinger in vielen Jahren mühsam selbst zusammengesucht. Als Autodidakt, ohne jemals eine einzige Unterrichtsstunde gehabt zu haben, studierte er Querflöte am Konservatorium in Nürnberg . Doch glücklich wurde er erst, als er die freie Musik entdeckte, die Kunst der Improvisation. Musik ohne starre Regeln.

Wie Udo Schindler musiziert? Er kennt die Strukturen und Bausätze der Musik, ignoriert sie aber bewusst. Der Mann mit dem weißen kleinen Kinnbärtchen weiß um die Harmonielehre, aber erfindet eine neue. Er hat maximal ein Gefühl oder eine Vision davon, wohin die Reise gehen könnte, wenn er musiziert. Dabei darf es quietschen, brummen und gurgeln, auch die Atmung als Teil des Werkzeugs ist akustisches Mittel, Nebengeräusche gehören dazu. Ihm war nach dem Studium schnell klar, dass er mit dieser Art von Musik kaum seinen Lebensunterhalt würde bestreiten können. Also wurde er Architekt, führt ein erfolgreiches Büro in Planegg. Die Musik ist sein Hobby, das lange zu kurz kam, wie er meint. "Aber wenn man den Beruf ernst nimmt, bleibt nicht so viel Zeit." Mit dem Umzug von Seefeld nach Krailling vor neun Jahren entsteht die Idee eines Salons. Wieso nicht einen Raum einrichten, in dem sich gleichgesinnte Musiker regelmäßig einem Publikum präsentieren können? Seit 2009 gibt es ihn inzwischen, den Salon "Klang und Kunst" in der Bergstraße. Wer die steinernen Stufen über den Garten hinauf zu dem Zimmer mit Glasfront und kleiner Terrasse läuft, liest "Betreten der Burgruine auf eigene Gefahr". Schindler präzisiert den Hinweis: Man sollte ohne Erwartungshaltung kommen, "mit offenen Ohren und offenem Herzen", und sich einfach darauf einlassen. Etwa zehn Konzerte veranstaltet er hier im Jahr, im Anschluss gibt es ein kleines, feines Buffet. Der Eintritt ist stets frei, Spenden werden in einem kleinen Kübel gesammelt. Zwischen 15 und 40 Besucher nehmen auf den hölzernen Stufen oder Klappstühlen im Raum Platz, reichlich grüne Sitzkissen liegen hier herum. Wer hierherkommt, will nicht nur hören, sondern auch spüren, den Klang physisch erleben. "Es ist eine Art der Kommunikation", sagt Schindler. "Es ist ein Glücksgefühl."

Am liebsten improvisiert er im Duo, meist sind es musikalische Erstbegegnungen, die in seinem Salon stattfinden. Die Gäste kommen aus aller Welt, alles Einzelkämpfer wie Schindler, verbunden durch die Liebe zur Improvisation. Schindler beherrscht inzwischen sämtliche Blasinstrumente, darunter auch Althorn und Kontrabassklarinette, die man sonst kaum zu hören bekommt. Er hat mit dem Holzbläser Frank Gratowski gespielt, mit den berühmten Pianistinnen Lisa Ullén aus Schweden und Elisabeth Harnik aus Österreich oder dem niederländischen Lautpoeten Jaap Blonk. "Es ist ein kleiner Kreis", sagt Schindler. Man kennt sich von Festivals oder liest in Fachzeitschriften voneinander. Es geht dann darum, eine Kompetenz zu entwickeln, musikalisch adäquat auf den Partner zu reagieren, und eine Vorstellung zu entwickeln, wo das Stück hingeht. "Ein komplexer Prozess", wie Schindler sagt. Ihm ist die Musik das passende Gegenstück zur Architektur geworden. "Architektur ist vor allem Handwerk, der Anteil an Kreativität ist gering. Bei der Musik ist es genau andersherum."

Jedes Konzert nimmt er auf, die Mikrofone ganz nah an die Instrumente herangebaut. Nach einer Vorauswahl schickt er die Dateien an Wolfgang Obrecht. Gemeinsam entscheiden sie dann, ob die Qualität für eine CD reicht. Relativ oft war das so, im Salon liegen etwa 30 Aufnahmen auf einem Sideboard aus. "Ich will diese Musik bekannt machen", sagt Schindler. Und ja, er will die Menschen auch heranführen an diese spezielle Art der Musik, für die es kaum mehr Auftrittsmöglichkeiten geschweige denn Fördergelder gibt. Das macht es für Schindler nicht einfacher, der für gute Musiker nach seinem Salonkonzert oft noch ein Konzert in München aushandeln konnte. Da findet er inzwischen kaum mehr etwas. Und doch wird er einfach weitermachen. Er kann ja gar nicht anders.

Der 81. Salon für Klang und Kunst in der Bergstraße 28 c in Krailling findet an diesem Freitag, 9. Februar, statt. Von 20 Uhr an ist der Computer-Musiker Korhan Erel zu Gast. Der gebürtige Türke lebt in Berlin und entwickelte eigens ein Computersystem zur musikalischen Improvisation.

© SZ vom 19.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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