SZ-Serie: Sakrale Kunst:Mutige Predigten in dunkler Zeit

In der 1935 erbauten evangelischen Kirche von Seeshaupt wirkte einst Karl Steinbauer

Von Katja Sebald, Seeshaupt

"Das sag ich Ihnen, wenn wieder Spitzen in Ihrer Predigt sind, dann werde ich den Gottesdienst abbrechen!" Zur Einweihung der evangelischen Kirche in Seeshaupt am 24. November 1935 war eigens der zuständige Oberkirchenrat Oscar Daumiller aus München angereist. Und er wusste wohl, dass Karl Steinbauer, der gegen alle Widerstände der Zeit den Neubau eines Kirchleins für seine gerade einmal fünfzig Seelen zählende protestantische Gemeinde durchgesetzt hatte, sich nicht den Mund verbieten lassen würde. Die Seeshaupter können stolz auf ihre evangelische Kirche an der Seeseitener Straße sein, die zwar kaum mehr als wohnzimmergroß ist, aber doch ein bedeutendes steinernes Dokument für die aufrechte Haltung des damaligen Vikars und einiger Privatpersonen während der NS-Zeit.

Auch wenn das bayerische Religionsedikt von 1803 allen Bürgern freie Religionsausübung zugesichert hatte, so waren doch in ländlichen Regionen Bayerns die Evangelischen noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Exoten. Auch in Seeshaupt mussten die wenigen evangelischen Kinder das Klassenzimmer verlassen, wenn der katholische Religionsunterricht abgehalten wurde. Die kleine Schar der Protestanten, zumeist wohlhabende Bürger, die sich am See niedergelassen hatten, versammelten sich seit 1926 in einem Nebenzimmer des Hotels zur Post und später im Schulhaus zu ihren Gottesdiensten. Die Familie des Barons Wendland aus Bernried etwa gehörte dazu, aber auch der Landwirt Georg Veitinger, der mit seiner Familie aus dem Donaumoos nach Seeshaupt übergesiedelt war. Für den Abendmahlskelch und das Kreuz spendeten die Gemeindemitglieder ihre silbernen Löffel.

Kurz nach Hitlers Machtergreifung war der 27-jährige Karl Steinbauer als Vikar in die evangelische Kirchengemeinde Penzberg gekommen, zu der Seeshaupt gehört. Mit seinen mutigen Predigten gegen die Ideologie der neuen Machthaber brachte er sich selbst in Gefahr, seine eingeschworene Gemeinde aber wuchs noch enger zusammen. Baron Simolin von Schloss Seeseiten stiftete dem zur Finanzierung eines eigenen Gotteshauses gegründeten "Kapellenbauverein" einen Bauplatz am Ortsausgang. Entgegen der landläufigen Meinung konnten während der NS-Zeit zahlreiche neue Kirchen gebaut werden, die sich aber stilistisch am propagierten "bodenständigen Bauen" orientieren mussten. Für die Sakralarchitektur bedeutete das einen "mittelalterlichen", an der Romanik ausgerichteten Stil.

In gewisser Weise trifft das auch für das Seeshaupter Kirchlein mit dem steilen Satteldach, dem gedrungenen Turm und den Rundbogenfenstern zu. Der Entwurf geht auf den Münchner Architekten Max Unglehrt zurück, der als Erfinder des Vierspänner-Einfamilien-Reihenhauses gilt und neben "ländlichen Siedlungen" eine ganze Reihe evangelischer Kirchen in Oberbayern plante. Innerhalb weniger Monate wurde die Kirche nach der Grundsteinlegung am 28. Juli 1935 errichtet. Das "Weilheimer Tagblatt" beschrieb den Neubau lobend, die Kirche füge sich "in ihrer bodenständigen äußeren Form recht harmonisch in die schöne Landschaft des Starnberger Sees ein".

Der junge Pfarrer Karl Steinbauer soll kreidebleich gewesen sein, als er nach der Drohung des Oberkirchenrats an jenem Novembertag die Kirche aufsperrte und zum ersten Mal von der neuen Kanzel predigte. "Verzeihen Sie mir, Bruder Steinbauer, ich habe Unrecht getan", soll der jedoch hinterher gesagt haben, "das war rechte Verkündigung der uns aufgetragenen Botschaft für die Gemeinde von heute". Steinbauers Gottesdienste wurden oft von der Gestapo überwacht, immer wieder wurde er wegen regimekritischer Äußerungen denunziert, mehrmals kam er ins Gefängnis. Mitglieder seiner Gemeinde setzten sich für ihn ein und konnten seine Freilassung erwirken, nicht aber seine endgültige Versetzung 1938 verhindern.

Es ist also ein geschichtsträchtiger Kirchenraum unter der schweren, niedrigen und dunklen Holzdecke. Nur einige wenige Kirchenbänke reihen sich hier aneinander, der Raum wirkt geradezu intim. Die Ausstattung ist von einer beinahe archaischen Schlichtheit, ein Freiherr von Rechenberg schuf den Taufstein, die Kanzel und auch das erste Altarrelief. An der darauf dargestellten nackten Eva nahmen die Gottesdienstbesucher jedoch Anstoß, sodass es 1942 gegen ein etwas martialisch wirkendes geschnitztes Triptychon des Bildhauers Max Hoene ausgetauscht wurde. Und auch die Kirche genügte schon nach wenigen Jahren nicht mehr den Ansprüchen der stetig wachsenden Gemeinde: Bereits 1938 wurde ein Gemeindesaal angebaut. Zusammen mit der Mesnerwohnung, dem schönen Garten und dem Parkbänkchen davor bildet das kleine Ensemble heute einen idyllischen Ort, der zum Innehalten einlädt. Seit vielen Jahren wird die Kirche von der Mesnerin Renate von Fraunberg liebevoll gepflegt.

Die Kirche ist während der Gottesdienste (alle 14 Tage am Sonntag um 10 Uhr) geöffnet und kann in der übrigen Zeit nach Anmeldung bei Renate von Fraunberg (08807/1244) besichtigt werden. Von Seeshaupt aus kann man in alle Richtungen zu schönen Spaziergängen aufbrechen; Bero und Renate von Fraunberg empfehlen in ihrem Buch "Die Kirchen im Dorf" (Seeshaupter Ansammlungen) den Weg am Seeufer entlang nach Seeseiten (einfache Strecke zwei Kilometer). Nach der Besichtigung der katholischen Kirche St. Jakob, die 1090 erstmals erwähnt wird und einen kostbaren Altar aus der Renaissancezeit besitzt, kann man im herrlich gelegenen Biergarten Pause machen, bevor man sich auf den Rückweg macht.

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