Teil 6: Herrsching:Feudales Leben auf dem Land

Funde aus der Römerzeit zeugen vom Komfort, den sich die Gutsbewohner und ihre Nachbarn gönnten. Zum Beispiel Fußbodenheizungen und Fensterglas

Von Patrizia Steipe, Herrsching

Unweit der stark befahrenen Rieder Straße und ein paar Schritte neben dem Johanniter-Seniorenheim in Herrsching kann man sich auf eine Reise in die Zeit der Römer begeben. Passenderweise direkt auf dem neuen Teil des Friedhofes; als wollten die geschichtlichen Zeugen die Endlichkeit allen Seins inmitten der Gräber bezeugen. Das Areal um den Mitterweg ist seit langem als archäologische Fundgrube bekannt.

Die Römer haben etwa im Jahr 14 vor Christus das Gebiet zwischen Isar und Lech erobert. Für die Versorgung und Verteidigung schufen sie ein weit verzweigtes Straßennetz. Die Verbindungsstraße von Verona nach Schöngeising, das damals Ambrae hieß, führte auch durch Herrsching. Ob der Begriff "Ambro Lacus" von den Römern stammt oder eine neuzeitliche Lateinisierung ist, steht nach Aussagen von Barbara Blankenburg vom Verein für Archäologie und Geschichte Herrsching nicht fest. Auf alle Fälle wird der Ammersee auf alten Karten noch Ambersee genannt.

1982 wurde bei Erweiterungsarbeiten am Friedhof das Fundament einer frühchristlichen Steinkirche aus der Mitte des siebten Jahrhunderts ausgegraben. Außerdem waren römische Ziegelreste, Tonscherben sowie der Umriss eines Trockenofens entdeckt worden. Einige Jahre später wurden die Archäologen wieder fündig. Da, wo später das Johanniter-Altenheim errichtet wurde, fanden sie 2004 eine Villa Rustica, einen landwirtschaftlichen Hof aus dem Jahr 100 nach Christus. Auch drei Münzen um 350 nach Christus wurden geborgen. 2011 wurde eine Silbermünze des Septimius Severus gefunden; sie stammt aus dem Jahr 195.

Wer die Bewohner des Landhauses gewesen sein mögen, darüber kann nur spekuliert werden. Es gibt nur wenige schriftliche Quellen. Deswegen stützen sich die Archäologen auf Inschriften auf Weihesteinen, Grabdenkmälern oder Meilensteinen und reihen in mühsamer Kleinarbeit Puzzlestein an Puzzlestein.

In ihrem Leben in der Provinz Raetien hatten es sich die Römer bequem eingerichtet. Sie lebten deutlich luxuriöser als die Einheimischen. Oft gehörten die Landgüter ehemaligen Legionären, die sich mit ihren Familien auf dem Land niedergelassen hatten.

Der römische Soldat der Villa rustica beim Archäologischen Park gehörte nach Aussage des Archäologen Stefan Mühlemeier wohl zu einer Hilfstruppe, war also kein Legionär. Das schließt er daraus, dass in den römischen Landgütern von Herrsching und Leutstetten identische Beschläge eines Militärgürtels aus dem späten zweiten Jahrhundert gefunden worden waren. Der Soldat aus Leutstetten war laut seinem Grabstein Angehöriger einer Hilfstruppe. Die Angehörigen einer Truppe ließen sich solche Anhänger extra anfertigen, jede Truppe hatte einen anderen. Die Römer von Herrsching und Leutstetten müssen also im späten zweiten Jahrhundert gemeinsam Dienst getan haben.

Bei den Ausgrabungen wurden Knochen von Pferd, Rind, Schwein, Schaf und Ziege, aber auch vom Hund sowie Haarnadeln aus Tierknochen und zwei Spielsteine ausgegraben. "Der Hausherr hatte wohl eine Familie", folgerte Blankenburg. Acht Geräte, mit denen harte Böden gelockert werden konnten, geben Hinweise auf Ackerbau. Der Speiseplan der römischen Herrschinger scheint also recht abwechslungsreich gewesen zu sein. Es wurde sogar eine Weinamphore und in Ramsee eine Austernschale entdeckt. Auch sonst gönnten sich die Bewohner offenbar ein feudales Leben. Während die Einheimischen Tierhäute vor die Fensteröffnungen hingen, gab es bei den Römern schon Fensterglas. Große Reste sind im Bereich Ramsee gefunden worden. Das Hausdach war mit Ziegeln gedeckt, die Wände schön bemalt, und es gab Mosaikfußböden.

Aufregend war der Fund einer Tonscherbe aus edlem Terra Sigillata. Vor dem Brennen hatte eine Person ungelenk "Iustini Sangenus" eingeritzt. Lange hatten die Forscher gerätselt, bis Bernd Steidl von der Archäologischen Staatssammlung in München den Namen zu entziffern glaubte. Er las aus dem Gekritzel "Sangenus des Justinus", also Sohn oder Sklave des Justinus. "Es ist der erste Herrschinger, dessen Namen wir kennen", freute sich Blankenburg.

Vor ein paar Jahren standen wieder Erweiterungsarbeiten am Friedhof an und wieder wurden die Archäologen im Vorfeld fündig. Dieses Mal hatten sie die Umrisse eines römischen Badehauses mit einer Hypocaustum-Heizung entdeckt. Es ist eine Art Vorläufer unserer modernen Fußbodenheizung. Von einem Heizraum, dem Praefurnium wurden heiße Rauchgase eines Feuers durch Hohlräume in den Fußboden und in die Wärme geleitet. Die Umrisse hat Landschaftsarchitektin Monika Treiber bei der Erweiterung des Friedhofes aufgemauert und sichtbar gemacht.

"Von dem Röhrensystem des Badehauses ist bis auf einige Scherben nichts mehr vorhanden, es wurde schon in historischer Zeit abgebaut. Nur der untere Estrich sowie das Teilfundament mit den Ziegel- und Kohleresten sind erhalten", berichtete Blankenburg.

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