SZ-Adventskalender:Wenn die Muskeln schwinden

Deniz und Erkan leiden an einer schweren Erbkrankheit, sind auf den Rollstuhl und ständige Hilfe angewiesen

Von Blanche Mamer, Starnberg

Zwei türkischstämmige Schwestern leben mit ihren beiden schwer kranken Söhnen Deniz C. und Ercan B. und der lebhaften sechs-jährigen Ayce C. (Namen geändert) in einer Dreizimmerwohnung, die zum Glück ebenerdig und Rollstuhl geeignet ist. Die beiden 13 und 14 Jahre alten Buben leiden an Muskeldystrophie vom Typ Duchenne, einer schweren Erbkrankheit, die bis jetzt nicht heilbar ist. Die ersten Symptome bei Deniz traten auf, als er im Kindergarten war, die niederschmetternde Diagnose kam kurz danach: Die Muskelerkrankung, die auf einem Gendefekt beruht, kann nicht gestoppt werden, der Verlauf der Krankheit kann jedoch durch verschiedene Therapien verzögert werden.

Auch bei seinem Cousin Ercan waren die Symptome damals schon erkennbar. Nicht jede mögliche Hilfe ist durch die Krankenkasse abgedeckt; einige der empfohlenen Therapien können sich die alleinerziehenden Mütter nicht leisten. Die Mutter von Deniz und Ayce ist Witwe, sie lebt schon lange im Landkreis; sie ist die Mieterin der Sozialwohnung und hat ihre Schwester und den Neffen aufgenommen. Allerdings ist die Enge der Wohnung mit zwei Rollstuhlkindern ein großes Problem, vor allem aber auch das Geld. Ihre Schwester suche eine eigene kleine Wohnung, möglichst nicht zu weit weg, damit sie sich wie bisher gegenseitig unter die Arme greifen können, sagt Enif C., die im Gegensatz zur Schwester sehr gut Deutsch spricht. Sie macht sich jedoch wenig Hoffnung, dass das in der jetzigen Situation auf dem Wohnungsmarkt schnell geht.

Ercan wünscht sich einen eigenen Laptop, um mit der Welt draußen in Kontakt zu kommen. Denn mit dem Rollstuhl kommt er nicht weit, seine Fahrten beschränken sich auf den Weg zum und vom Schulbus. Wie sein Cousin besucht er die Bayerische Landesschule für Körperbehinderte in München.

"Was ihm sicher gut täte, wäre eine Reittherapie. Wir hätten auch eine therapeutische Reitschule, doch derzeit sind die Stunden einfach unerschwinglich ", sagt Barbara Schachtschneider vom Ambulanten Kinderhospiz München (AKM), die der Familie beratend zur Seite steht. Schachtschneider berichtet, dass sie derzeit 102 Familien im Fünfseenland berät, wie die Betreuung aussehen müsste und welche Hilfe von Fachstellen, Heilpädagogik, Pflege und Nachsorge sie erwarten dürfen. Außer dem Landkreis Starnberg gehören auch Landsberg, Weilheim und Fürstenfeldbruck zu ihrem Einzugsbereich. Muskeldystrophie sei nach Krebs die zweithäufigste Erkrankung, die durch die Mitarbeiter des Ambulanten Kinderhospizdienstes versorgt werden. Die Betreuung beschränke sich nicht auf die Schwerkranken, sondern betreffe immer auch die ganze Familie.

Die Behandlungsmaßnahmen bei Muskeldystrophie müssen sich möglichst früh darauf konzentrieren, die schwindende Muskelkraft so lange es geht zu erhalten. Zudem müsse versucht werden, nachteilige Einflüsse wie Übergewicht und Fehlstellungen zu vermeiden, und die zahlreichen Probleme des Alltags zu lösen, heißt es bei den Informationen der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke. So seien eine Diät und eine geschickte Nahrungsauswahl angesagt, um Übergewicht vorzubeugen. Deniz C. leidet schon seit einiger Zeit an Übergewicht und sitzt im Rollstuhl, sein Cousin kann mittlerweile ebenfalls nicht mehr laufen. Das AKM betreut beide Familien, eine Koordinatorin kümmert sich und steht für Krisensituationen zur Verfügung.

Es geht dabei grundsätzlich nicht nur um die kranken Kinder, sondern auch um die benachteiligten Geschwister und die überforderten Mütter. Die durchschnittliche Betreuungszeit liegt bei etwa zwei Jahren. Laut einer Erhebung von AKM-Gründerin Christine Bronner hatte die Stiftung im vergangenen Jahr in Ober- und Niederbayern rund 300 Einsätze in Familien und betreute 1500 Personen.

Von 2015 auf 2016 hat der Bedarf danach um 37 Prozent zugenommen.

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