Kulturmacher:Willkommen im Kopfkino

Kulturmacher: Gerd Holzheimer, 65, schreibt Romane, Essays, Erzählungen und Lexika über bayerische Volkskunde.

Gerd Holzheimer, 65, schreibt Romane, Essays, Erzählungen und Lexika über bayerische Volkskunde.

(Foto: Arlet Ulfers)

Der Schriftsteller Gerd Holzheimer ist mitverantwortlich für das Programm des Literarischen Herbstes im Landkreis und hat die neue Reihe Kunstkammern erfunden. Wie das kommt? Er kann nicht anders

Von Gerd Holzheimer

Der zahlende Besucher, der ins Konzert geht, das Kinofestival besucht oder das Museum, will ein Ergebnis sehen. Zu Recht. Wie viel Arbeit dahintersteckt, bis das Konzept einer Jazz- oder Klassikreihe steht, die Rockband den Auftritt zusagt und das erste Bild einer Ausstellung am Nagel hängt, interessiert ihn in dem Moment nicht. Dabei ist auch das ein Kunststück: Festivals, Musik- und Theaterreihen trotz geringer Zuschüsse über Jahre am Laufen zu halten. In der SZ-Serie "Kulturmacher" schreiben Veranstalter, wie ihnen das gelingt und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben.

Wie das kommt, dass man ein Kulturmacher wird, weiß ich nicht. Aber ich kann gar nichts gegen die Kultur machen, die sich im Inneren meines Hirnes als Kopfkino abspielt. Sie ist schon da, ständig, bevor sie sich herausspielt als Buch oder Zeitschrift, als Theater oder Film, als Veranstaltungsreihe oder Ausstellung. Mein Vater war Landvermesser, ich setze ganz einfach seine Arbeit fort und fülle seine Landkarten mit Schreiben über das Land und seine Menschen, mit dem Nachdenken über die Historie, wie das alles kam, über Glauben oder auch Nichtglauben, Träume, Erzählungen, Seelenabdrücke.

Künstlerisch Gestalt annehmen, heißt, aus sich selbst heraus und in die Welt hinein zu treten, sich mit dieser Gestalt zu orientieren: biographisch, ästhetisch , historisch, spirituell. Aber das heißt noch lange nicht, dass man die Weisheit mit den Löffeln gefressen hat, im Gegenteil. Allein schon, weil es eine Wahrheit nicht gibt, vielleicht, weil die einzige Wahrheit darin besteht, dass es keine gibt. Oder für jeden eine andere. Von daher wird sie gewiss mit sich reden lassen. Und mit sich spielen auch. Etwa in einer poetischen Exkursion mit dem Titel Wahnsinn, jetzt reicht's: Die Wahrheit über Gauting, bei der deutlich wird, dass es im Grund gar keine gesicherten Quellen gibt, die alle für wahre Münze nehmen können. Das Spiel mit der Wahrheit ist freilich nicht weniger wahr: Das Römische Reich ist tatsächlich untergegangen, aber was heißt das für den Römer an der Römerstraße im Jahre 476? Das muss man sich ausmalen. Eine erfundene keltische Wildschwein-Pizza gibt es dann wieder wirklich für alle zu essen. Auch in einer Nacht voller Wunder im Hotel Bayerischer Hof in Starnberg wird ein Spiel vorgeführt, in dem man nie genau weiß, ob es sich um einen echten Hotelgast handelt, einen echten König Ludwig II., die Bairische Geisha, einen Verzauberer und Musiker, die alle aufeinander treffen, aber die Stationen der Einsamkeit, Fremde, Suche nach Heimat, Sehnsucht nach Liebe kennt jeder und spürt sie wieder am eigenen Leib, im eigenen Herzen. Soweit zwei kurze Beispiele aus dem Literarischen Herbst als gemeinsame Produktion mit Elisabeth Carr und ihren KunstRäumen am See.

In der Reihe Kunstkammern im Gautinger Bosco wird in spielerischer Form Kosmos auf kleinstem Raum verdichtet und damit abgebildet: der Versuch, eine unüberschaubar gewordene - oder schon immer gewesene - Welt in einem kleinen Modell darzustellen sowie gleichzeitig auf sinnliche Art der Welt Poesie abzugewinnen!

Wo hört die Wahrheit auf, wo fängt das Spiel an? Fängt die Wahrheit mit dem Spiel an? Das Spielen bedeutet nichts anderes als die Welt als Schauspiel zu begreifen, womit auch die Welt nichts anderes ist als ein Entwurf. Eine Situation wird vorgeführt, in der andere sich wiedererkennen. Mit der Welt kann man spielen, ja, man kann gar nicht anders, als mit ihr spielen zu müssen, denn sonst wäre es ja zum Verzweifeln. Je absurder die Welt sich gebärdet, desto absurder gestaltet sich auch das Spiel, im milderen Fall: desto abgedrehter, oder wenn es gut geht, komischer, wobei in jeder guten Komik immer auch ihr Gegenteil sich versteckt. Man sagt den bayerischen Menschen nach, dass bei ihnen jede Kunstausübung darauf abziele, sich selbst und die Welt zu spielen, aber es ist noch mehr: sie spielen sich dabei in den Himmel.

Aus dem Publikum, das für solches Spiel ein Faible hat, schauen sich freilich manche schon von der anderen Seite her gewiss unschlagbare Aufführungen an. Andere, jüngere haben für solches Spiel häufig bereits auf dieser Seite keinen Sinn mehr. Plötzlich gehört man einem anderen Zeitalter an, man ist vordigital, quasi prähistorisch und ist nicht dabei in dem neuen Spiel, das auch eine ganz neue Art der Kultur, der Sprache, der Wahrnehmung hervorbringt - oder auch der Nichtwahrnehmung. Aber der Kultur im Kopf macht das nichts, die Kultur macht einfach weiter im Kopf. Besser kann es gar nicht gehen: Wenn ich eines Tages als ultimativ letzter analoger Typ zum einzigen Besucher meines Kopfkinos werden sollte, zahl ich noch immer keinen Eintritt.

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