Starnberg:Wählerische Azubis, kritische Chefs

Lesezeit: 3 min

Im Landkreis sind noch 120 Lehrstellen unbesetzt. Die Bewerberlücke macht den Firmen zusehends zu schaffen. Allerdings schauen viele Unternehmen immer noch auf die Zeugnisnoten, nur wenige Betriebe achten auch auf soziale Kompetenzen

Von Amelie Plitt, Starnberg

Das neue Ausbildungsjahr beginnt am kommenden Donnerstag - und damit die Sorgen der Firmen. Denn in den Unternehmen des Landkreises sind immer noch 120 von mehr als 450 angebotenen Lehrstellen unbesetzt, so die aktuellen Zahlen der Agentur für Arbeit in Starnberg. 55 Jugendliche, die eine Ausbildung machen wollen, haben zurzeit noch keinen Platz. Diese Zahl werde aber noch am Anfang des Ausbildungsjahres sinken, da viele unentschlossen seien, ob sie eine weiterführende Schule besuchen sollen oder nicht, meint Dirk Dieber, Leiter der Agentur. Um diese Fälle kümmern sich aktuell die Berufsberater der Arbeitsagentur. Laut Dieber spielen Flüchtlinge aktuell in der Statistik noch keine Rolle, da zumeist die Sprachkenntnisse für eine Ausbildung nicht ausreichen würden. Das grundsätzliche Problem: Immer weniger junge Leute machen trotz eines tendenziell zunehmenden Angebots an Lehrstellen keine Ausbildung. Martin Eickelschulte, Vorsitzender des IHK-Gremiums, sagt: "Die große Bewerberlücke bereitet den Betrieben immer mehr Probleme, einen passenden Azubi zu bekommen."

Die beliebtesten Ausbildungen im Landkreis sind bei den jungen Frauen Berufe im Bürobereich sowie die Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Bei Männern sind vor allem Lehren in der IT-Branche und die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker angesagt. Einen besonders großen Azubi-Mangel verzeichnen Hotelbetriebe, Gaststätten und alle Handwerksberufe. Den Grund kennt Dieber: "Die Arbeitszeiten und die extreme körperliche Anstrengung vermeiden viele junge Leute heute." Eickelschulte hält das Problem der freien Lehrstellen aber für branchenübergreifend.

Ein zentraler Grund für noch offene Lehrstellen sei zum einen, dass die Ausbildungssuchenden wählerisch seien, zum anderen würden Unternehmen Bewerber mit schlechten Noten häufig ablehnen, so Dieber. Eickelschulte führt das Problem auf den "Akademisierungswahn" zurück. Hilfreich wäre laut dem IHK-Vorsitzenden, dass Schulen noch mehr Engagement in Sachen Berufswahl zeigen. Die Unternehmen selbst können laut Eickelschulte den Schülern bei der Berufswahl helfen, zum Beispiel durch Berufsmessen oder Ausbildungstage. Neben einem guten Abschluss spielen für Unternehmen zunehmend auch soziale Kompetenzen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Motivation bei den Bewerbern eine Rolle. Hier sieht Eickelschulte bei vielen Auszubildenden Nachholbedarf. "Eine mangelnde Kinderstube" sei auch ein Grund für die Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage. Gerd Zanker, Geschäftsführer von Elektro Saegmüller in Starnberg, beugt diesem Problem vor: Seine neuen Auszubildenden besuchen Anfang September einen dreiwöchigen Benimmkurs, einen sogenannten Azubi-Knigge. Zanker: "Wir haben einen Coach eingeladen und die Azubis nehmen an Workshops teil. Hier sollen ihnen Grundwerte wie Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft vermittelt werden, damit der Umgang mit Kunden reibungslos läuft."

Neben Bewerbungsunterlagen und Noten spielen auch für das Landratsamt Starnberg soziale Faktoren eine zunehmend wichtige Rolle bei der Azubi-Auswahl: Die Behörde lädt nicht, wie viele andere Unternehmen, nur eine Handvoll Bewerber zum Vorstellungsgespräch ein, sondern organisiert einen Bewerberauswahltag. Da schaut sich die Personalabteilung an sechs Tagen 50 Bewerber durch eine Art Assessment-Center genau an, um möglichst vielen eine Chance zu geben. "Weil wir meistens mit Menschen arbeiten, zählen bei uns besonders soziale Kompetenzen", so Katrin Sontheim von der Personalstelle des Landratsamts.

Um junge Leute, von einem Ausbildungsberuf zu überzeugen, organisiert Webasto, Hersteller von Dach- und Cabriodach-Systemen sowie Heiz-, Kühl- und Lüftungssystemen in Stockdorf, jährlich die Nacht der Ausbildung. Hier stellt sich das Unternehmen mit seinen entsprechenden Ausbildungsmöglichkeiten vor. Jugendliche können sich durch Kurzvorträge und Videos über das Unternehmen informieren, Fragen bei den Ansprechpartnern stellen und ein Bewerbertraining absolvieren. Webasto schickt auch regelmäßig Auszubildende an Schulen, damit diese sich und ihren Beruf dort präsentieren. Dass sich das intensive Werben lohnt, zeigen die steigenden Bewerberzahlen: Seit 2013 kommen jedes Jahr mehr Bewerbungen. Waren es 2015 noch 250, sind es dieses Jahr schon 300 Bewerber bei Webasto. Ausbildungsleiterin Andrea Bodner empfiehlt zudem Orientierungspraktika zu machen. Zwei Drittel der Auszubildenden bei Webasto absolvierte zuvor ein Praktikum im Unternehmen selbst.

Eine weitere Maßnahme, um das Interesse an Ausbildungsberufen zu wecken, ergreift die Gesellschaft zur Förderung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung im Landkreis Starnberg (Gfw). Sie organisiert heuer zum sechsten Mal am schulfreien Buß- und Bettag den Tag der Ausbildung. Ziel der Aktion ist, ein Forum für Unternehmen zu schaffen, damit diese sich und ihre Ausbildungsmöglichkeiten direkt ihrer Zielgruppe präsentieren können. Wie in den vergangenen Jahren werden die Buben und Mädchen zwischen 9 Uhr und 16 Uhr mit Shuttle-Bussen zu vier Unternehmen im Landkreis gebracht. Sie sollen durch dieses Projekt feststellen können, wie viele Betriebe es auch hier in der Region gebe und wie ausdifferenziert das Ausbildungsangebot tatsächlich sei, sagt Katrin Kollmann, Regionalmanagerin der Gfw. Firmen können sich noch bis 31. August anmelden, das entsprechende Dokument befindet sich auf der Homepage der Gfw.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: