Starnberg:Unterm Hammer

21 000 Rinder werden beim Zuchtviehmarkt in Weilheim pro Jahr versteigert, viele davon aus dem Fünfseenland. Während die Verkäufer aus der Region kommen, reisen die Käufer sogar aus dem hohen Norden an

Von Astrid Becker, Starnberg/Weilheim

Er ist ein echter Prachtkerl. Stämmig, muskelbepackt, aber nicht fett. Und er ist ziemlich begehrt. Nein, nicht von Frauen. Sondern von Besamungsstationen. Denn so einer wie er, der soll seine Gene möglichst weit verbreiten. Zugegeben: Das alles klingt ein wenig schräg. Aber dieser "Er", der noch keinen Namen hat, ist auch kein Mensch, sondern ein Bulle. Und etwas ganz Besonderes. Denn obwohl dieses Tier erst ein Jahr alt ist, steht eines schon fest: Mindestens 50 Prozent seiner Nachkommen werden hornlos zur Welt kommen - und das weiß hier jeder der Anwesenden.

Hier, das ist der Zuchtviehmarkt in der Weilheimer Hochlandhalle. Einmal im Monat werden dort Kühe, Bullen und Kälber versteigert, alle zwei Wochen findet dort zudem ein reiner Kälbermarkt statt. Landwirte und Züchter aus der gesamten Umgebung, vor allem auch aus dem Landkreis Starnberg, kommen hierher, um ihr Vieh möglichst teuer zu verkaufen - oder möglichst günstig einzukaufen. Wer die Halle bei einer dieser Gelegenheiten als Nichteingeweihter zum ersten Mal betritt, ist baff erstaunt. Um eine mit Streu bedeckte Arena drängen sich die Menschen auf den Holzbänken rundherum, aus dem scheinbaren Nichts ertönt eine Stimme in einem merkwürdigen Singsang. Nur ab und zu verlässt sie die Eintönigkeit und schnalzt nach oben. Was sie von sich gibt, ist anfangs nicht zu verstehen. Für den Außenstehenden ist das hier eine eigene Welt, ein Mikrokosmos, der sich erst nach und nach offenbart. Die Laute, die so schnell herausgestoßen werden, entpuppen sich irgendwann als Wörter, die sogar einen Sinn ergeben - auch wenn sie sich wie ein schier nicht endenwollender Rosenkranz anhören. Der Mann, auch das wird erst nach geraumer Zeit klar, dem diese Stimme gehört, steht erhöht über der Arena. Er heißt Michael Walser, kommt aus Beuerberg und ist Auktionator. In die Lehre gegangen sein muss er bei Dieter Thomas Heck, den er in der Geschwindigkeit seines Sprechens aber noch übertrifft. Darum muss man sich erst einhören.

Und noch etwas gibt dem Laien anfänglich Rätsel auf: Wie kommen die Rinder hier überhaupt an den Mann? Klar wird das erst durch Alois Kramer aus Krün bei Garmisch-Partenkirchen. Er sitzt im Ausschuss des Zuchtverbands Fleckvieh und er ist es dann auch, der einen auf die - ganz anders als bei anderen Auktionen - weitaus verhalteneren, fast unsichtbaren Handzeichen aufmerksam macht, die ein Gebot bedeuten: "Passen Sie bloß auf, halten Sie ihre Hände im Zaum, sonst gehen Sie noch mit einem Kalb nach Hause." Auktionator Walser muss also nicht nur schnell sprechen können, sondern auch über sehr gute Augen verfügen. In niedrigeren Preisklassen staffeln sich die Gebote in 20-Euro-Schritten, bei Kälbern sind es sogar nur 10-er-Schritte. Bei Preisen von mehr als 1500 Euro pro Tier steigt es auf 50-er-Schritte, dann von 3000 Euro an 100-er-Schritte. Je höher das Gebot, desto größer werden auch die einzelnen Preisschritte. 21 000 Tiere werden auf diese Weise in Weilheim pro Jahr versteigert.

Starnberg: Mannequins auf vier Beinen: ein wenig erinnert die Präsentation des lieben Viehs in Weilheim an die Kollektionsvorstellungen in Pariser Modehäuser.

Mannequins auf vier Beinen: ein wenig erinnert die Präsentation des lieben Viehs in Weilheim an die Kollektionsvorstellungen in Pariser Modehäuser.

(Foto: Arlet Ulfers)

Kramer weiß, wovon er spricht, er verkauft auch immer wieder eines seiner Tiere, diesmal eines, das er auf einer Alm groß gezogen hat. Ziemlich herausgeputzt hat sich der Landwirt für diesen Anlass, sogar einen feschen Hut aufgesetzt samt Gamsbart. Aber warum auch nicht, die meisten Tiere, die an diesem Tag versteigert werden, wurden ja auch vor der Versteigerung noch einmal eigens gewaschen und am ganzen Körper geschoren. Äußerlichkeiten spielen hier also eine große Rolle - auch wenn sich das meist nur aufs Vieh bezieht. Denn anders als Kramer sind die Menschen in dicken Daunenjacken oder Arbeitskleidung erschienen. Männer wie Frauen. Etwa ein Drittel der Anwesenden ist weiblich. Früher war das anders. Doch diese Zeiten sind vorbei. Der An- und Verkauf von Vieh ist hierzulande - anders als in anderen Kulturen - keine reine Männersache mehr, nicht einmal der sogenannte Auftrieb oder gar die Rinderzucht selbst.

Beispiel: der Prachtbulle mit der Nummer zwei, der trotz allen Kraftstrotzens fast anmutig durch die Arena tänzelt, stammt aus einem landwirtschaftlichen Betrieb in Farchant, der von einer Frau geführt wird. Einen Namen hat er bislang ebenso wenig wie all die anderen Tiere auch, die hier versteigert werden. Denn das, so verrät es der Geschäftsführer der Weilheimer Zuchtverbände, Helmut Goßner, ist den Käufern vorbehalten. Freilich taufen nicht alle Besitzer ihre Tiere auf so klangvolle Namen wie "Manitoba", "Bonanza" oder "Berggeist". Manche Tiere heißen ihr Leben lang ganz schlicht und nüchtern nach Zahlen, etwa "704" oder "482".

Vor Ort in der Weilheimer Hochlandhalle angekommen, begutachtet die Tiere ein Amtsveterinär und der Tiergesundheitsdienst, den es hier gibt. Dieser besteht aus zwei Landwirten und einer Tierärztin, deren vordergründige Aufgabe es ist, die Euter der Kühe genau zu untersuchen, Melkproben zu nehmen, die Anzahl der Zellen in der Milch zu prüfen. Ist diese erhöht, deutet dies auf eine Entzündung hin, und das Tier wird nicht für die Auktion zugelassen. Es geht also recht genau zu - im Interesse aller, wie Geschäftsführer Goßner meint, der künftig auch noch für die Besamungsstation in Greifenberg arbeiten wird. "Schwarze Schafe gibt es zwar überall, aber mir sind bei uns keine bekannt", sagt er, aber: "Nur wenn es dem Vieh gut geht, geht es auch dem Bauern gut." Logisch klingt das schon.

Starnberg: Welchen Preis die Tiere erzielen, wird an einer Tafel über der Arena in der Hochlandhalle für Jedermann sichtbar angezeigt.

Welchen Preis die Tiere erzielen, wird an einer Tafel über der Arena in der Hochlandhalle für Jedermann sichtbar angezeigt.

(Foto: Arlet Ulfers)

Ein Landwirt, der heutzutage auf Viehhaltung setzt, wird über den Verkauf von Milch kaum mehr seine Existenz bestreiten können. Etwa 30 Cent zahlen die Molkereien derzeit für den Liter konventionell gewonnener Milch, knapp 50 Cent für den Liter Biomilch. Eine Preissteigerung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Erst vor kurzem haben die Molkereien anlässlich der Grünen Woche in Berlin wegen des weltweiten Überangebots für 2016 weiter sinkende Milchpreise prognostiziert. Deshalb, so sagen Goßner und Kramer, stelle die Zucht und der Verkauf von Tieren eine "nicht unwichtige" Einnahmequelle dar. Dabei kommt es durchaus vor, dass ein Bauer sein Vieh nicht zum erhofften Preis losbekommen. Bei Nummer 19 ist dies beispielsweise an diesem Tag der Fall. Dem Katalog nach handelt es sich um einen Bullen, der einem Landwirt aus Hochstadt gehört. Das Tier wirkt so unwillig, so unglücklich wie der junge Mann, der es durch die Arena zerrt. Der Gedanke, dass sich wohl auch so mancher gezwungen sieht, ein Tier zu verkaufen, an dem er persönlich recht hängt, drängt sich auf. Goßner winkt ab: "Der wird halt recht müde sein, viele müssen schon um drei Uhr morgens raus, um rechtzeitig hier sein zu können." Doch es gibt dennoch immer wieder tragische Geschichten: Wenn beispielsweise ein alteingesessene Betrieb aufhören muss - wegen Krankheit oder weil die Kinder den Hof nicht übernehmen wollen. Häufig steht dann der gesamte Viehbestand auf einmal zum Verkauf. Nicht immer einfach für die Menschen, die mit ihren Tieren viele Jahre in einer "Symbiose" gelebt haben, wie es Kramer und auch Goßner nennen. Der junge Mann aus Hochstadt übrigens gibt sein Tier an diesem Tag nicht her. Das dafür angebotene Geld ist ihm zu wenig.

Anders als die Verkäufer kommen die Interessenten aber keineswegs nur aus der Region. Viele reisen sogar vom hohen Norden an, um hier vor allem Fleckvieh zu erwerben. "Unsere Spezialität", sagt auch Kramer. Weil diese Rasse, anders als beispielsweise das rein Milch produzierende Holstein-Rind, dafür gezüchtet wird, beides zu liefern: Milch und Fleisch. Zudem gilt sie als besonders stabil, auch weil sie hier häufiger als anderswo noch auf die Weide darf, wie Kramer sagt. "Wir sind eine Grünlandregion und erzeugen gute Qualität. Das spricht sich herum." Aber er redet auch noch über andere Besonderheiten dieser Rasse, zum Beispiel, dass ein Fleckvieh-Kalb niemals zur Fleischerzeugung geschlachtet wird. Vielmehr werden die weiblichen Nachkommen aufgezogen, von den männlichen seien etwa fünf bis zehn Prozent für die Zucht bestimmt, der Rest wiederum gehe an Bullenmastbetriebe, sagt er: "Daher kommt dann auch das Jungbullenfleisch beim Metzger."

In Weilheim auf dem Markt werden neben der etwas filigraner wirkenden Rasse Holstein, auch Braunvieh und Murnau-Werdenfelser angeboten - zwei besonders alte Hausrinderrassen, die mittlerweile eine Renaissance erleben. Versteigert wird hier übrigens nach Alter - begonnen wird mit den Jüngsten. Der Laie könnte nun auf die Idee verfallen, dass also die besten Tiere gleich zu Beginn unter den sprichwörtlichen Hammer kommen. Doch da irrt er, der Nichteingeweihte. Zu den begehrtesten Exemplaren zählen vielmehr Kühe, die bereits zwei bis drei Mal gekalbt haben, wenn man also so will, mittelalt sind. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sie geben nicht nur am meisten Milch, sondern deren Fett-Eiweiß-Gehalt ist in diesem Alter am besten. Ein Punkt, der sehr genau überprüft wird und der als Qualitäts- und Quantitätsmerkmal gilt. Damit schmücken sich übrigens auch die Zuchtverbände, die darüber Buch führen. Auch die Preise, die geboten werden, sind aufschlussreich. Kälber erzielen durchschnittlich etwa 350 Euro, Jungkühe werden- je nach Mängelangaben, wie das hier heißt - an diesem Tag für 980 bis 2050 Euro verkauft.

Enthornte Kälber – ja oder nein

Der Vorteil für die Bauern liegt auf der Hand: Werden Rinder enthornt oder kommen sogar hornlos auf die Welt, sinkt die Verletzungsgefahr für Tier und Mensch - vor allem unter den Haltungsbedingungen in modernen Laufställen. Die Vorschriften für die Enthornung wurden allerdings verschärft. So dürfen Kälber, die mehr als sechs Wochen alt sind, nur mehr in Ausnahmefällen enthornt werden - und das dann nur mehr durch den Tierarzt. Der Zuchtverband Weilheim empfiehlt für Kälber ein frühzeitiges Enthornen bis zur zweiten Lebenswoche, weil in diesem Alter der passive Immunschutz am größten und die Hornanlage noch recht klein ist. Der Tiergesundheitsdienst hat dafür ein schonendes Verfahren entwickelt, bei dem die Hornanlage unter Gabe von Beruhigungs- und Schmerzmitteln verödet wird. Üblich war es lange, Kälber bis zur sechsten Woche ohne Betäubung zu enthornen. Tierschützer hatten dies scharf kritisiert. Auch der biodynamische Verband Demeter lehnt Hornlosigkeit bei Rindern und Ziegen kategorisch ab, weil es als Einmischung in das Ökosystem angesehen wird. Hörner, so heißt es dort, seien wichtig für Verdauung und Stoffwechsel der Tiere. Die Milch behornter Kühe soll außerdem weniger Allergene enthalten. Dennoch setzt noch immer ein Großteil aller Biobetriebe auf hornfreies Vieh: Die Angaben dazu belaufen sich auf etwa 70 Prozent. abec

Apropos Mängel und gute Eigenschaften: Sie sind im Katalog, der für die Interessenten aufliegt, gelistet - auch wenn sie nur Menschen vom Fach verstehen. Denn was richtig wichtig ist, wird hier nur abgekürzt. Buchstabenfolgen wie "gG", "MW" , "FW" oder auch "FIT" sind dort aufgeführt, die mit allerlei Zahlenwerk flankiert werden. Dahinter verbergen sich Angaben zur tatsächlichen oder zur prognostizierten Leistung des jeweiligen Tieres - unter Berücksichtigung seiner Abstammung. Herauszulesen ist für den Kenner beispielsweise sogar, wie viel Milch die noch gar nicht gezeugten Töchter eines zum Verkauf stehenden Bullen vermutlich geben werden. Die Daten werden durch eine genomische Untersuchung gewonnen, die in Weilheim für alle vom 1. Januar 2014 an geborenen Bullen Pflicht ist.

Besonders gut hat da auch der Prachtkerl aus Farchant abgeschnitten - ein hornloser "Rosskur"-Sohn aus einer leistungsstarken "Rau"-Mutter, ist zu erfahren. Eingeweihten ist damit klar: Dieser Bulle stammt aus einer berühmten Familie. Deshalb interessieren sich so viele Besamungsstationen für ihn. Den Zuschlag bekommt am Ende die Besamungsstation in Grub - für 20 500 Euro. Der teuerste Stier, der hier verkauft wurde, ist er dennoch nicht. Dieser wechselte für mehr als 100 000 Euro den Besitzer, stammte dafür aber aus demselben Stall wie der Prachtkerl.

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