Starnberg:Sehnsucht nach der Oma

Der geistig behinderte Dadi möchte nichts lieber als nach Tunesien, doch für den Flug ist kein Geld übrig.

Blanche Mamer

Tunesischer Bub bei der Lebenshilfe

Dadi aus Tunesien ist geistig behindert und hat Heimweh.Foto: Fuchs

(Foto: STA Franz X. Fuchs)

Starnberg- Mit großen freundlichen Augen blickt Dadi auf seine Umgebung. Doch er spricht nicht, reagiert auch nicht auf Fragen. Mühsam hatte der kleine Deutsch-Tunesier sprechen gelernt. Noch im Juli war Robert Leibig, sein Betreuer in der heilpädagogischen Tagesstätte der Lebenshilfe Starnberg, sehr erfreut über die Fortschritte des Neunjährigen. Bei Fragen des täglichen Lebens, wie essen und trinken, konnte Dadi sich bereits gut ausdrücken und auch gegenüber anderen Menschen öffnete er sich mehr und mehr. Doch nach den Sommerferien war alles anders. Dadi war praktisch verstummt, nur hin und wieder, allein mit seinem Betreuer oder einem ihm vertrauten Erzieher, flüstert er leise.

"Wir rätselten, was da passiert war und was diesen plötzlichen Mutismus ausgelöst haben könnte", sagt Andreas Lieber, Leiter der Tagesstätte. Mit Lehrern und Erziehern der Franziskusschule wurde beraten, der Vater des geistig behinderten Kindes hinzugezogen. Und schließlich kam heraus, dass die Familie extreme Geldsorgen hat und Dadi deswegen nicht mit zur tunesischen Oma hatte fliegen dürfen. Er liebt die Oma sehr und sie liebt ihn, sagt der Vater Ali K. Der jüngere Bruder war mit der Mama nach Tunesien geflogen, während der Vater mit Dadi zur Tante nach Köln fuhr.

Diese Fahrt wurde zu einer Katastrophe, was sicher zur Verunsicherung des Kindes beitrug und den drückenden Schuldenberg um weitere 500 Euro erhöhte. Ein Betrag, der leicht für Dadis Flugticket nach Tunesien gereicht hätte. Die Geschichte selbst ist unglaublich, zeigt jedoch, wie verwirrend die Vorgaben der Deutschen Bahn sind. Der Bub hat einen Behindertenausweis, der die Begleitung durch eine erwachsene Person erlaubt, doch "niemand hat mir gesagt, dass der Ausweis nicht für den Intercity gilt", sagt Vater Ali K. Er habe sogar am Hauptbahnhof in München nachgefragt, die Angestellte habe gesagt, es sei ok. "Doch bei der Fahrscheinkontrolle im Zug, sagt der Schaffner, ich muss sofort bezahlen und auch noch Strafe dazu. Ich hatte aber nicht so viel Geld dabei", sagt der Mann, der seit 17 Jahren in der Küche einer Spezialklinik im Landkreis arbeitet. Er verdient 1300 Euro, die Miete für die Wohnung auf dem Klinikgelände beträgt 900 Euro. Vom Rest muss die vierköpfige Familie leben - und die Schulden abbezahlen. "Manchmal habe ich 50 Euro übrig, manchmal nur 20 Euro. Ich zahle das als Raten." Bereits seit neun Jahren trägt er Schulden ab, die bei einem Krankenhaus-Aufenthalt seiner Frau während der Schwangerschaft mit Dadi entstanden. Er hatte schon seinen deutschen Pass, wusste jedoch nicht, dass die in der tunesischen Botschaft geschlossene Ehe in Deutschland nicht anerkannt ist. Das erfuhr er erst, als die Krankenkasse sich weigerte, die Kosten für den einmonatigen Aufenthalt zu übernehmen. Weil er die Mahnungen nicht zahlen konnte, wurde die Forderung immer höher.

Die Familie spart also, wo es geht. Doch unerwartete Ausgaben sprengen dann wieder jede Kalkulation. So am vergangenen Wochenende, als Dadi abends einen Fieberkrampf hatte und Medikamente brauchte, - aus der diensthabenden Apotheke in Tutzing. Das Taxi kostete mehr als das geplante Feiertagsessen. Nur selten fährt ein Bus zum Klinikgelände, abends und am Wochenende gar nicht. Bis zum nächsten Supermarkt sind es mehrere Kilometer, die der Vater zu Fuß zurücklegt. Er hat schon vor Jahren Fahrstunden genommen, aber bis heute den Führerschein nicht machen können, weil er kein Geld hat. Auch der jüngere Sohn ist entwicklungsverzögert und wird wohl kaum in die Regelschule gehen.

"Der Vater strampelt sich ab, arbeitet schwer und tut alles für seine Kinder. Wir hoffen auf Spenden, auch damit Dadi zur Oma mitfliegen kann", sagt Andreas Lieber.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: