Starnberg:Ostwärts

Die elfte Ausgabe der Starnberger Hefte

Von Katja Sebald, Starnberg

Von Starnberg aus gesehen beginnt der Osten vielleicht schon im Isartal, wo Rilke einst zur Sommerfrische weilte. Oder liegt der Osten noch immer jenseits des ehemals Eisernen Vorhangs? Oder fährt man auch nach Osten, wenn man auf die Kykladeninsel Naxos reist? Dort jedenfalls entstand das Titelbild für die aktuelle, die mittlerweile elfte Ausgabe der "Starnberger Hefte".

Die von Ernst Quester herausgegebene Sammlung literarischer Texte vereint diesmal unter dem Titel "nach Osten" so unterschiedliche Beiträge wie eine lyrische Hommage an Rainer Maria Rilke und Erinnerungen an eine Reise nach Griechenland oder an Klavierstunden in Hongkong. Dazwischen Kindheitserinnerungen an die "Ostzone" und an "Westbesuch", Reiseerinnerungen an Schulfahrten nach Polen und Ungarn, natürlich auch in die "DDR" - und selbstredend geht es auch um die Frage, ob mit Anführungszeichen oder ohne.

Titelgebend für den neuen Band ist eine kleine Episode, die Eva-Maria Ueber erzählt: Auf einer Klassenfahrt nach Ostberlin stieg sie versehentlich mit einer Freundin in die falsche U-Bahn und erschrak fürchterlich über die Durchsage: "'Sie verlassen jetzt West-Berlin'. . .Ich sah uns schon mit diesem Zug im Nirgendwo verschwinden. Man würde uns für Spione halten und einsperren!" Zehn Jahre später war die Mauer gefallen: "Ossis und Wessis tanzten Lambada (...) Für einen Moment glaubte ich an die blühenden Landschaften der Zukunft", schreibt sie jetzt. Weitere 25 Jahre später gibt es Menschen, die der DDR-Nostalgie frönen, etwa Matthias Röth, der von seinem Museum in Odenwald berichtet, in dem er Alltagsgegenstände aus "Konsum"-Läden und "Centrum-Warenhäusern" sammelt.

Während Edgar Frank sich noch an die "Zone" erinnert und daran, dass er mit einem Stasi-Mann über Platon diskutierte, und Regine Mühlpfordt in "Von der Gurke zur Banane, oder umgekehrt?" aus der Zeit nach dem Mauerfall berichtet, kann die jüngere Generation von Autoren längst aus ganz anderen Erfahrungen im Osten schöpfen: Sabine Greifoner studierte in Polen, Pauline Petereit und Anna Fee Brunner arbeiteten auf alternativen Bauernhöfen in Kirgistan und Korea.

"Wir fremdeln alle", stellt Olaf Neumann 1992 in einer Tagebuchnotiz über eine Zugfahrt nach Görlitz fest. Er fährt "nach Osten", in einem Reichsbahnzug, der immer noch nach "Plaste" riecht. Und es ist genau dieses "Fremdeln", das in gewisser Weise über allen Texten steht, die in diesem Band vereint sind. Zuweilen ist es das Fremdeln in der Fremde, von dem die Autoren berichten. Zuweilen ist es aber auch das Fremdeln, dass man als Leser empfindet, angesichts von Merkwürdigkeiten, Schwermut und Sehnsucht: nach Idealen, die sich vermeintlich im Osten - oder im Westen - finden lassen. Es ist ein "Erinnerungsheft", dem man in unseren Tagen so viele Leser wie möglich wünschen möchte!

Die "Starnberger Hefte" können über den Buchhandel oder direkt unter www.starnberger-hefte.de gekauft werden.

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